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Restitutionspolitik im TheaterTherapie und Versöhnung

Mit dem tourenden Bühnenstück „The ghosts are returning“ betreibt ein Kollektiv Restitutionspolitik für Skelette, die in den Kongo zurücksollen.

„The Ghost are returning“ der Group 50:50 mit Christiana Tabaro Foto: Susanne Diesner

Der Schweizer Arzt Boris Adé war wohl nicht der größte Verbrecher der Kolonialzeit in der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Das waren vielmehr die Erfüllungsgehilfen des belgischen Königs Leopold, die dort, in seiner „Privatkolonie“, als Sklavenhalter, Ausbeuter und Mörder wüteten.

Und dennoch grub Adé im Kongo Anfang der 1950er-Jahre sieben Skelette des Mbuti-Volks aus, Bewohner des größten Regenwalds der Welt, sogenannte kleinwüchsige „Pygmäen“, auch wenn selbst das eine rassistische Bezeichnung ist, und brachte sie zu Forschungszwecken an die Universität Genf. Dort befinden sie sich heute noch.

„Das sind doch keine menschlichen Wesen! Wieso sind sie denn so klein und widerstandsfähig? Es muss doch ein Tier geben, das sich in ihnen versteckt!“, ruft in zynischen Worten die kongolesische Schauspielerin Christiana Tabaro auf der Bühne aus, was im Kopf des Kolonialherrn vorgegangen sein mag: eine tief verwurzelte Entmenschlichung der Mbuti, die den Arzt jeglichen Respekt vor ihren menschlichen Überresten verlieren ließ.

Sie setzt sich bis heute fort, wenn das Künstlerkollektiv Group 50:50 in den Kongo reist und ihnen die Mbuti vom örtlichen Verwalter mit den Worten gezeigt werden „Da sind zwei Exemplare“.

Künstlerkollektiv greift Thema von Dorine Mokha auf

Das erzählt der Schweizer Musiker Elia Rediger, Mitgründer der Band „Bianca Story“ und auch in der DR Kongo geboren. Aus zwölf Leuten besteht das Künstlerkollektiv, Regisseure und Autoren sind neben Tabaro und Rediger noch Eva-Maria Bertschy, Michael Disanka, Patrick Mudekereza und Kojack Kassakamwve, ermöglicht durch das Centre d’Art Waza Lubumbashi und Podium Esslingen.

Auf das Thema gestoßen sind sie durch den kongolesischen Künstler Dorine Mokha, der/die am 8. Januar 2021 in Lumbumbashi starb, seiner/ihrer wird auf der Bühne am Anfang und Ende gedacht. Nach und nach stellen sich die zwei Schweizer und fünf kongolesischen Künstler auf der Bühne vor, stets unterlegt mit grandioser Live-Musik, ein Mix aus zwei Welten: Bratsche und Keyboard, Trommeln und Elektronik. Der Abend ist eine Art Spoken-Word-Konzert, funktioniert wie ein einziges, rhythmisches Musikstück.

Sie erzählen – vielleicht ein wenig zu lang – von ihrer Reise zum Ort Wamba, nach zwei Flügen noch 450 Kilometer mit Jeep und diversen Pannen, durch den Urwald, von ihren Ängsten und Gedanken.

Was von den geraubten Toten ist im kollektiven Gedächtnis der Mbuti noch präsent? Wie mag der Schweizer Arzt einst empfangen worden sein? Und dann werden auf drei großen Bildschirmen die Stimmen der Mbuti selbst eingeblendet, die in großen Versammlungen den Fall diskutieren, Begräbnisrituale zeigen, tanzen und musizieren.

Die Überreste der Ahnen müssen zurück

An der Universität Lumbumbashi im Südkongo, die im Kontakt mit der Uni Genf steht, wurde die Restitution der Skelette vom Rektor zunächst abgelehnt: der Kongo sei zu unruhig dafür. Doch für die meisten befragten Mbuti in Wamba, von der weißgeschminkten Dorf­ältesten bis zu Jugendlichen mit schwarzen Zeichnungen im Gesicht, ist es eindeutig: Die Überreste der Ahnen müssen an ihren Ursprungsort zurück.

Wie stark die Trauer noch ist, wie sehr auch andere Objekte noch vermisst werden, etwa ein Thron aus Elefantenzähnen, wird auf der Bühne von Chris­tiana Tabaro als eine Art Conférencier stark und anklagend erzählt. Der konkrete Fall der sieben Skelette verbindet sich aber auch mit größeren Zusammenhängen, wenn der Schweizer Holzkonzern Danzer den Urwald, grüne Lunge Afrikas und Lebensgrundlage der Mbuti, vor Ort hemmungslos rodet – 2011 ließ er Widerstand dagegen brutal niederschlagen.

Es geht in „The ghosts are returning“ also nicht nur um den konkreten Fall einer Rückgabe (die, ausgelöst durch die Recherchen von Group 50:50, übrigens zeitnah erfolgen soll), sondern mehr noch um das größere Thema der Versöhnung. „Damit eine bessere Zukunft erblüht, müssen wir unsere Museen einer Psychoanalyse unterziehen“, sagt einmal die Bratschistin Ruth Kemwa. Als geeignete Therapiemethode erscheint das, was auf der Bühne passiert: eine gemeinschaftliche Suche nach Heilung mit Hilfe von Musik.

Insofern spielt sie auch die Hauptrolle in diesem heiteren, grandiosen Konzert, einem Mash-up aus Stilen und Instrumenten, in dem sich E und U, Folklore-Elemente und Klassik-Kanon zu einem neuen Ganzen ergänzen. Trauer und Vorwürfe zu überwinden – und am Ende, nach über zwei Stunden, Versöhnung und Zusammenhalt feiern, ohne die Wunden zu verstecken. Gedanken an kulturelle Aneignung wären hier fehl am Platz, die Musik eröffnet neue Räume der Verständigung. Ein empathisches Requiem, das zugleich Zukunft ermöglicht.

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