Repression in der Türkei: Die Filmemacherin Kudret Güneş ist festgenommen worden
Bei Ankunft am Flughafen Ankara ist die Regisseurin und Autorin festgesetzt worden. In einem Comic hatte sie von einer Zwangsheirat erzählt.
Es wirkt wie eine Szene aus einem ihrer Filme: Eine kurdische Frau landet am Flughafen von Ankara – und wird festgenommen. Nicht wegen einer Straftat, sondern wegen eines Comics. Kurz darauf folgt ein Ausreiseverbot. Seither steht sie unter Hausarrest. Die 69-jährige Kudret Güneş ist französisch-kurdische Regisseurin, Autorin und Feministin und erzählt seit Jahrzehnten Geschichten über widerständige Frauen. Am 27. Mai ist sie selbst zur Protagonistin eines Justizdramas geworden.
Die Anklage lautet auf „Propaganda für eine terroristische Organisation“. Gemeint ist die PKK. Grundlage sind unter anderem einige alte Facebook-Beiträge und ihre Graphic Novel „La Liberté dans le sang“ („Freiheit im Blut“). Das Buch erzählt die Geschichte einer jungen Kurdin, die eine Zwangsheirat überlebt, inhaftiert wird, flieht, sich dem Widerstand anschließt und schließlich in die Gewalt des IS in Shingal (Irak) gerät. Es ist eine Erzählung über Flucht, Unterdrückung, Überleben – und über weibliche Selbstermächtigung.
Die Hauptfigur basiert teils auf familiären Erfahrungen, etwa der Geschichte ihrer Schwester, die einst zur Ehe gezwungen wurde. Weitere Episoden beruhen auf realen Berichten von gefangenen Frauen, überlebenden Jesidinnen oder Kämpferinnen in Kobanê. Die künstlerische Verwebung aus Fiktion und dokumentierter Realität ist dabei kein Zufall – sie zieht sich wie ein roter Faden durch Güneş’ gesamtes Werk.
Geboren in der Türkei, lebt sie seit 1982 in Frankreich. Dorthin kam sie mit einem türkisch-französischen Stipendium. In Frankreich etablierte sie sich als Autorin und Regisseurin: „Leyla Zana – le cri au-delà de la voix étouffée“, ein Film über die kurdische Abgeordnete, wurde mehrfach ausgezeichnet. Güneş Drehbücher, oft zwischen Migration, Geschlechterrollen und Kriegstraumata verortet, kreisen um junge Frauen, die zwischen Tradition und Realität nach Handlungsspielräumen suchen – in kurdischen Dörfern wie in französischen Vorstädten.
Ihr Fernseh-Drehbuch Alev – über eine junge Kurdin, die in Frankreich in eine arrangierte Ehe mit einem homosexuellen Mann gedrängt wird – brachte ihr wichtige Anerkennung: 2003 erhielt sie dafür den Spezialpreis der Jury beim FIPA-Festival für das beste Drehbuch, zudem eine Förderzusage vom französischen CNC, und 2004 wurde das Projekt beim Festival in Montpellier unter die 14 besten Stoffe gewählt. Eine Realisierung blieb aus – aus Angst vor möglicher politischer Vereinnahmung.
Auch Güneş' jüngstes Drehbuch erzählt von einem kurdischen Mädchen, das in einem umkämpften Grenzgebiet eine Bombe für ein Spielzeug hält – und so in die Gewalt des Konflikts zwischen Armee und Milizen gerät. Das Projekt wurde 2024 in die Auswahl des Mittelmeer-Filmfestivals aufgenommen – erneut gelobt, doch erneut nicht produziert. Aus Angst, wie es hieß, vor politischer Instrumentalisierung.
Dass ihre Geschichten heute kriminalisiert werden, ist kein Zufall. Es ist Teil eines größeren Musters: der Repression gegen kurdische Stimmen, feministische Positionen und künstlerische Ausdrucksformen, die sich nicht vereinnahmen lassen. In Frankreich wurde „La Liberté dans le sang“ aus über 130 Einreichungen unter die fünfzehn besten Graphic Novels eines nationalen Wettbewerbs gewählt. In der Türkei dagegen gilt dasselbe Werk als staatsfeindlich.
Der Hausarrest in Ankara erlaubt ihr derzeit keine künstlerische Bewegung. Kudret Güneş macht keine Politik im klassischen Sinn. Aber sie erzählt Geschichten, die gefährlich sind – für ein System, das Angst hat vor Frauen, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen.
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