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„Reuters“-Journalist angeklagtAnonymous, „Go fuck some shit up“

Matthew Keys soll Anonymous Zugänge zur Seite der „Los Angeles Times“ verschafft haben. Ihm drohen nun 25 Jahre Haft. Seinen Schreibtisch bei „Reuters“ musste er räumen.

Als „AESCracked“ soll Keys einem der Anonymous-Hacker unerlaubt Passwörter übermittelt haben. Bild: dpa

BERLIN taz | Gegen Matthew Keys ist Anklage erhoben worden. Der 26-jährige Reuters-Redakteur soll Zugangsdaten seines ehemaligen Arbeitgebers, der Zeitungsgruppe „Tribune Company“, an Anonymous-Hacker weitergegeben haben. Er selbst beteuert, er habe Anonymous nur zur Recherchezwecken kontaktiert.

Falls Keys für schuldig befunden wird, drohen ihm bis zu 25 Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu 750.000 US-Dollar. Sein Fall erinnert an das Verfahren gegen Aaron Swartz. Der 26-Jährige lud 2010 angeblich 4,8 Millionen wissenschaftliche Artikel aus der Datenbank JSTOR. Es drohten ihm bis zu 35 Jahre Gefängnis und eine Million US-Dollar Strafe, woraufhin sich Swartz im Januar 2013 das Leben nahm.

Auch bei Matthew Keys lässt sich die Frage nach der Angemessenheit des Strafmaßes stellen. Denn alles, was die Anonymous-Hacker mit den Zugangsdaten anstellten, war die Änderung einer einzelnen Überschrift, die eine halbe Stunde lang unbemerkt auf der Seite der Los Angeles Times stand.

Schöne Grüße an CHIPPY 1337

Es ist Dezember 2010, als Keys in dem geheimem Chatroom „InternetFeds“ unter dem Nicknamen „AESCracked“ mindestens einem der Anonymous-Hacker die Zugangsdaten übermittelt haben soll. „Go fuck some shit up“, schrieb AESCracked laut Anklageschrift vom 14. März.

Matthew Keys arbeitete zuvor als Webproduzent für den Fernsehsender KTXL Fox 40, der wie die Los Angeles Times, in die die Hacker sich später einloggten, zur Zeitungsgruppe Tribune Company gehört. Im Oktober 2010, also zwei Monate vor dem Chatgespräch mit den Anonymousmitgliedern, wurde er entlassen.

Das Anonymous-Mitglied sharpie habe die Zugänge zunächst genutzt, um die Arbeitsprozesse der Tribune Company auszuspähen, so die Anklageschift. Kurz darauf änderte es die Überschrift des Artikels „Pressure Builds in House to Pass Tax-Cut Package“ zu „Pressure Builds in House to Elect CHIPPY 1337“, setzte Grüße an die Hackergruppe CHIPPY 1337 darunter und unterschrieb mit dem Namen CHIPPYS NO1 FAN. Der Artikel stand eine halbe Stunde unverändert online.

Eine Vergangenheit als Troll

„Die Systemadmins sind gut. Die haben mich abgeschaltet“, soll sharpie laut Anklageschrift im Geheimchat kurz nach dem Vorfall geschrieben haben. „Ich kann dir einen neuen Zugang verschaffen“, antwortet AESCracked, „lass mich schauen, ob ich andere Usernamen/Passwörter finde, die ich damals erstellt habe. Ich habe einen Festplatte voll mit Tribune Zeug, aber an einem anderen Ort“. Sharpie: „danke“.

„When I'm not writing, I break news“, schreibt Matthew Keys in seinem Blog. Er twittert Schlagzeilen von Flugzeugabstürzen, Erdbeben und Unfällen beim Autorennen. Bei der Nachrichtenagentur Reuters ist er für den Bereich Social Media zuständig. Neben der Arbeit und seinen privaten Social Media Accounts hat er laut gawker.com aber auch eine Vergangenheit als Internettroll.

Unter dem Usernamen Madrigalskylark soll er Mitte der 2000er Jahre auf den Seiten des Bloganbieters LiveJournal getrollt haben. Dies bestätigte er selbst in einer alter Version seines MrWrongfulDeathSuitKeys&oldid=63384790#Blogging_and_Coming_Out:Wikipeadiaeintrags.

Ebenso soll sich Kays auf Datingseiten unangemessen verhalten haben. Gawker.com zitiert einen User, der über Keys berichtet: „Er würde Leuten das Leben zur Hölle machen, die ihn nich daten wollen. Er würde sie stalken und mit früheren, leichtsinnig geposteten Einträge aus sozialen Netzwerken schlimme Seiten über sie erstellen. Er würde Anzeigen voll mit Lügen und Material veröffentlichen, um Leute, die er nicht mag, zu diffamieren.

Bei „Reuters“ geräumt

Auch auf die aktuellen Vorwürfe reagiert Matthew Keys vor allem über Social Media. Er selbst sagt, er habe von seiner Anklage zuerst über Twitter erfahren. Andere amerikanische Medien berichteten über seine Festnahme. Dies dementierte Keys allerdings über Facebook und Twitter.

Zwar enthält sich Reuters jeglichen Kommentars zum aktuellen Beschäftigungsverhältnis von Keys, jedoch bestätigte laut hollywoodreporter.com ein Arbeitskollege, dass Keys' Arbeitsplatz im New Yorker Büro geräumt und ihm sein Systemzugang entzogen wurde. Matthew Keys Anklageverlesung findet am 12. April statt.

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3 Kommentare

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  • T
    Tessa

    "Unter dem Usernamen Madrigalskylark soll er Mitte der 2000er Jahre auf den Seiten des Bloganbieters LiveJournal getrollt haben."

     

    Oh wie schlimm. Hat Mitte der 2000'er Jahre nicht jeder irgendwann mal getrollt?

     

    Und es gibt immer noch endlos viele Trolls im www.

     

    Mal abgesehen davon frage ich mich, warum sowas zurückverfolgt worden sein sollte.

  • A
    Andreas

    "Gawker.com zitiert einen User, der über Keys berichtet: „Er würde Leuten das Leben zur Hölle machen, die ihn nich daten wollen. Er würde sie stalken und mit früheren, leichtsinnig geposteten Einträge aus sozialen Netzwerken schlimme Seiten über sie erstellen. Er würde Anzeigen voll mit Lügen und Material veröffentlichen, um Leute, die er nicht mag, zu diffamieren."

     

    Stil- und grammatikhalber: would + Infinitiv nimmt die Funktion einer Vergangenheitsform ein, die Wiederholung bzw. Gewohnheit impliziert. Daher nicht "er würde Leuten das Leben zur Hölle machen", sondern "er machte (gewöhnlich/normalerweise/immer wieder/...) Leuten das Leben zur Hölle".

     

    Klingt auch weniger sonderbar.

  • WB
    Weißes Blatt

    Diese "Nachrichtenagenturen" sind nichts anderes als Propagandaorgane. Mit Journalismus hat deren Arbeit nichts zu tun. Wenn sich unsere "Presse" und die Selbstbedienungsbande des sozialistischen Staatsrundfunks aufhören würden, deren Mist zu verbreiten, dann könnte man denen vielleicht jemals glauben. Nur per Leistungsschutzgesetz, Zwangsabgabe und sonstigen Raubrittermethoden ist Journalismus am Arsch der "Nachrichtenagenturen" zu erhalten. Ich bin froh, dass es Anonymous schafft, ein wenig Leben in dieses Totengespenst des Journalismus zu blasen.