piwik no script img

Rennen um das Weiße HausMa Cruz Ramirez bittet zur Wahl

Arizona war Republikaner-Hochburg. Doch die Zahl der Latinos wächst. Sie wollen keine Abschiebungen und Grenzzäune, sondern Anerkennung.

Geht wählen! Ma Cruz Ramirez im Vorgarten der Familie Domingeuz, im Vordergrund Frau Dominguez Foto: Dorothea Hahn

Phoenix taz | Frau Dominguez hat weiße Plüschohren aufgesetzt, sitzt auf der Ladefläche eines geparkten Pick-up und baumelt mit den nackten Füßen. Für die kleinen Halloween-Monster aus der Nachbarschaft, die an diesem Abend von Haus zu Haus gehen, hält sie Süßigkeiten bereit. Zu Ma Cruz Ramirez, die vor ihr steht, sagt sie: „Alle Wahlberechtigten in meiner Familie haben ihre Stimmzettel bereits ausgefüllt. Und zwar richtig.“

Ma Cruz Ramirez strahlt und tippt in ihr Mobiltelefon ein, dass auch die Familie Dominguez gegen Sheriff Joe Arpaio ist. Dann verteilt sie an alle Familienmitglieder Aufkleber, damit sie zeigen können, wie sie gestimmt haben. Überschwänglich bedankt sie sich bei der Mutter auf dem Pick-up und sagt: „Du stimmst auch für mich mit“. Die Namen der beiden Präsidentschaftskandidaten, die ganz oben auf den 40 Zentimeter langen und beidseitig beschrifteten Stimmzetteln stehen, sind – eine Woche vor der Wahl – kein einziges Mal gefallen.

Ma Cruz Ramirez trägt ein rotes T-Shirt, das Sheriff Joe Arpaio in gestreifter Gefangenenmontur zeigt, und sie als Wahlkampf-Aktivistin und Mitglied der Gruppe „Bazta Arpaio“ ausweist. Seit Anfang September geht die 50-Jährige jeden Tag, wenn sie die Büros und Wohnungen geputzt hat, in West-Phoenix auf die Straße. Sie klopft mit einem Schlüssel oder einem Kieselstein an die metallenen Sicherheitstüren vor den Bungaloweingängen. „¡Hola!“, ruft sie auf Spanisch durch die verschlossenen Türen, „ich komme wegen der Wahlen. Wir müssen den Sheriff loswerden!“

Sie hat mit Hunderten Anwohnern gesprochen. Zuerst hat sie jene, die die US-Staatsangehörigkeit haben, aber bislang nicht wählen gingen, dazu gedrängt, sich ins Wählerregister einzutragen. Seit dem 10. Oktober, als die Frist dafür abgelaufen war, klopft sie an die Metalltüren, um daran zu erinnern, dass die Wahl näher rückt und der Wahlzettel ausgefüllt werden muss.

Ellenlange Wahlzettel

Manchmal hilft sie auch, den ellenlangen Wahlzettel auszufüllen, auf denen es neben der Präsidenten- und der Sheriffwahl auch um die Wahl von Kongressabgeordneten, von Senatoren im Bundesstaat, von Richtern und von der Schulaufsicht geht sowie um eine Erhöhung des Mindestlohns und die Zulassung von Marihuana.

Bei den Dominguez war das nicht nötig. Aber Ma Cruz Ramirez bleibt trotzdem so lange im Vorgarten stehen, bis die erwachsene Dominguez-Tochter den grünen Umschlag mit dem Wahlzettel bringt. Dann begleitet sie die Tochter mit den Briefwahlunterlagen über die Straße hin zu der Postbotin, die gerade vorbeikommt, und hält den Moment der Übergabe des Kuverts mit einem Foto fest.

Bei Leuten, die uns nicht hier haben wollen, putzt Ma Cruz Ramirez Büros

West-Phoenix ist ein Stadtteil, in den sich nur selten weiße Mittelschichtler verirren. Hier wohnen überwiegend Latinos. Manche Familien leben schon länger in Arizona als die weißen „Anglos“, die erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts in die Wüstenstadt kamen. Die meisten Latinos sind aber erst in dieser oder der vorausgegangenen Generation gekommen. In vielen Familie gibt es sowohl Angehörige, die legal in den USA sind, als auch welche, die jederzeit abgeschoben werden können.

Von Hidalgo nach Arizona

Zu Letzteren gehört Ma Cruz Ramirez. Sie ist vor 16 Jahren aus dem mexikanischen Hidalgo nach Arizona gekommen und hat ihre damals noch kleinen drei Kinder nachgeholt, damit sie den „amerikanischen Traums“ leben, damit sie studieren und Geld verdienen können.

Anfangs konnte sie noch in ihrem Beruf als Kosmetikerin arbeiten. Doch als Arizona die Schrauben fester anzog, verlor sie ihre Anstellung in dem Schönheitssalon. Sie verlegte sich auf das Putzen bei „Leuten, die uns nicht hier haben wollen“.

Recherchefonds Ausland e.V.

Dieser und viele weitere Artikel wurden durch finanzielle Unterstützung des taz Auslandsrecherchefonds möglich.

In den Augen von Donald Trump ist sie eine von 11 Millionen „Illegalen“, die er abschieben will, wenn er Präsident ist. Aber in diesem Wahlkampf in Arizona gehört sie zu den Hunderten von Aktivisten, die für eine Wiederbelebung der Demokratie einstehen. Sie haben den „schlafenden Riesen“ geweckt – die Latinos, die in Arizona schon heute ein Drittel und in der Hauptstadt Phoenix mehr als 41 Prozent der Bevölkerung stellen und die bald die Mehrheit im Bundesstaat sein werden.

Zigtausend neue Wähler

Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben die Latinos von Arizona lange ignoriert. Die Wahlkämpfer Hillary Clintons dachten, der Bundesstaat sei nicht zu gewinnen. Und die Republikaner glaubten, dass Latinos völlig mit ihrem Alltag beschäftigt sind und „eh zu Hause bleiben“, wie kürzlich noch die Republikanerin und Exgouverneurin von Arizona, Janice Kay Brewer, gesagt hat.

Doch jetzt sieht es so aus, als könnte das konservative Arizona erstmals nach Jahrzehnten wieder demokratisch werden: Aktivisten wie Ma Cruz Ramirez haben Zigtausende neue Wähler in die Listen eingetragen, und die meisten von ihnen werden demokratisch wählen.

Dabei hilft die Angst vor Trump – und es ist auch nützlich, dass Papst Franziskus gläubigen Latinos signalisiert hat, dass etwas Liberalität in Sachen Verhütung, Ehe und gleichgeschlechtlicher Liebe verkraftbar sei. Was aber vor allem zählt, ist das, was das eigene Leben berührt. „Die große Politik mag vielen egal sein“, sagt Ma Cruz Ramirez. „Aber wenn es darum geht, dass die eigenen Eltern, der eigene Mann oder das eigene Kind abgeschoben werden, sieht es anders aus.“

Sheriff Arpaio und seine Leute

Washington und das Weiße Haus scheinen Lichtjahre von West-Phoenix entfernt. Jeder in dem Stadtteil kennt jedoch jemanden, der von Sheriff Arpaios Leuten angehalten und verhaftet worden ist. Viele waren schon in dem Gefängnis, in dem die Gefangenen rosa Unterwäsche und gestreifte Monturen tragen müssen; wo sie bei der Arbeit am Straßenrand mit Fußketten an anderen Gefangene gefesselt sind.

Für die Latinos von Arizona ist der 84-jährige Sheriff Arpaio, der die Jagd auf „illegale Einwanderer“ zu seinem Markenzeichen gemacht hat und am 8. November erneut kandidiert, das Hauptproblem. „Jeder von uns hat Angst vor ihm“, sagt Mayra Dominguez, die Tochter. Sie ist zwar eine US-Staatsangehörige, aber das schützt sie nicht vor Polizeikontrollen, denn: „Ich sehe aus wie eine Latina.“ „Falls wir am 8. November den Sheriff loswerden“, ist sie überzeugt, „erledigt sich auch Trump.“

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Mit dem Risiko der Abschiebung lebt Ma Cruz Ramirez seit 15 Jahren. Für sie ist Arizona auch ohne die Mauer, die Trump bauen will, wie ein Käfig, den sie nicht verlassen kann. Sie kann nicht in das 300 Kilometer südlich gelegene Mexiko reisen, weil sie ohne Papiere nicht zu ihren Kindern in den USA zurückkehren könnte. Sie kann nicht in die Nachbarbundesstaaten Kalifornien und New Mexico reisen, weil sich auf dem Weg dorthin Kontrollstationen der Einwanderungspolizei befinden, die gezielt nach Latinos ohne Papieren suchen. Und sie kann nicht fliegen, weil auch dazu Ausweispapiere nötig sind.

Ein Leben wie im Käfig

Aber im Inneren von Arizona hat Ma Cruz Ramirez allmählich ihre Angst hinter sich gelassen. 2006 nahm sie erstmals an einem „Tag ohne Einwanderer“ teil, bei dem sie für Papiere demonstrierte. 2010 ging sie gegen eine Verschärfung des Ausländerrechts in Arizona auf die Straße. Die Erfahrung ihrer beiden ältesten Kinder rüttelte sie weiter auf: Auf der Suche nach dem „amerikanischen Traum“ wurden die beiden immer wieder abgewiesen: Sie durften als Papierlose keinen Führerschein machen, bekamen kein Studienstipendium und konnten keine reguläre Arbeit antreten.

Im Jahr 2012 organisierten sie zusammen mit anderen Teenagern ein Protest-Sit-in im Zentrum von Phoenix. „Es war gewaltfreier Widerstand“, sagt die stolze Mutter, deren drei Kinder heute eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung haben, die Präsident Obama geschaffen hat. Ihr ältester Sohn ist Koch und verdient genug, um seine Mutter zu unterstützen, die beiden Töchter studieren.

Wenn sie jetzt an die Metalltüren klopft, stellt Ma Cruz Ramirez sich laut und deutlich vor: „Ich bin eine Mutter ohne Papiere und ich möchte, dass ihr wählen geht.“ Die Adressen, die Namen und so persönliche Daten wie das bisherige Wahlverhalten stehen auf der Liste, die ständig von ihrer Gruppe „Bazta Arpaio“ aktualisiert wird. Ma Cruz Ramirez und ihre Mitstreiter ermuntern die Wähler, möglichst früh per Briefwahl zu wählen.

Chaos in den Wahllokalen

Denn am Wahltag erwarten sie lange Schlagen und Chaos in den Wahllokalen. Der Bezirk Maricopa hat die Zahl der Wahllokale von 200 im Jahr 2012 auf jetzt nur noch 60 reduziert. Und schon bei den Vorwahlen im März mussten manche Wähler bis 11 Uhr an Abend warten, bevor sie abstimmen konnten. Die Aktivisten sind überzeugt, dass die Schließung von Wahllokalen vor allem Einwanderer abhalten soll. Genau wie die fehlerhaften spanischen Übersetzungen in den Wahlbenachrichtigungen, in denen mal eine falsche Adresse des Wahllokals steht und mal der Wahltermin nicht stimmt.

Ma Cruz Ramirez hofft, dass sie in zehn Jahren ganz legal in den USA leben kann. Falls Clinton gewählt wird, werden Ma Cruz Ramirez und andere Latino-Aktivisten die Präsidentin an ihr Versprechen einer Einwanderungsreform erinnern. „Wir konzentrieren uns jetzt noch auf Arpaio“, sagt Ma Cruz Ramirez, „aber wenn der weg ist, werden wir uns um Clinton kümmern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!