Repressionen auf der Krim: 110 Jahre Haft
Ein russisches Gericht verurteilt sieben Krimtataren zu langen Gefängnisstrafen. Sie sollen einer verbotenen islamischen Gruppe angehört haben.

Menschenrechtsgruppen sehen in dem Urteil den Versuch, den Teil der Gesellschaft auf der Krim, der die russische Annexion weitgehend geschlossen ablehnt, mit Repressalien mundtot zu machen. Derzeit stehen 100 Verfahren russischer Gerichte gegen Krimtataren, die auf der Krim leben, an. Es könnten noch einmal mehrere Hundert Jahre Haft dazukommen.
Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial beobachtet seit 15 Jahren in Russland und seit 2014 auf der Krim, wie die „staatliche Propaganda Islamfeindlichkeit nutzt und verschärft und Islam und Terrorismus gleichsetzt“.
Auch die Beweisführung des russischen Gerichts wirft Fragen auf. Zentrales Beweismittel, so die Menschenrechtlerin Halya Coynash von der Menschenrechtsgruppe Charkiw, seien drei heimlich mitgeschnittene Gespräche gewesen, die in einer Moschee auf der Krim geführt worden waren.
Fehlerhafte Gutachten
Coynash führt die Juristin für Forensik, Yelena Novoshilowa, an. Die halte die Gutachten der vom Geheimdienst FSB angeführten Experten zu den Mitschnitten für fehlerhaft. Nicht ein einziges Mal, so Novoshiloswa, sei auf den Mitschnitten der Begriff Hizb ut-Tahrir zu hören. An keiner Stelle, werde zum Hass gegen andere Völker oder Glaubensrichtungen angestachelt.
Für Boris Sacharow von der Menschenrechtsgruppe Charkiw geht das Urteil gegen die Krimtataren noch über die Menschenrechtsverletzungen der Sowjetunion hinaus. Damals hätten Dissidenten drei, mitunter auch zehn Jahre Haft bekommen. Aber Haftstrafen von bis zu 19 Jahren und Folter, wie sie in Putins Russland an der Tagesordnung sei, habe es damals nicht gegeben. Zudem verletze Russland grob internationales Recht, da es die eigene Gesetzgebung auf besetztem Gebiet anwende.
„Hizb ut-Tahrir ist eine friedliche islamische Partei. Ich halte ihre Einstufung als ‚terroristisch‘ in Russland und als ‚extremistisch‘ in Deutschland für problematisch aufgrund der Meinungsfreiheit.“
Das Verbot der Organisation in Deutschland hänge mit strengen Gesetzen gegen Antisemitismus und Holocaust-Leugnung zusammen“, so Sacharow. „Als Jude trage ich den Schmerz des Holocaust in mir. Aber ein Staat hat nicht das Recht, Meinungen in Friedenszeiten einzuschränken oder Menschen wegen ihrer Meinung zu verfolgen.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen