Repression gegen Muslime in Indien: Klassenkampf um die heilige Kuh
Nach dem Sieg in einer wichtigen Regionalwahl lässt die hindunationalistische BJP Schlachthäuser schließen. Nun streiken muslimische Fleischhändler.
Im größten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh (UP) spitzt sich zurzeit ein Konflikt zu, der seit der Wahl der indischen Regierung im Jahre 2014 gärt. Damals löste die hindu-nationalistische Partei BJP unter Premierminister Narendra Modi die Vorgängerregierung ab, die das Land mehr als zehn Jahre lang regiert hatte.
Modi war mit dem Versprechen angetreten, den Reformstau des Landes aufzulösen. Kritiker warnten, dass das Leben unter ihm insbesondere für die religiöse Minderheit der Muslime deutlich schwerer werden dürfte – gilt die BJP doch als deutlich stärker hinduistisch geprägt als die Vorgängerregierung unter der Kongresspartei.
In UP erhalten diese Befürchtungen zurzeit neue Nahrung. Seit knapp zwei Wochen regiert die BJP auch dort. In einem Erdrutschsieg gewann die Partei 312 von 403 Mandaten – und installierte anschließend den polarisierenden Hindu-Priester Yogi Adityanath als Regierungschef.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen ließ Adityanath ein knappes Dutzend der 41 großen Schlachthäuser und unzählige kleine Fleischgeschäfte in Uttar Pradesh schließen. „Unsere Razzien richten sich gegen illegale Schlachthäuser“, sagte er in einer Ansprache. „Wir können diese illegalen Geschäfte nicht erlauben.“ Als Reaktion begannen die Fleischhändler am Montag einen unbefristeten Streik.
Durch die Hindus gegängelt
Die BJP setzt ein Wahlversprechen um. Einerseits wolle man das Leben von im Hinduismus heiligen Kühen schützen. Immer wieder hatten BJP-Politiker gesagt, dass in den Schlachthäusern illegal Rindfleisch verarbeitet werde. Andererseits seien die Schlachthäuser eine Gefahr für die Umwelt. Faulende Tierkadaver und –blut würden die Bevölkerung krank machen, sagt etwa der BJP-Sprecher GVL Narishma Rao.
Inoffiziell verläuft die Konfliktlinie jedoch nicht zwischen Kuhschützern und –schlachtern, sondern zwischen Hindu-Hardlinern und der muslimischen Minderheit. Seit Jahrhunderten ist ein großer Teil der Schlachter in Indien muslimisch – und nun fühlt er sich von der Hindu-Mehrheit gegängelt. „Hier wird unter dem Deckmantel des Tierschutzes eine politische und religiöse Agenda durchgesetzt“, sagt Sanober Ali Qureshi von der Fleischhändler-Vereinigung AIJQAC. „Das aktuelle Vorgehen der Regierung in UP betrifft fast eine Million Menschen. Wir haben Angst, fühlen uns verstoßen und diskriminiert.“
Sanober Ali Qureshi, Fleischer
Die Stimmung ist nicht nur in UP aufgeheizt. Seit Dienstag zwingt die radikal-hinduistische Gruppe Shiv Sena in Gurgaon, einem anderen Vorort Neu Delhis, ihre Mitbürger zum Fleischverzicht. Man erwarte Rücksicht auf das neuntägige Hindu-Fest Navratri, während dessen strenggläubige Hindus sich ausschließlich vegetarisch ernähren, sagte ein Sprecher. Deshalb habe man nicht-vegetarische Restaurants und Geschäfte gebeten, so lange zu schließen. In vier weiteren Bundesstaaten habe es ähnliche Aktionen gegeben, berichtete der Fernsehsender „India Today“. In allen von ihnen regiert die BJP.
„Das heißt nicht, dass die BJP hinter den Schließungen der Fleischgeschäfte steckt“, sagt die politische Autorin Saba Naqvi. „Die Partei tut aber auch nichts um zu zeigen, dass sie gegen diese Belästigungen ist.“ Das politische Klima begünstige zurzeit auch radikalere hinduistische Gruppen, die Einfluss gewinnen wollten.
BJP-Sprecher Rao widerspricht: „Niemand darf das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Wir befinden uns nur in einer Übergangszeit von einem Uttar Pradesh ohne Gesetze zu einem, in dem die Gesetze gelten.“ Für den AIJQAC-Mann Qureshi ist dies für die muslimische Minderheit aber höchstens teilweise wahr: „Die Maßnahmen gegen die Fleischhändler verletzen ihr Recht auf eine berufliche Existenz.“
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