Repression in der Türkei: Gegen Oppositionelle und Kulturschaffende
Der türkische Präsident Erdoğan will seine politische Konkurrenz aus dem Weg räumen: Sein Gegenspieler Imamoğlu wird mit immer neuen Verfahren überzogen.
Was sich wie ein schlechter Witz anhört, hat Methode: Seit Wochen wird Ekrem Imamoğlu, der wichtigste Gegenspieler des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, mit immer neuen Verfahren überzogen. Diese sollen Imamoğlu mundtot machen und ihn darüber hinaus nach einer möglicherweise folgenden Verurteilung politisch ausschalten.
Bis auf eine Ausnahme, wo es um vermeintliche Korruption im Zusammenhang mit Ausschreibungen zu einer Zeit vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister geht, sind alle andere Verfahren Meinungsdelikte – und beziehen sich auf Äußerungen, mit denen Imamoğlu gegen die offensichtlich politisch motivierten Ermittlungsverfahren gegen ihn und andere hochrangige Mitglieder der Oppositionspartei CHP protestiert hatte.
Imamoğlu ist bereits einmal wegen angeblicher Beleidigung von Mitgliedern der Wahlkommission zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Berufungsverfahren wird immer wieder verschoben, um ihn weiter unter Druck zu setzen. Zuletzt soll er den Istanbuler Generalstaatsanwalt beleidigt haben, weil er den Vorsitzenden der CHP-Jugendorganisation verteidigt hatte, dem ebenfalls Beleidigung der Justiz vorgeworfen wurde.
Erdoğan setzt auf Repression – auch im Kulturbereich
„Das Ganze ist der Versuch, uns durch Zensur auszuschalten. Wir sollen den Präsidenten nicht mehr kritisieren dürfen“, sagte Imamoğlu bei seiner Pressekonferenz am Montag. Tatsächlich ist Erdoğan dabei, die Repressionsschraube in der Türkei wieder erheblich anzuziehen. Das betrifft nicht nur Imamoğlu: Erst vor kurzem wurde Rıza Akpolat, CHP-Bezirksbürgermeister von Beşiktaş, einer Hochburg der Opposition in Istanbul, wegen angeblicher Korruption seines Amtes enthoben und verhaftet.
Und auch gegen andere Parteien wird vorgegangen: Erstmals seit dem Putsch von 1980 wurde wieder ein türkischer Parteivorsitzender verhaftet, der Chef der kleinen ultrarechten Zafer-Partei, Ümit Özdağ. Er hatte lautstark gegen mögliche Gespräche mit dem historischen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan protestiert – und Erdoğan damit von nationalistischer Seite aus unter Druck gesetzt.
Doch nicht nur gegen die politische Opposition lässt Erdoğan die Justiz vorgehen. Seit neuestem wird auch eine Kampagne gegen wichtige VertreterInnen der Kulturszene durchgeführt. Es geht vor allem gegen Leute aus Film und Fernsehen, die mit ihrer Arbeit indirekt die von Erdoğan angestrebte weitere Islamisierung des Landes unterlaufen.
Die Türkei war in den letzten Jahren sehr erfolgreich mit der Produktion von Filmen und Fernsehserien, die auch international gut verkauft wurden. Diese Serien sind im Nahen Osten, in Asien und Lateinamerika deshalb so erfolgreich, weil sie einen offenen Umgang zwischen den Geschlechtern propagieren und dem islamischen Frauenbild damit oft widersprechen. Außerdem werden sehr erfolgreich Konflikte zwischen säkularen und religiösen Lebensauffassungen thematisiert, die die Gesellschaft beschäftigen.
Regisseurin Ayşe Barım festgenommen
Als Hauptübeltäterin für solch unerwünschtes Filmschaffen hat die regierende AKP Ayşe Barım, eine der erfolgreichsten Produzentinnen des türkischen Kinos, identifiziert. Sie würde viele Themen setzen und ihr genehme SchauspielerInnen bevorzugen. Letzte Woche wurde Barım festgenommen, am Montagabend dieser Woche durch einen Haftrichter in U-Haft überstellt. Vorgeworfen werden ihr aber nicht ihre Filme, sondern eine angebliche Beteiligung an den Gezi-Protesten vor 12 Jahren. Diesen Vorwurf hat die Staatsanwaltschaft aus dem Hut gezaubert, um ihr einen versuchten Sturz der Regierung vorwerfen zu können.
Im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten sind bereits eine Reihe anderer bekannter Gewerkschaftler, Intellektueller und Juristen, die alle ihre Kritik an Erdoğan auszeichnet, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Im Zusammenhang mit der Festnahme von Ayşe Barım wurden auch etliche bekannte Schauspieler zum Verhör vorgeladen – die sich nun überlegen werden, ob sie noch einmal in einem von der Regierung unerwünschten Film mitspielen werden.
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