Rentner klagt gegen Steuernachteile: Vor dem Gesetz
Herr Morgan rechnet ein umstrittenes Instrument im Steuerrecht nach: Was hat es mit der „typisierenden Betrachtung“ nach Bert Rürup auf sich?
„Rürup, der als ein geistiger Vater der privaten Basisrente entscheidend am Alterseinkünftegesetz mitgewirkt hat, geht im Rahmen seiner Vorträge zum einen auf die gesetzliche und private Altersvorsorge ein.“ MLP „Finanzdienstleister für anspruchsvolle Kunden“ 2009.
Dr. Horst Morgan, Ingenieur im Ruhestand. Geboren und aufgewachsen in Köln, besuchte dort d. Gymnasium u. studierte anschließend an d. TH Aachen bis 1968 Elektrotechnik. 1984 Promotion („Wissensbasierte Validierung der Entwurfsqualität informationstechnischer Systeme“) 1968–1986 (Deutschland): Funktionen mit zunehmender Verantwortung. Managementaufgaben in verschiedenen Gebieten des Systems- und Softwareengineering. 1987–1991 (USA): Entwicklung von Langfriststrategien f. d. Forschungsprogramm eines Labors in d. USA u. Durchführung von Technologietransfers. 1991–1996 (Deutschland): Aufbau u. Organisation eines Dienstleisters f. Informationsverarbeitung u. Kommunikation. Ab 2000 im Ruhestand. Seit 1996 Befassung m. d. Rentenrecht. 1996, zusammen mit Otto Teufel u. anderen, Gründung d. ADG (Aktion Demokratische Gemeinschaft e. V. – ADG, München, Zusammenschluss kritischer Demokraten), dessen 1. Vorsitzender er war. Sein Schwerpunkt: steuerrechtliche Aspekte. Er ist Verfasser von Büchern u. Artikeln über Büroorganisation, Softwareengineering u. Computerlinguistik. Er wurde 1944 geboren, als Sohn einer Kauffrau und eines Apothekers, ist verheiratet und hat eine (nicht leibliche) Tochter.
Unbeachtet von der Öffentlichkeit verbringen einige unzufriedene Bürger und auch Bürgerinnen oftmals Jahre ihres Lebens damit, ein noch unbekanntes oder allgemein hingenommenes Unrecht aufzudecken und akribisch zu untersuchen. Mit enormem Fleiß, Ausdauer und Energie fügen sie eine unumstößliche Beweiskette zusammen, mit der sie all die Fehler und Finten dingfest machen können, die diesem speziellen Unrecht zugrunde liegen. Das sind enorme Leistungen, die aber so gut wie keine Würdigung finden. Schon gar nicht vor einem Gericht, das diesen Personenkreis eher dem der „nörgelnden Querulanten“ zuordnet. Dass der Bürger als Privatmann das Gesetz überprüft, ist eigentlich so auch nicht vorgesehen. Für all das gibt es Experten, Beamte, Staatssekretäre, Sachverständige, politische Gremien.
Was aber, wenn die alle versagen? Wenn ihr Versagen quasi die Voraussetzungen geschaffen hat für das Problem und für dessen Fortbestand? Herr Morgan und seine Frau wohnen in einem Apartmenthaus im Berliner Westend, in Sichtweite des Corbusier-Hochhauses. Meine Begleiterin Elisabeth und ich werden sehr gastlich empfangen, geradezu zeremoniell. Der Tee wird uns in Tassen aus hauchdünnem Porzellan gereicht. Alles ist perfekt, die Räume wirken durchdesignt bis ins Detail. Zu unserer Erleichterung aber zeigen sich unsere Gastgeber ausgesprochen amüsant und mit sarkastischem Witz gesegnet. Man warnt uns sogar ausdrücklich vor der Trockenheit des Gegenstands, um den es gleich gehen wird. Auf unsere Bitte, einfach mal zu erzählen, weshalb er sich acht oder zehn Jahre lang mit einem trockenen Gegenstand beschäftigt hat, sagt Herr Morgan:
Krasses Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts
„Es geht um ein krasses Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts, darum, wie ein Gericht, eine Sachverständigenkommission und der Gesetzgeber gemeinsam einen Beitrag geleistet haben zur Altersarmut. Also es betrifft die Jüngeren, die im Arbeitsprozess Stehenden ebenso wie die Älteren und die Rentner. Das Gesetz, von dem hier die Rede ist, ist das ’Alterseinkünftegesetz‘. Die Besteuerung von Renten erfolgt ja seit dem 1. 1. 2005 nach diesem Gesetz. Es wurde am 9. Juli 2004 verkündet, trat zum 1. Januar 2005 in Kraft. Es geht zurück auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2002 und auf die Arbeitsergebnisse und Empfehlungen einer extra eingesetzten ’Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkommen‘.
Im Jahr 2002 hat das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil zur Besteuerung von Renten und Pensionen gefällt. Arglos habe ich den Urteilstext gelesen. Ich dachte gleich, da kann doch was nicht stimmen. Das Gericht hat versucht, anhand von drei Argumentationslinien, die ’steuerliche Benachteiligung von Pensionären‘ gegenüber Rentnern aufzuzeigen. Mir fiel u. a. auf, dass immer wieder ein Terminus vorkam, den ich überhaupt nicht verstand. Ich habe im Duden geschaut, im Wahrig, nichts! Es handelt sich um den Terminus ’Typisierende Betrachtung‘. Ich habe das Gericht angeschrieben und gefragt, was ist das, eine ’typisierende Betrachtungsweise‘, was bedeutet das im Urteilstext? Und man hat mich dann belehrt, sie seien nicht verpflichtet, Auskunft zu geben. Auch der Schriftführer hat sich geweigert. Da stand ich erst mal dumm da und war natürlich verärgert.
Im Jahr 2003 wurde dann vom Bundesminister für Finanzen diese Sachverständigenkommission eingesetzt zur Erarbeitung von Empfehlungen für die Gesetzesvorlage. Den Vorsitz hatte Bert Rürup inne. Einer der Wirtschaftsweisen. Damals war er ein bekannter Mann. Stark gefragt auch bei der Privatwirtschaft, der er als Lobbyist der Privatvorsorge und zur Förderung der Geschäftsinteressen von Versicherungskonzernen hilfreich zur Seite stand. Bis unlängst noch tingelte er mit dem Finanzunternehmer Maschmeyer herum. Damals 2003 jedenfalls war er Vorsitzender in gleich drei Kommissionen. Alle zum Sozialsystem. In zweien hat er gesagt, wir müssen an den Renten sparen, in der dritten sagte er das Gegenteil. Also, im selben Jahr 2003, unter der Leitung desselben Kommissionsvorsitzenden Rürup, geht die Sachverständigenkommission davon aus, dass das Rentenniveau deutlich steigt, die anderen beiden Kommissionen dagegen, dass es deutlich sinkt.
2004 habe ich dann gesehen, auch das Gesetz basiert wieder auf der Betrachtung des sogenannten ’typisierten Pflichtversicherten“, also auf ’typisierender Betrachtung“, die nicht nur im Urteil, sondern auch im Bericht der Sachverständigenkommission eine entscheidende Rolle spielt. Ich dachte, wenn der Herr Rürup das so sagt, dann wird er es ja wissen. Also habe ich ihn angeschrieben und wieder meine Frage gestellt. Nach längerer Zeit bekam ich dann eine Antwort, indem er mir den Bericht der Sachverständigenkommission schickte. Den habe ich sehr gründlich studiert.
Der ’typisierte Pflichtversicherte“ ist ein Konstrukt
Also, diese ’typisierende Betrachtung“ ist ein umstrittenes Instrument im Steuerrecht, es wird eine fiktive Norm bestimmt, auf der dann quasi das Rechenmodell beruht. Der ’typisierte Pflichtversicherte“ ist ein solches Konstrukt: Er ist ledig und arbeitet 45 Jahre lang, wobei sein Lohn immer der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung entspricht. Also der verdient durchgehend recht gut – warum er nie heiratet? Vielleicht hat er nicht die Richtige gefunden? So einer jedenfalls ist eher die Ausnahme. Außerdem sind die Erwerbsbiografien, wie alle wissen, oft mehrmals unterbrochen.
Diesen ’Typisierten“ lässt Herr Rürup arbeiten von 1960 bis 2004 – Differenz plus eins, das sind die 45 Jahre, dann schickt er ihn 2005 in Rente, und die lässt er ihn beziehen bis 2021. Er ist also alles andere als ein typischer Pflichtversicherter, aber trotzdem der Referenzfall, das ’Leitbild‘ der Sachverständigenkommission. An ihm wird nun nachgerechnet. Nach Meinung und Willen der Sachverständigenkommission stammen nur ca. 35 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem versteuerten Einkommen. Dabei versteht sie allerdings unter einem ’Rentenversicherungsbeitrag aus versteuertem Einkommen‘ den Beitrag des Pflichtversicherten aus seinem versteuerten Lohn, abzüglich eines Anteils, der sogenannten Vorsorgepauschale.
Diese Vorsorgepauschale ist ein Steuernachlass für Vorsorgeaufwendungen sowohl für Versicherungspflichtige als auch für Beamte. Dieser Nachlass übrigens ergibt sich aus Tabellen, aus Steuertabellen, ist da schon eingearbeitet, alles ganz kompliziert. Für Versicherungspflichtige galten als Vorsorgeaufwendungen die Beiträge für die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. Bezüglich der Vorsorgepauschale von Beamten vermerkt das Gericht, die hätte seit 1983, wegen der Befreiung von der Renten- und Arbeitslosenversicherung, den Beamten nur in geringerem Maße zur Verfügung gestanden.
Das Gericht verschweigt: Beamte erhielten bis 1982 eine gleich hohe Vorsorgepauschale wie Pflichtversicherte, obwohl sie von den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung befreit sind. Aber selbst nach der Kürzung für Beamte im Jahr 1983 erhielten sie im Vergleich immer noch mehr. Zieht man z. B. von der Vorsorgepauschale des ’typisierten Pflichtversicherten‘ die Anteile für die Renten- und Arbeitslosenversicherung ab, dann bleibt eine Rest-Vorsorgepauschale übrig, und die ist immer geringer als die der Beamten. Pflichtversicherte erhalten also weniger Vorsorgepauschale für Versicherungen, die sie mit Beamten gemeinsam haben. Behauptet wird aber das Gegenteil!
Rürup hat einen Teil des Steuernachlasses geklaut
Und nun stellen Sie sich den ’Typisierten‘ vor, der ja an der Beitragsbemessungsgrenze verdient, der wendet im Jahr 2004 z. B. 10.000 Euro auf für die vier Pflichtversicherungen. Das ist viel Geld. Und dafür bekommt er etwa 2.000 Euro Steuernachlass. Und einen Teil dieses Steuernachlasses, den hat der Rürup geklaut – wenn man so will –, und keiner hat es bemerkt! Er hat ihn zurückgefordert und hat gesagt, ’aus versteuertem Einkommen‘, das heißt, was er gezahlt hat, abzüglich des Steuernachlasses, und zwar anteilig nur für die Rentenversicherung. Er hat gesagt, aha, sie zahlen nicht alles in die Rentenversicherung, einen Teil kriegen sie ja zurück. Er hat also das, was sie zurückkriegen, verteilt auf vier Versicherungen, die Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Und hat gesagt, diesen Teil für die Rentenversicherung, den ziehe ich dir immer wieder von deinen eigenen Beiträgen ab. Der Herr Rürup, der rechnet diesen Steuernachlass einfach propagandistisch von den Rentenbeiträgen runter und sagt dann, es sind nur 35 Prozent, die der Pflichtversicherte wirklich selbst einbezahlt.
Grämen Sie sich nicht, wenn Sie nichts verstehen. Ich werde Ihnen nicht den Hauch eines Vorwurfs machen. Mir ging es genauso. Außer Herrn Rürup und mir weiß das vielleicht keiner, wie das geht.“ Er lacht und sagt: „Nein, im Ernst, ich musste alle Daten von 1960 an nachsehen, also wie steigt die Kranken-, wie die Rentenversicherung. Ich war beim Bundesfinanzhof in München – damals haben wir noch in München gelebt –, man hat mir dort 7 Bände vorgelegt, das sind 45 Jahre gewesen. Aber mir fehlten dann immer noch 38. Und ich habe beim Beck Verlag angefragt, die waren sehr hilfsbereit. Der Abteilungsleiter war gerade weg und ich konnte seinen Schreibtisch benutzen und die restlichen Bände durchsehen.
Es ging sogar recht schnell, denn ich wusste ja, wonach ich suchen muss. Und ich habe so in etwa gesehen, wie sich diese sogenannte Vorsorgepauschale, also der Steuernachlass, errechnet. Das ist eine ganz schwierige Berechnung, das konnte ich nicht. Ich habe meinen Steuerberater gefragt, aber der hat gesagt, das macht er nie selbst, ist ihm zu kompliziert. Ich habe es dann notgedrungen alleine versucht mit dem Rechner. Dabei habe ich festgestellt, es ist gar nicht so schwer, man muss sich nur mit Ungleichungen beschäftigen. Wenn man 4 Ungleichungen löst, dann weiß man, wie das ganze Ding läuft! Im Nachhinein kann ich nur sagen, es war gut, dass ich mich so tief in das Thema gestürzt habe, denn nun wusste ich, wie der Herr Rürup den Rechentrick gemacht hat.
Merke: Das ’Alterseinkünftegesetz‘ beruht ja auf der Absicht, mehr zu versteuern, und zwar die Renten. Der Teil, der zu versteuern ist, das waren dann 50 %, und alle Jahre geht das teils hoch um 2 %, die Besteuerung der Renten steigt ja jahrgangsweise. Und jetzt haben wir 2013, da zahlt man schon 50 % plus 16 %, bis irgendwann … Aber das erleben wir nicht mehr. Uns betrifft es natürlich auch, mich mit 50 % und meine Frau sogar mit 54 %. Also noch mal: Eine steuerliche ’Vergünstigung‘ wie die Vorsorgepauschale, die der Gesetzgeber allen Steuerpflichtigen per Einkommensteuergesetz über mehrere Jahrzehnte eingeräumt hat, wurde von der Sachverständigenkommission benutzt, um eine höhere Steuer als wesentliche Charakteristik des Alterseinkünftegesetzes zu begründen.
Auch Rentner haben Zusatzeinkommen
Und durch dieses Gesetz wurde diese Vergünstigung also nach vielen Jahren rückwirkend wieder aberkannt. Und diesen Teil hat der Herr Rürup eben mal rückkassiert … bei ’typisierender Betrachtung‘.“ Alle lachen und er fügt hinzu: „Die Sachverständigen haben auch das vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erlassene Verbot der Doppelbesteuerung missachtet: beim ’Typisierten‘ und somit bei allen Pflichtversicherten, die vor 2025 ihre Arbeit begonnen haben und 2040 oder später in Rente gehen.
Und nun will ich noch mal auf das Urteil zurückkommen und kurz erläutern, was es für Fehler enthält und wie die Sachverständigenkommission sich gegenüber diesen Fehlern absolut blind gezeigt hat. Also wie ich schon erwähnt habe, bediente sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil dreier Argumentationslinien: a) durch einen Vergleich der damals gültigen Besteuerung von Renten und Pensionen, b) durch eine Analyse der Kapitalflüsse in der Rentenversicherung und c) durch einen Vergleich der steuerlichen Belastung von Beamten und Pflichtversicherten in der Erwerbsphase. Keine dieser drei Argumentationslinien ist frei von Fehlern.
a) Bei dieser Argumentationslinie, die den Kern des Urteils bildet, bedient sich das Gericht der Hilfe von vier Tabellen. Aber: In der 1. Tabelle sind alle Werte für Renten und Pensionen falsch. Beispielsweise ist von einer Rente von 62.000 Mark die Rede, aber solche Renten gibt es nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, die Pensionen hingegen sind viel zu niedrig angesetzt, solche Pensionen gab es auch nicht. Die wirkliche Pension war um knapp 5.000 DM höher zu dieser Zeit. In der 2. Tabelle sind die Werte für Renten falsch, und auf dieser Basis werden wieder die Steuern angeguckt. In Tabelle 3 sind die Werte für Renten und das zu versteuernde Zusatzeinkommen falsch.
Das Gericht hat festgestellt, auch Rentner haben Zusatzeinkommen. Und dann wird gesagt, es gibt bei Ledigen ein zu versteuerndes Zusatzeinkommen in Höhe von 10.000 DM, laut Statistischem Bundesamt waren es aber nur 5.000 DM, wobei die Hälfte davon der sog. ’Eigentümer-Mietwert‘ ist – eine rein statistische Größe. Also sind es nur 2.500 DM. Das Verfassungsgericht hat aber den vierfachen Wert eingesetzt. Und schließlich sind in der 4. Tabelle demzufolge die Werte für alle Pensionen und das zu versteuernde Zusatzeinkommen falsch. Falsch bedeutet: Die vom Gericht verwendeten Zahlen widersprechen entweder den vom Gericht selbst zitierten Quellen oder dem Beamtenrecht.
Geld der Beitragszahler an Stelle von Steuermitteln
b) Hier wurde ein Fehler gemacht bei der Analyse der Kapitalflüsse in der Rentenversicherung. Es wertet den Bundeszuschuss quasi als besteuerbares Einkommen. Es hat in seiner Beweisführung aber 3 Fakten nicht beachtet: 1. dass die Steigerung der ’Eckrente‘ – die gibt es auch nur auf dem Papier – nicht auf den Bundeszuschuss, sondern auf immer höhere Rentenversicherungsbeiträge zurückzuführen ist. 2. dass die fehlenden Teile des Bundeszuschusses durch Rentenversicherungsbeiträge gedeckt werden (verdeckte Besteuerung). 3. dass die angesparten Kapitalstöcke in der Rentenversicherung von insgesamt 17 Jahresausgaben ersatzlos enteignet wurden. Wobei Punkt 2 und 3 de facto eine steuerliche Subventionierung von Beamten und Pensionären beinhalten, da ja Geld der Beitragszahler an Stelle von Steuermitteln benutzt wird. Und das stellt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 GG dar und verletzt also Verfassungsrecht.
c) Der Fehler liegt hier beim Vergleich der steuerlichen Belastung von Beamten und Pflichtversicherten in der Erwerbsphase. Das Gericht versucht durch eine Analyse der Erwerbsphase zu zeigen, dass Pflichtversicherte nur einen geringen Teil ihrer eigenen Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen entrichtet haben, es argumentiert im Prinzip wie oben beschrieben bei der Behandlung der Vorsorgepauschale. Zur Vorsorgepauschale von Beamten vermerkt das Gericht, dass die ihnen wegen der Versicherungsfreiheit in der Renten- und Arbeitslosenversicherung seit 1983 nur in geringerem Maße zur Verfügung steht.
Das Gericht verschweigt, dass Beamte bis 1982 eine gleich hohe Vorsorgepauschale erhielten wie Pflichtversicherte, obwohl sie keine Sozialabgaben zu leisten haben. Aber selbst nach der der Kürzung 1983 erhielten Beamte im Vergleich zu Pflichtversicherten immer noch eine zu hohe Vorsorgepauschale, bei genauer Berechnung. Und das war aber der ’Beweis‘ des Gerichts, dass es in der ’Erwerbsphase‘ die Pflichtversicherten sind, die die großzügigen steuerlichen Nachlässe hatten.
Das Gericht hat also viel zu niedrige Pensionen zugrunde gelegt und viel zu hohe Renten, von denen mindestens 40 % der Männer und 90 % der Frauen nur träumen können. Dass Frauen bei uns, trotz Verfassung, weniger verdienen als Männer und dass sie in der Regel jämmerliche Renten bekommen, das müsste sich auch schon bis zu den Experten durchgesprochen haben. Es interessiert sie auch nicht das Problem der Niedriglöhne. Was für mich ein ganz großes Problem ist, weil sie nicht zum Lebensunterhalt reichen, sondern auch weil es die Rentenhöhe entscheidend festlegt.
Fehlerhafte Arbeit der Sachverständigenkommission
Nur durch die Verwendung falscher Werte für Renten, Pensionen und zu versteuerndes Zusatzeinkommen konnte das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung der ’steuerlichen Benachteiligung der Pensionäre‘ gegenüber den Rentnern stützen. Erwähnen möchte ich unbedingt noch, dass dieses Urteil ausgelöst wurde durch die Klage eines pensionierten Staatsanwalts, der seiner Frau nichts mehr zahlen wollte und sich darüber geärgert hat, dass sie viel weniger Steuern zahlt als er.
Und jetzt komme ich zur fehlerhaften Arbeit der Sachverständigenkommission unter Rürup. Die Sachverständigenkommission bestand aus sechs Mitgliedern, fünf davon waren Beamte. Zwei davon verfügten in Bezug auf Renten über ein überdurchschnittliches Fachwissen. Der Vorsitzende Herr Rürup und auch der Herr Rische, damals Präsident der BfA. Keinem sind die gravierenden Fehler im Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgefallen. Der Herr Rische hätte ja wissen müssen, wie hoch Renten sind. Und der Herr Rürup, der Rentenpapst der Regierung Schröder, der wusste natürlich auch nicht, dass es solche hohen Renten gar nicht gibt. Und dass der Bundeszuschuss zu gering ist, war ihnen auch entfallen, obwohl es vorher anderswo beide mal gesagt haben.
Von Sachverstand keine Spur!
Sie bemerkten auch nicht, dass gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstoßen wird, selbst bei ihrem Leitbild, dem ’Typisierten‘. Und die fünf Beamten, die wussten auch nichts, nicht mal, dass es derart niedrige Pensionen, wie im Urteil zu lesen, gar nicht gibt. Die Kommission hat ungeprüft die falschen Daten und Argumente des Bundesverfassungsgerichts übernommen und in ihre Empfehlung eingearbeitet. Von Sachverstand keine Spur! Aus all diesen Fehlern ergeben sich handfeste steuerlich-finanzielle Nachteile für Pflichtversicherte und Rentner. Es sind sieben Nachteile, die ich Ihnen nur mal ganz kurz zusammenfassen möchte. Zwei davon sind sozusagen ursächlich: der ’Rechtsprechungsnachteil‘ durch das Fehlurteil und der ’Nachteil durch die Arbeit des Sachverständigenkommission‘. Beide wiederum haben fünf weitere Nachteile zur Folge:
I. den ’Vorsorgepauschale-Nachteil‘: geringere Vorsorgepauschale für Pflichtversicherte für alle Versicherungen, die sie mit Beamten gemeinsam haben. II. den ’Progressionsnachteil‘: höhere Besteuerungsbasis bzw. Steuern der Pflichtversicherten durch Beiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung aus zu versteuerndem Lohn. III. den ’Grundpreis-Nachteil‘: unterschiedliche Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen für gleich hohen Rentenanspruch, aber Besteuerung der Rente nach gleicher Systematik (Steuersatz, Freibeträge). IV. den ’Nachteil der verdeckten Besteuerung‘: Verwendung von Rentenversicherungsbeiträgen als Ersatz für Steuermittel. Und V. den ’Nachteil der Doppelbesteuerung‘: Doppelbesteuerung der Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen durch obige steuerlich-finanzielle Nachteile. Na ja, das sind wohl Nachteile genug!
Wir werden alle behumst!
Bis ich so weit war, das alles wirklich zu durchschauen und auch zu berechnen, was die Nachteile in Geldwert ausmachen, ist viel Zeit vergangen. Es hat fast zehn Jahre gedauert, dieses Fehlurteil und seinen weiteren Weg bis zum Gesetz zu untersuchen. Bis ich beweisen konnte, wie dadurch zwei Drittel der deutschen Bevölkerung arm gemacht werden. Sie haben mich ja beide anfangs gefragt, weshalb ich das alles gemacht habe. Wahrscheinlich, weil ich mich aufgeregt habe über die Angelegenheit. Ein starkes Motiv war sicher, offenzulegen, werden wir betrogen oder nicht.
Und wenn ja, worin besteht eigentlich der Betrug? Gleichzeitig aber, das muss ich zugeben, war ich von der Schurkerei fasziniert. Dass z. B. über 45 Jahre Steuerpräferenzen wieder zurückgenommen werden, das sieht man nicht. Das steht da nicht. Das müssen Sie selber nachrechnen. Rürup hat alles in die Anhänge getan. Es ist ’perfekt‘ gemacht. Aber mein Ärger darüber, für wie doof und gutmütig und auch für wie demütig man gehalten wird, der überwiegt eigentlich alles.
Wir haben das, wie gesagt, auch mal durchgerechnet, was uns aufgrund dieses Gesetzes vom Staat weggenommen wird, haben eine Modellrechnung gemacht und das durchverzinst – mit dem fairsten Zinssatz übrigens –, und da kommen Sie natürlich auf enorme Beträge im sechsstelligen Bereich. Und wenn Sie dann noch die ’verdeckte Besteuerung‘ berücksichtigen, wo Ihre Beiträge als Steuerersatz mit hergenommen werden, dann kommen Sie auf richtig viel Geld. Das hat mich doch enorm geärgert. Wir haben uns dann besprochen, meine Frau und ich – sie hat das ja alles direkt und indirekt jahrelang mitgemacht –, und wir haben uns dann zur Klage entschlossen. 2010 haben wir unsere Klage eingereicht.
So lange hat es gedauert, bis ich wirklich dahintergekommen bin, wie hoch wir alle behumst werden. Wenn Sie klagen, dann müssen Sie einen triftigen Klagegrund haben und einen sogenannten ’Nachteil‘, das ist übrigens ein sehr alter juristischer Begriff und steht für einen persönlichen Schaden. Und zum Klagen, da braucht man auch Geld, aber Geld haben wir ja. Wir haben einen ’Vermögensüberhang‘. Machen wir was Gutes draus, dachte ich. Aber das ist leichter gesagt als getan. Sie glauben gar nicht, wie man da als Mensch behandelt wird. Was man uns für Hindernisse in den Weg legte. Dennoch haben wir die erste Hürde genommen und landeten beim Finanzgericht und da liegen wir nun schon seit drei Jahren herum. Aber wir warten und halten uns fit mit dem Laufband.
An zwei Schrauben drehen
Für so ein umfangreiches Vorhaben braucht man Zeit. Ich hatte Zeit. Besonders, nachdem ich rausgeflogen war. Ich war nämlich mal ein ernst zu nehmender Manager, SNI, die gab’s damals, Siemens Nixdorf Informationssysteme. Ich hatte 2.000 Mitarbeiter, ein ordentliches ’Volumen‘. Da war auch der Otto Teufel. Er war Betriebsrat und ich war so etwas wie der natürliche Feind des Betriebsrats. Im Rahmen einer großen Rationalisierung musste ich Leute entlassen. Ich war in dieser Firma – das nennt man ganz scheußlich – im ’oberen Führungskreis‘.
Aber ich dachte, gehe ich lieber mal selber hin und rede persönlich mit dem Betriebsrat, statt einfach nur die Leute hinzuschicken. Und einer von den Betriebsräten, mit denen ich gesprochen habe, war der Otto Teufel – später wurden wir sogar Freunde. Ich habe versucht, alles darzulegen, dass wir rationalisieren müssen, dass die Entlassungen eine beschlossene Sache sind, dass wir aber an zwei Schrauben drehen können: Die eine war die ’Abfindungsschraube‘ und die zweite war das Timing. Es war hart, aber damals gab es wenigstens noch Betriebsrenten … So habe ich den Otto und andere Betriebsräte kennen gelernt, und ich glaube, wir haben einigermaßen schlaue Kompromisse gefunden. Er musste dann ja auch gehen.
Mit der Führung hatte ich keine so gute Beziehung, einer war der Herr von Pierer, und mit dem anderen ging es noch schlechter. Und eines Tages wurde ich selbst entlassen. Überraschend. Zwar mit Abfindung, aber ich war arbeitslos. Die Begründung war, dass in diesem Bereich keine Führungskraft mehr benötigt wird, auch in der Zukunft nicht. Mein Job war letztendlich auch abgebaut worden. Ich bin dann sogar zum Arbeitsamt – ohne gesundes Ego stehen Sie das nicht durch.
Mit Altersarmut bedroht
Warteschlange, Marke ziehen, Kästchen ankreuzen. Mir wurde dann gesagt, ich sei überqualifiziert. Für Sie haben wir leider momentan nichts da. Ich wurde dann aber nach einiger Zeit wieder geholt von der Firma, als ’Berater‘, für ein paar Jahre. Ich kannte eine ganze Menge der rausgeflogenen Mitarbeiter, und das war eigentlich auch der Grund, weshalb ich dann mit Otto Teufel diesen Verein gegründet habe, diese ’Aktion demokratische Gemeinschaft‘. Zum Glück gab es damals noch eine Rente ohne Abschlag ab 60, das habe ich dann im allerletzten Moment wahrnehmen können.
Es wird uns zum Thema Renten, Altersarmut usw. unendlich viel erzählt, auch vom ’demografischen Wandel‘ ist ja gern die Rede. Bedauerlich, dass wir immer älter werden. Aber ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Nur die Rentner werden immer älter! Politiker und Beamte werden grundsätzlich nicht älter! Dabei werden sie im Schnitt zwei Jahre älter als Rentner. Die Dramatisierung des demografischen Wandels dient auch nur der Einschüchterung der Pflichtversicherten und der Erschließung neuer Geschäftsfelder der Versicherungsindustrie. Die, die jetzt arbeiten – ob vor oder nach dem Alterseinkünftegesetz –, die werden ausgeplündert und mit Altersarmut bedroht, das sollten sie wissen! Altersarmut würde es aber gar nicht geben, wenn man uns die geplünderten Rentenversicherungsbeiträge zurückerstatten würde, mit Zinsen, wie es sich gehört!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg