: Rettung Usts durch plötzlichen Wind
■ Giftwolke über kasachischer Stadt zerstreut/ Gelangt Beryllium in die Nahrungskette?
Moskau(dpa/taz) — Am Freitag berichteten sowjetische Tageszeitungen, daß die Giftwolke, die sich nach einer Explosion in der Beryllium- Abteilung der Ulbynski-Werke in Ust-Kamenogorsk (Kasachstan) gebildet hatte, von plötzlich aufkommenden Winden zerstreut worden sei. Nach der Katastrophe waren alle Klima und Entlüftungsanlagen abgeschaltet worden, Fenster und Türen mußten geschlossen werden, wer sich außer Haus aufhielt, hatte eine Gasmaske anzulegen. Notstandsmaßnahmen für die Evakuierung der eine halbe Million Einwohner zählenden Stadt waren bereits angelaufen, konnten dann aber abgeblasen werden. Laut der 'Komsomolskaja Prawda‘ vom Freitag hat der Chef der Bezirksregierung erklärt, es würden im gesamten Gebiet der Stadt Luft und Bodenproben entnommen werden. Man nehme die Ängste der Bevölkerung sehr ernst. Der unabhängige „Informationsdienst für Alle“ berichtete hingegen, die örtlichen Behörden hätten „versucht zu verhindern, daß Informationen nach draußen dringen“.
Laut der 'Prawda‘ vom Freitag erreichte die Beryllium-Konzentration in der Luft das Doppelte des in der Sowjetunion zugelassenen Grenzwerts. Über die Höhe dieses Wertes wurden keine Angaben gemacht. Ebenso fehlen Informationen über die Ursachen der Wasserstoffexplosion. Zu deren Aufklärung ist eine Untersuchungskomission gebildet worden. Beryllium ist ein sehr leichtes Metall, das in der Natur nur in Spurenelementen vorkommt. Es wird bei AKWs und bei Atombomben für „Reflektionsschilder“ gebraucht, die die Neutronen im Reaktionsbereich halten. Da die Chemie des Berylliums sehr aufwendig ist, ist anzunehmen, daß die Fabrik zentraler Produktionsort für die Sowjetunion war. Der explodierte Wasserstoff diente wahrscheinlich der Reduktion.
Das oxydierte Beryllium reagiert mit der Körperflüssigkeit, so daß das Anlegen von Gasmasken tatsächlich die einzige Schutzmöglichkeit war. Als schwerwiegend bezeichnete ein Experte des Darmstädter Öko-Instituts der taz gegenüber die möglichen Folgen der Gift-Katastrophe für die Nahrungskette. Pflanzen nehmen seltene Metall-Elemente bevorzugt auf, um „Vorräte“ anzulegen. Selbst bei einer Zerstreuung der Giftwolke könnte die Absorption des Berylliums einen so hohen Grad erreichen, daß es notwendig werde, die Humusschicht in der Umgebung von Ust- Kamenogorsk zu entfernen. Bei der Stadt selbst wäre das abgelagerte Beryllium in Wasser zu lösen — freilich um den Preis, daß es in verdünnter Form ins Grundwasser gelangt. Alles hängt von der Konzentration des Metalls in der Giftwolke ab.
In der Bundesrepublik stellt die Degussa vergleichbare Reflektionsschilder her. Über Unfälle ist bislang nichts bekannt geworden. C.S.
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