Reportage aus den Wahllokalen in New York: "Wie ein neuer Pop-Trend"
Der Kampf um die Stimmen im Hauptquartier der Barack Obama-Kampagne: So viel Enthusiasmus hat die Einsatzleiterin Joyce Johnson noch nie erlebt.
NEW YORK taz Das Büro Nummer 508 im fünften Stock der Fulton Street 139 ist zum Bersten voll. Die beiden winzigen Räume in der Nähe der Wall Street sind das New Yorker Hauptquartier der Barack Obama-Kampagne und Einsatzleiterin Joyce Johnson weiß gar nicht, wo sie mit den ganzen Freiwilligen hin soll, die am Morgen des "Super Tuesday" hier ihren Beitrag leisten wollen. Schulter an Schulter sitzen sie an Telefontischen, die an der Wand entlang aufgereiht sind und werben um die letzten Wählerstimmen. An einem runden Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem ein großer Stadtplan ausgebreitet liegt, werden fieberhaft Flugblatt- und Plakataktionen koordiniert. "Wir waren an der Haltestelle Parkchester in der Bronx eine Viertel Stunde vor den Hillary Leuten", ruft einer, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, in die Runde. "Da war nicht mehr eine einzige Plakat-Fläche frei, als die kamen." Lauter Jubel schallt durch den Raum und die zumeist jungen Wahlkämpfer spenden sich selbst einen kurzen Applaus.
In New York werden heute bei den Demokraten 232 Sitze vergeben. Bei den Republikanern sind es 101. Allerdings: Bei den Republikanern kriegt der Gewinner alles. Bei den Demokraten hingegen geht es nach dem Verhältniswahlrecht.
Hochrechnung:
Laut der aktuellen Hochrechnung stimmten in New York 57 Prozent für Clinton und 40 Prozent für Obama. Bei den Republikanern liegt McCain mit 51 Prozent der Stimmen deutlich vorne. Rommney wählten 28 Prozent.
"So etwas wie hier habe ich noch nie erlebt", sagt Joyce Johnson, eine schwarze Frau um die 50, die zwischen ständigen Anrufen auf ihrem Handy kaum einen Gedanken formulieren kann. Wenn Joyce das sagt, dann bedeutet das etwas, denn sie ist eine erfahrene Wahlkämpferin. Schon Anfang der 80er Jahre arbeitete sie für die New Yorker Senatorin Geraldine Ferraro, die damals beinahe Vizepräsidentin geworden wäre. Danach war sie für den schwarzen New Yorker Bürgermeister David Dinkins im Einsatz und 1992 für Bill Clinton. Das Maß an Enthusiasmus und Energie, das im Obama Lager in diesem Jahr herrsche, habe es jedoch in keinem dieser Wahlkämpfe gegeben. "Hier laufen jeden Tag 200 Leute herein, die etwas tun wollen", sagt sie. "In der ganzen Stadt wollten heute 9000 Leute für Obama auf die Straße gehen."
Der Obama-Wahlkampf verströmt an diesem Super Tuesday eine Dringlichkeit, die weit über die Routine des amerikanischen Politbetriebes hinausgeht. New York ist angestammtes Hillary-Terrain und die Obama Anhänger träumen von einem Underdog-Sieg ihres Kandidaten im Hinterhof der Staatssenatorin. Es geht den Wahlkämpfern aber nicht alleine um Delegiertenstimmen. Sie sind von dem Glauben beseelt, an etwas größerem Teil zu haben, eine Bewegung zu verkörpern. "Wir wollen Geschichte schreiben", sagt Joyce Johnson . "Es hört sich vielleicht kitschig an, aber Obama ruft uns allen das "Wir" in Erinnerung, das als erstes Wort in der Unabhängikeitserklärung steht. Er bringt uns dazu, uns daran zu erinnern, was wir in Amerika alle gemeinsam haben, egal welche Hautfarbe oder welches Geschlecht wir haben oder wie alt wir sind."
Für Cynthia, die auf dem Gang vor dem Büro an die ausschwärmenden Freiwilligen Ansteckbuttons und Aufkleber austeilt, ist die Obama-Kampagne aus einem anderen Grund dringlich. "Was reden denn die Leute in Europa über uns?", will sie unbedingt wissen. Sie schäme sich so für George Bush, sagt die kleine schwarze Frau, und könne gar nicht erwarten, dass Obama das Ansehen der USA in der Welt wieder reparariert. "Vielleicht merken die Leute ja, wenn wir Obama wählen, dass wir gar nicht so schlimm sind." Vielleicht merkten ja auch die Amerikaner selbst, fügt Cynthia an, dass sie anders sind, als sie das von sich gedacht haben. "Wir brauchen Obama um unsere Selbstachtung wieder zu gewinnen."
Unten auf der Fulton Street steht neben zwei weiteren Obama-Helfern, die Aufkleber und Buttons verteilen, ein orthodoxer Jude mit dichtem Bart und langen Payoteh Locken und raucht eine Zigarrette. "Ich habe ein großes Problem", seufzt er. "Meine Gemeinde unterstützt Hillary, aber ich mag Obama. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich liebe seine Reden und ich liebe seine Energie." Er werde seine Entscheidung noch ein wenig hinausschieben, beschließt er, während er seine Zigarrette austritt, und erst am späten Nachmittag ins Wahllokal gehen.
Zwei Straßen weiter, an der Wall Street, ist in der mit Marmor ausgeschlagenen Lobby eines Bürohochhauses ein Wahllokal eingerichtet. Zwei der mönströsen, wie alte Fotoautomaten aussehenden Wahlmaschinen sind zwischen den Aufzügen aufgebaut und werden rechts und links von Wahlhelfern bewacht. Die Menschen, die vor der Arbeit schnell ihre Stimme abgeben wollen, stehen bis auf die Straße Schlange. Jennifer Leighdon, die elegant gekleidete PR-Chefin einer großen Finanzfirma hier an der Wall Street, hat sich im letzten Moment nach langem Hin und Her für Hillary entschieden. "Vielleicht bin ich zynisch", sagt sie, "aber die Obama-Kampagne ist mir ein wenig zu sehr stilisiert." Das Gerede von einer Bewegung, vom Wandel, von einem Neubeginn, das ist Leighdon alles zu vage und habe den Beigeschmack eines kalkulierten Effektes. "Es ist wie ein cooler lancierter neuer Pop-Trend", sagt sie. Und als PR-Expertin weiß sie, wovon sie redet.
Ähnlich skeptisch ist Barbara Schachter, eine der wenigen Clinton-Wahlkämpferinnen, die man inmitten der Heerscharen von Obama-Leuten am Super Tuesday auf den Straßen New Yorks sieht. Die 55 Jahre alte Psychologin steht im Greenwich Village vor dem Wahllokal in einer Schule an der Hudson Street und verteilt Karten mit Argumenten für die Lokalmatadorin. "Wirkliche Lösungen für Amerikas große Probleme", steht darauf gedruckt. "Wenn wir eine Monarchie hätten", sagt sie, "wäre es wunderbar, Obama als König zu haben. Ich liebe sein Charisma und ich liebe seine Reden. Aber in einer Demokratie ist mir jemand lieber, der ohne viel Getue ganz handfest die Dinge anpackt."
Edward Thomson hingegen ist ganz und gar vom Obama-Virus infiziert. Der 77 Jahre alte pensionierte Rechtsanwalt sitzt in einem Gewerkschaftsbüro an der Varick Street in Tribeca, wo die Obama-Kampagne eine Telefonzentrale eingerichtet hat, und versucht im letzten Moment Wähler zu mobilisieren. "Ich habe so etwas noch nie gemacht, ich habe mich noch nie freiwillig für eine politische Kampagne engagiert", sagt er. "Aber so etwas wie Obama hat es noch nie gegeben. Ich glaube fest daran, daß er wirklich etwas verändern wird." Das letzte Mal, so Thomson, sei er so begeistert gewesen, als der links demokratische Kandidat Adlai Stevenson 1956 gegen Eisenhower angetreten sei. Selbst John F. Kennedy, findet er, hätte Obama nicht das Wasser reichen können. Barack Obama, glaubt Thomson, meine es wesentlich ernster mit seinen Plänen für die Erneuerung Amerikas, als weiland Kennedy.
Auch zehn Kilometer nördlich in Harlem ist an diesem Super Tuesday viel von Barack Obama und nur wenig von Hillary Clinton zu sehen. An der Hauptgeschäftsstraße des Viertels, der 125ten, stehen auch zwei Stunden bevor die Wahllokale schließen noch an jeder Ecke Obama-Kämpfer und verteilen unermüdlich Aufkleber, Handzettel und Buttons. Im Schaufenster des Obama-Wahlkampfbüros an der 130ten Strasse stehen Schilder mit der Aufschrift "Harlem is Obama-Country". Der Slogan ist als Provokation gemeint, denn Harlem, wo Bill Clinton sein Büro hat, ist traditionell Clinton-Land.
Mit der gleichen Siegesgewissheit beginnt am Abend um acht im Lokal "Baton Rouge" an der 145ten Strasse die Wahlparty der Gruppe "Harlem for Obama". Als um neun über den Flachbildschirm hinter der Theke die Hochrechnungen für New York flimmern, wird es jedoch still im Raum: Clinton hat New York überlegen gewonnen. Nach aktuellen Hochrechnungen hat sie 57 Prozent der Stimmen erhalten. Obama lediglich 40 Prozent. "Eigentlich konnte man das ja erwarten", sagt Danaka Perry, eine elegant gekleidete schwarze Rechtsanwältin, die seit Tagen in East Harlem und der Bronx für Obama Klinken geputzt hat. "Aber wir hatten uns Illusionen gemacht, dass wir einen Überraschungs-Sieg schaffen." Ihr Engagement für den weiteren Wahlkampf wird die Niederlage jedoch nicht dämpfen, sagt Danaka entschloßen. "Das gießt nur Öl ins Feuer. Das ist heute erst der Anfang." Nacht acht Jahren der völligen Ohnmacht, so Danaka, habe sie erstmals wieder das Gefühl habe, etwas bewegen zu können. Und an diesem Gefühl möchte sie unter allen Umständen fest halten.
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