piwik no script img

Requiem für ein ganzes Volk

„Avetik“ und „Komitas“, zwei Filme des Armeniers Don Askarian im Acud und am Steinplatz  ■ Von Roland Rust

Armes Armenien: hundertfach geschunden, geschändet und schließlich in Schutt und Asche gelegt. Von der Teilung des Reiches in vorchristlicher Zeit bis zum Massaker am Musa Dagh und dem gegenwärtigen Morden in Nagorny Karabach eine nicht abreißende Geschichte unaussprechlichen Leidens. Ist es eine Strafe Gottes, ein Fluch oder das Schicksal, fragt mit „Avetik“ das Alter ego des armenischen Filmemachers Don Askarian, der noch nach einem Dutzend Jahren des Exils bloß eine „Adresse“ in Berlin hat, ohne in der Fremde wirklich Fuß zu fassen.

Wortlos und wie im Traum wirft sich Avetik auf den Asphalt der Großstadt, um unter der kalten Oberfläche womöglich den Atem eines fernen Lebens zu spüren. Seltsame Bilder der Erinnerung steigen auf. Eine Kindheit in den entlegenen Bergen Armeniens, frei und doch geborgen. Das Frühlingserwachen beim ersten Anblick nackter Brüste. Miniaturen des Glücks, die alsbald einem unheilvollen Wetterleuchten weichen. Eine Schafherde erfriert im Schnee. Blut färbt das Eis. Felsbrocken lösen sich und krachen zu Boden. Metallteile schlagen scheppernd aneinander. Magische Starre und Ödnis.

Dann eine dumpfe Detonation, und beinahe lautlos fällt eine kleine Kapelle in sich zusammen. Die Gärten der Kindheit, zur Müllkippe verkommen... Abrupt durchschneidet das Kreischen der S-Bahn den Fluß der Erinnerung. Wieder in der Berliner Wohnung, wirft ein Projektor Dokumentaraufnahmen der Katastrophe an die Wand, nüchtern kommentiert von den „Tagesthemen“. Sterbende, so sagt man, bewahren letzte Bilder der Erinnerung auf der Netzhaut. „Avetiks“ Bilder unendlichen Schreckens und betörender Schönheit sind Wahrzeichen eines solchen filmischen Vermächtnisses.

Im Anschluß an „Avetik“ kommt endlich auch Don Askarians erster abendfüllender Film „Komitas“ ins Kino. Auch dies ein ernsthafter Versuch, die unfaßbare Ausrottung des armenischen Volkes in verschlüsselten Metaphern und Symbolen des Verfalls und der Verwüstung zu visualisieren. Komitas, Mönch und Musiker, wurde 1915 auf dem Weg in die Verbannung Zeuge des systematischen türkischen Massakers an den Armeniern, dem zwei Millionen seiner Landsleute auf grausamste Weise zum Opfer fielen. Seitdem komponierte Komitas, der geniale Klassiker der armenischen Musik, keine einzige Note mehr. Die folgenden zwanzig Jahre bis zu seinem Tod 1935 verbrachte er in psychiatrischen Kliniken in der Fremde.

Im Film durchwandert Komitas verlorengegangene Welten der Erinnerung an einstige Zeugen armenischer Kultur, während in den Szenen im Hospital die Zeit selbst zum Stillstand gekommen zu sein scheint: schwermütige Tableaus unendlicher Trauer und Melancholie, über die eine extrem verlangsamte Kamera schwenkt. Ein filmisches Requiem mit den fernen Klängen von Komitas, der Ende des vorigen Jahrhunderts seine kompositorischen Studien in jener Stadt absolvierte, die auf verhängnisvolle Weise mit der armenischen Passion verbunden blieb: in Berlin. Hier fand der Organisator des Genozids, Großwesir Talaat Pascha, Unterschlupf, bevor er von einem jungen Armenier auf offener Straße erschossen wurde.

Hier überlebt mit nur einer „Adresse“ der Filmemacher Don Askarian: „Am 10. Oktober 1984 saß ich in der Küche unserer Berliner Wohnung, gegenüber auf dem Schrank für elektrische Sicherungen stand der Engel und schaute durch die Philodendronblätter auf mich. Ich hob den Kopf auf, und er war nicht mehr da... Ich wäre seit langem tot, wenn ich ,Komitas‘ nicht gedreht hätte.“

„Avetik“, Buch und Regie: Don Askarian, mit Alik Assatrian u.a., 35 mm, 84 min., Farbe, Armenisch/ Deutsch, 1992. Ab 4. Nov. im Acud, Camera, Filmbühne am Steinplatz, Moviemento.

„Komitas“, Buch und Regie: Don Askarian, mit Samvel Ovasspian u.a., 35 mm, 96 min, Farbe und schwarzweiß, Armenisch (dt. UT), 1988. Ab 18. Nov. im Acud, Filmbühne am Steinplatz.

Das Acud und das Filmmuseum Potsdam zeigen auch eine Fotoausstellung zu Motivsuche und Dreharbeiten von Don Askarian. Im Acud wird auch das Romanische Büro e.V. vorgestellt, das Sprachkurse, Seminare und Austauschprogramme organisiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen