Residenzpflicht gelockert: Reisefreiheit für Flüchtlinge

Nach monatelangen Versprechungen ist die Residenzpflicht für Flüchtlinge in Berlin und Brandenburg gefallen. Flüchtlingsrat befürchtet, dass nicht alle von der neuen Regelung profitieren.

Der Protest war erfolgreich: Demo von Flüchtlingsinitiativen Mitte Juni in Berlin Bild: dpa

Die Reisefreiheit gilt endlich auch für Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge - zumindest für jene, die derzeit in Berlin oder Brandenburg leben. Ab dem heutigen Donnerstag können rund 8.000 Betroffene eine Dauererlaubnis beantragen, um sich auch im jeweiligen Nachbarland frei zu bewegen. Das sehen am Mittwoch verkündete, abgestimmte Erlasse von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Brandenburgs Innenminister Rainer Speer (SPD) vor. Die Initiative beider Länder war bereits vor Monaten angekündigt worden. Ein Recht von Asylbewerbern, in das andere Bundesland umzuziehen, wird es allerdings nicht geben.

Damit legen Berlin und Brandenburg die sogenannte Residenzpflicht bundesweit am humansten aus. Residenzpflicht bedeutet, dass Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge ihren Landkreis oder ihre kreisfreie Stadt nicht verlassen dürfen - es sei denn, sie erhalten eine besondere Erlaubnis der Ausländerbehörde. Diese Erlaubnis wurde vor allem in Brandenburg noch in diesem Jahr willkürlich verwehrt, sogar wenn es um den Besuch in Schulen, bei Verwandten und im Behandlungszentrum für Folteropfer ging. Ohne Erlaubnis durften Asylbewerber auch nicht mit dem Regionalexpress von Potsdam nach Frankfurt (Oder) über Berlin fahren.

Die Lockerung der Regelung gilt nur für die Zeit der Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung. Betroffen sind in Berlin etwa 1.700 Asylbewerber und 3.500 Geduldete, in Brandenburg etwa 1.100 Asylbewerber und 1.700 Geduldete.

Beide Länder wollen eine Bundesratsinitiative starten. Die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern und Geduldeten solle in angrenzenden Bundesländern allgemein gestattet werden, ohne dass sie erst eine gesonderte Erlaubnis beantragen müssen.

Für die Erteilung der neuen Dauererlaubnis müssen nun keine Gründe angegeben werden, warum man in das Nachbarland reisen will. Verwehrt werden soll sie lediglich verurteilten Straftätern, Personen, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben, sowie Menschen mit "verfassungsfeindlichen Bestrebungen". Sie kann allerdings auch widerrufen werden, "wenn Geduldete ihre Rückführung vorsätzlich verzögern, indem sie ihre Identität verschleiern oder bei der Passbeschaffung nicht mitwirken", so Körting und Speer in einer Erklärung. Diese Formulierung lässt sich allerdings unterschiedlich auslegen und dürfte einigen als besonders hart bekannten märkischen Ausländerbehörden reichlich Spielraum für Schikanen öffnen.

"Wir haben ein Stück mehr Freiheit geschaffen", erklärte Innensenator Körting am Mittwoch. In dieser Frage würden sich Berlin und Brandenburg "ab sofort als einheitliche Region" betrachten.

Die Grünen begrüßten den Erlass. "Super, dass es endlich so weit ist", war die spontane Reaktion ihrer Flüchtlingspolitikerin Canan Bayram. "Das ist ein riesiger Erfolg für die NGOs und Einzelpersonen in und außerhalb von Parteien, die seit Jahren für die Abschaffung der Residenzpflicht kämpfen."

Bei den Flüchtlingsräten in Berlin und Brandenburg gesellen sich zur Freude über "den wichtigen Schritt von bundesweiter Signalwirkung", so Harald Glöde vom Brandenburger Flüchtlingsrat, auch Bedenken. Glöde und seine Berliner Kollegin Martina Mauer befürchten, dass der Ausschluss von Menschen, denen fehlende Mitwirkung an ihrer Rückführung unterstellt wird, zu Schikanen führen kann. Mauer: "Es könnte sein, dass viele nicht in den Genuss der Reisefreiheit kommen." Und Glöde: "Unser Ziel bleibt selbstverständlich die Abschaffung der Residenzpflicht auf Bundesebene."

Dass der Erlass zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem über die Aufhebung der Residenzpflicht für strafunmündige Drogendealer diskutiert wird, ist reiner Zufall. Die Aufhebung war Ziel beider Landesregierungen, seit im Herbst vergangenen Jahres in Brandenburg Rot-Rot regiert. In den ersten Monaten haben die Regierungen jedoch unnötig Zeit verstreichen lassen. Doch seit Jahresanfang ist man aktiv. Berlin und Potsdam haben auf Bundesebene ausgelotet, ob es möglicherweise Mehrheiten für einen bundesweiten Fall oder eine Aushöhlung der Residenzpflicht geben könnte. Im Mai kam dazu ein klares Nein.

Seitdem hat Brandenburg Verordnungen in Kraft gesetzt, die es Brandenburger Asylbewerbern und Geduldeten erlauben, sich im ganzen Land Brandenburg zu bewegen. Das hat gedauert, denn Potsdam musste erst erhebliche Widerstände aus mehreren Landkreisen ausräumen, denen die Ausländerbehörden in Brandenburg unterstehen. Gesetzestechnisch waren diese Verordnungen aber Voraussetzung für den jetzigen Erlass.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.