Repression in Venezuela: Anklage „Terrorismus“
Die umstrittene Wahl in Venezuela führte zu landesweiten Protesten. Präsident Maduro versucht nun, unabhängige Berichterstattung zu verhindern.
Vier venezolanische Berichterstatter:innen sind laut der Gewerkschaft der Medienschaffenden (SNTP) direkt nach den Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli verhaftet worden. Ihnen sei der Kontakt zu Anwält:innen verwehrt worden, gegen sie werde wegen „Terrorismus“ und „Anstiftung zum Hass“ ermittelt, heißt es vonseiten der Gewerkschaft. Die Zahl der inhaftierten Reporter:innen ist laut Nichtregierungsorganisationen wie Provea und Espacio Público mittlerweile auf 13 gestiegen.
„Doch auch gegen internationale Berichterstatter:innen wird vorgegangen. Mehrere Personen, darunter ein chilenisches Fernsehteam, wurden genötigt, das Land zu verlassen“, so der Kommunikationswissenschaftler Andrés Cañizález zur taz. Der 58-Jährige arbeitet bei der Plattform Observatorio Venezolano de Fake News und an der Katholischen Universität Andrés Bello.
Er kritisiert auch, dass im Vorfeld der Wahlen mehrere Fakten-Checking-Portale blockiert wurden. „Seit dem 12. Juli wurde unsere Seite vom Observatorio blockiert, aber auch andere wie EsPaja oder Cazadores de Fake News. Die Regierung in Venezuela nutzt die Verbreitung von Fehlinformationen – zum eigenen Vorteil“, kritisiert der Wissenschaftler, der seit wenigen Tagen einen Lehrauftrag in Buenos Aires innehat.
In Venezuela sei es schon unter Hugo Chávez, dem Vorgänger von Nicolás Maduro, zu einer Polarisierung im Mediensektor gekommen. Bereits damals seien Medien geschlossen worden, weil sie aus der Perspektive der Regierenden nicht differenziert genug berichtet hätten. Das hat sich mit der Regierungsübernahme von Nicolás Maduro von seinem politischen Mentor Hugo Chávez noch verschärft, so Cañizález.
Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen
Das bestätigten internationale Medienorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, die seit 2017 eine Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen und Gewalttaten gegenüber Reporter:innen durch Polizei und Geheimdienst registrierten. Die Nationale Telekommunikationskommission (Conatel) sperre Sendefrequenzen von kritischen Radio- und Fernsehsendern und veranlasse kurzfristige Abschaltungen von Internet oder Social Media.
Das ist auch derzeit der Fall. Erst am Donnerstagabend hat Präsident Nicolás Maduro die Sperrung der Plattform X per Dekret angekündigt. „X muss für zehn Tage aus Venezuela verschwinden“, sagte er in einer Rede, die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde. Begründung: Aufstachelung zur Gewalt. Maduro hatte sich öffentlich mit X-Eigentümer Elon Musk angelegt, ihn beschuldigt, Aufrufe zu Hass, Bürgerkrieg und Tod zu ermöglichen.
Typisch für die Medienpolitik in Venezuela, so die Sozialwissenschaftlerin Margarita López Maya. „Allein im Jahr 2022 sind 69 Radiostationen laut Informationen der Nichtregierungsorganisation Espacio Público geschlossen worden“, so die Historikerin. Für sie hat Präsident Maduro ein autoritäres System mit zunehmend totalitären Zügen installiert.
Direkte Folge davon ist, dass Venezuela auf Platz 156 von 180 Ländern im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen gefallen ist und dass nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen wie Provea etwa 1.000 Reporter:innen das Land verlassen haben. Dessen Direktor, Óscar Murillo, selbst Journalist, kritisiert die vorsätzliche Verletzung von Grund- und Verfassungsrechten. „Hier werden sämtliche internationalen Menschenrechtsstandards verletzt, wobei die,Colectivos' eine zentrale Rolle spielen.“ Die Colectivos, paramilitärische Brigaden, oftmals bewaffnet, sind für zahlreiche Gewalttaten gegen die Demonstrant:innen verantwortlich, die laut Provea bisher 24 Menschen das Leben kosteten.
Unter den Getöteten befinden sich keine Reporter:innen, aber für Andrés Cañizález ist klar, dass es Ziel der Regierung ist, die Kontrolle über die Kommunikation zu übernehmen und sie zu steuern: „In Venezuela gibt es zwar ein Recht auf Information. Aber wer die Informationen hinterfragt und analysiert, geht ein persönliches Risiko ein.“ Das belegen nicht nur die 13 Festnahmen, sondern auch die hohe Zahl von Journalisten, die das Land verlassen haben. Eine vielfältige, kritische Berichterstattung ist in Venezuela kaum mehr möglich. Das kritisieren Medienorganisation wie Reporter ohne Grenzen, aber auch die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt