Revolte bei gebeutelten Sozialdemokraten: SPD schiebt Wowereit nach vorn
Die Berliner SPD gibt Steinmeier & Co die alleinige Schuld an der Wahlniederlage, macht sich damit von Verantwortung frei und schlägt den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit für die Parteispitze vor.
Selten haben sich Wünsche der Berliner SPD so schnell erfüllt wie am Dienstag. Ein am Vormittag veröffentlichtes Analysepapier des Landesvorstands gab den Partei-Granden Steinmeier, Steinbrück und Müntefering die Schuld für die drastische Wahlniederlage - bis zum Dienstagnachmittag gaben alle drei die Ambitionen für die Bundesspitze auf. Und Klaus Wowereit, den Landeschef Michael Müller morgens für den Vorstand angepriesen hat, galt nachmittags als künftiger Parteivize. Der Zusammenhang ist aber mehr zeitlicher Natur: Der Einfluss des 16.000 Mitglieder starken Berliner Verbands in der Halb-Millionen-Partei gilt als begrenzt.
Die SPD habe sich taktisch zur Bundestagswahl in eine selbst gestellte Falle manövriert, heißt es in dem Papier, das der Landesvorstand mit deutlicher Mehrheit beschlossen hatte. "Es wurde nicht ernsthaft versucht, einen kritischen Dialog zwischen SPD, Linkspartei und Grünen zu etablieren." Als Ursache des drastischen Stimmenverlusts sieht das Papier eine "Politik der Mitte" und die Agenda 2010.
Den ersten Entwurf hatte noch in der Wahlnacht Mark Rackles geschrieben, der Sprecher der Linken in der Berliner SPD. Darauf baute auf, was am Montag in der engeren Parteispitze im Kurt-Schumacher-Haus, der SPD-Landeszentrale, entstand. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit war nach Parteiangaben nicht involviert, trägt das Papier aber mit.
Wowereit, in seiner 25-jährigen Karriere vom Bezirksamt bis zum Roten Rathaus bislang ohne Parteiposten, äußerte sich angeblich erst, als der gesamte 35-köpfige Landesvorstand am Nachmittag tagte. Laut Teilnehmern riet Wowereit davon ab, explizit Schuldige zu benennen. Man habe den Wahlkampf gemeinsam geführt und verloren, so Wowereit sinngemäß.
Auf verlorenem Posten stand Vizelandeschef Christian Hanke, der Bürgermeister von Mitte, der mit der Bundestagsabgeordneten Eva Högl und drei weiteren gegen das Papier stimmte. Hanke plädierte vergeblich dafür, sich die bürgerliche Mitte zu erschließen. "Man kann jetzt nicht Steinmeier, Steinbrück und Müntefering als Alleinverantwortliche hinstellen", sagte Högl der taz. "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen" - in Berlin hatte die SPD 14 Prozentpunkte verloren, drei mehr als bundesweit.
Tatsächlich fällt die Selbstkritik in dem Papier schwach aus. Das katastrophale Ergebnis der Bundestagwahl sage "nur bedingt" etwas über die Landespolitik aus, heißt es. Und die starken Verluste seien "keine Besonderheit in der Negativliste der SPD-Landesverbände". Laut offizieller Wahlstatistik aber haben von 16 Landesverbänden nur zwei größere Verluste eingefahren als die Berliner Sozis.
Zugleich tröstet man sich damit, es gebe mit knapp 60 Prozent "eine klare Mehrheit des linken Lagers in Berlin mit gegenseitigen Ansätzen zur Zusammenarbeit". Und setzt auf die Quadratur des Kreises: Parallel zu dieser Zusammenarbeit sei eine Profilierung "zwingend notwendig". Dazu gehöre ein festes Standbein in puncto sozialer Gerechtigkeit - sonst mache es "keinen Sinn, das Spielbein in der Mitte und nach rechts zu schwingen", so das Papier. Der bisherige Einsatz reicht offenbar nicht aus: Etwa beim Thema Kita hat die SPD als Vorkämpferin für gerechte Verteilung von Chancen zu punkten versucht.
Das Papier soll auch im Mittelpunkt des SPD-Landesparteitags Ende nächster Woche stehen. Ob Wowereit dann tatsächlich als designierter Parteivize auf dem Podium sitzt, werden bis dahin andere entschieden haben.
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