Repression gegen arme BremerInnen: Von Bahnhof zu Bahnhof
Erst verscheucht die Stadt Obdachlose vor dem Bremer Hauptbahnhof, nun gibt es Pläne, wie man sie auch vom ehemaligen Güterbahnhof vertreiben kann.
Die Sozialbehörde teilte der taz mit, dass in einem ressortübergreifenden Gespräch mehrere Maßnahmen vereinbart wurden: Die Umzäunung des Areals, die Einrichtung eines Sicherheitsdienstes, um Identitätsfeststellungen durchzuführen und infolgedessen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs zu erstatten – damit auch die Polizei tätig werden kann.
Während ein Zaun vor den befahrenen Schienen noch sinnvoll erscheint – Anfang des Jahres starb ein Obdachloser auf den Gleisen, nachdem ihn ein Zug erfasst hatte –, wirken die anderen Maßnahmen eher repressiv.
Die Wirtschaftsbehörde wollte zunächst keine Auskunft dazu erteilen und verwies auf ihr Statement von Ende September, laut dem sich die bis dahin überschaubare Lage in einem nicht mehr tolerablen Rahmen befinde, sodass eine weitere Duldung nicht mehr möglich sei. Nach erneutem Nachbohren bestätigte die Referentin der Wirtschaftsförderung, Andrea Bischoff, dass Maßnahmen wie ein Sicherheitsdienst und eine Umzäunung im Gespräch seien, aber eine Entscheidung über die Umsetzung noch nicht getroffen sei – „Wir prüfen derzeit noch alle Möglichkeiten“, sagte Bischoff.
Künstler*innen genervt und gestört
Der Künstlerzusammenschluss „Verein 23“, der die Hallen des Güterbahnhofs zwischennutzt, schätzt, dass 20 bis 30 Wohnungslose auf den Rampen der Gebäude leben. Neben der Behörde hatte auch Norbert Bauer, Vorstand des Vereins, von Konflikten mit den Obdachlosen berichtet: Die Lage habe sich verschlechtert und einige Künstler*innen seien von offenen Feuern, herumliegenden Spritzen und den hygienischen Bedingungen genervt, gestört und verängstigt.
Probleme gab es laut Wirtschaftsförderung auch zwischen dem Wagenplatz „Querlenker“ und der auf der Brachfläche nebenan lebenden Gruppe osteuropäischer Wohnungsloser. Die Innere Mission schätzt ihre Anzahl auf noch einmal 20 bis 25 Personen, die in Hütten, Verschlägen und Autos leben. Anders als deutsche Wohnungslose haben sie keinen Anspruch auf Obdachlosenhilfe oder Sozialleistungen. Die Wiese mit den slumartigen Hütten grenzt direkt an den Wagenplatz der Querlenker*innen, der einen jährlich erneuerten Pachtvertrag mit der Stadt hat, und sich auf eine Anfrage der taz nicht meldete.
Bertold Reetz, Innere Mission
Repressive Maßnahmen oder sogar eine Räumung sind aus Sicht von Bertold Reetz von der Inneren Mission, die auch die Bahnhofsmission betreibt, dennoch die schlechteste Lösung. Er sagt: „Wir sind gegen Räumungen – am Güterbahnhof und auch am Bahnhofsvorplatz.“
Denn was den Obdachlosen widerfährt, ist eine Vertreibung von Bahnhof zu Bahnhof: Im Vorfeld der Eröffnung des Investoren-Großprojekts „City Gate“, eines 100 Millionen Euro teuren Neubaus am Hauptbahnhof, ließ Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) Drogenabhängige und Obdachlose schon mal vorsorglich vom Bahnhofsvorplatz vertreiben. Dort gibt es seit Kurzem mehr Videoüberwachung, einen Sicherheitsdienst und einen ständig postierten Mannschaftswagen der Polizei. Die Botschaft kommt an: Obdachlose und Drogenabhängige drängeln sich nun mangels Alternativen am Güterbahnhof und am Siemens-Hochhaus.
Zwar sei geplant, einen Unterstand mit Toilette und Sozialarbeiter*innen in Bahnhofsnähe an der Fußgängerbrücke vor der alten Post einzurichten, das werde aber vor Dezember oder Januar voraussichtlich nichts, sagt Reetz. Er fordert die Stadt auf, schon vorher einen bahnhofsnahen Anlaufpunkt für die Wohnungslosen einzurichten, die dort ihren Lebensmittelpunkt hätten.
„Wenn man Leute vertreibt, muss es Alternativen geben“, sagt Reetz. Momentan balle sich die Szene tagsüber auf engem Raum im Innenhof des Siemens-Hochhauses und nachts am Güterbahnhof. Es bringe nichts, sie von dort aus einfach erneut zu vertreiben. „Bremen muss es sich erlauben, die Menschen zu dulden, sonst gehen sie halt weiter in den Wall oder den Bürgerpark.“ An einer Räumung würde sich die Innere Mission auf keinen Fall beteiligen, so Reetz.
Noch schlimmer ist die Lage für nicht-deutsche wohnungslose EU-Bürger*innen: Obwohl sie keinen Anspruch auf Transferleistungen haben, gibt es laut Reetz die stille Vereinbarung, sie für bis zu drei Tage in Hilfseinrichtungen aufzunehmen. Sobald die Temperaturen unter vier Grad sinken, nehme man ohnehin alle auf. Aber viele kämen gar nicht erst: Trotz der widrigen Umstände gehe es den meisten EU-Bürger*innen an Bremens Güterbahnhof immer noch besser als in ihren Herkunftsländern.
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