Remake "Bad Lieutenant": Die Seele tanzt noch
Werner Herzog hat einen Film von Abel Ferrara neu gedreht: "Bad Lieutenant". Diesmal spielt Nicolas Cage den korrupten Polizisten, und die Handlung ist säkularisiert und politischer.
BERLIN taz | Die Stadt New Orleans ist nach dem Hurrikan "Katrina" zu einer amerikanischen Wegscheide geworden. Hier wird absehbar, ob es in Zukunft noch funktionierende urbane Strukturen geben wird, ob ein öffentliches Leben über ein paar Blocks im Zentrum hinaus für Zusammenhalt sorgt, ob die Institutionen einen Zusammenhalt gewährleisten können, den der Arbeitsmarkt nicht mehr schafft.
New Orleans ist ein Testfall, und als solcher erscheint die Stadt auch in Werner Herzogs neuem Film, "The Bad Lieutenant: Port of Call – New Orleans" (deutscher Titel: "Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen"), in dem ein Insert bald nach dem Prolog den Ort und die Zeit der Handlung benennt: Es ist die Zeit unmittelbar nach "Katrina", zu Beginn steht das Wasser buchstäblich noch bis zum Hals (eines Häftlings namens Chavez), sechs Monate später ist es abgeflossen, aber die Lebenssubstanz der Stadt ist immer noch nicht wiederhergestellt.
Der Polizist Terence McDonagh (Nicolas Cage), eben noch mit Auszeichnung zum Lieutenant befördert, wird an eine Mordszene gerufen. Eine Familie illegaler Immigranten aus dem Senegal ist ausgelöscht worden, offenkundig handelt es sich um einen Territorialkonflikt zwischen Drogenhändlern. McDonagh ist ein guter Polizist, aber er ist seit sechs Monaten nicht mehr ganz auf der Höhe.
Damals ist er nämlich ins Wasser gesprungen, um diesen Chavez zu retten, er hat sich dabei den Rücken verletzt und steht seither unter dem Einfluss von Schmerzmitteln. Zudem konsumiert er mit seiner Freundin, der Edelprostituierten Frankie (Eva Mendes), immer wieder Kokain, und die zunehmende Abhängigkeit von dieser Droge prägt seinen Alltag als Polizist. McDonagh ermittelt in einem wichtigen Kriminalfall, zugleich aber ist er selbst beschaffungskriminell.
Auf eine paradoxe Weise ist er aber gerade als der "Bad Lieutenant" die moralische, oder besser gesagt: ethische Instanz des Films. McDonagh ist eine zunehmend zerrüttete Figur, deren Intuition aber den schnöden Dienstalltag der Kollegen immer wieder transzendiert. Herzog findet für diese Ausnahmestellung eine sehr schöne filmische Umsetzung dort, wo eines Morgens ein Haus irgendwo in den Projects von New Orleans umstellt wird.
Ein Handlanger des Drogenbarons Big Fate soll hopsgenommen werden, zahllose Waffen sind auf die Tür des Holzhauses gerichtet, aber McDonagh weiß sich besser zu helfen. Er verschafft sich Zugang zum Haus daneben, geht durch die ärmlichen Räume nach hinten in den Garten, und von dort dringt er leise in das Haus des Gesuchten ein. Die große Kommandoaktion endet ohne Aufsehen und ohne Schießerei.
Nahe der Mythologie
Zugleich hat Herzog auch noch einige sehr eindringliche Bilder aus der Lebenswirklichkeit der lokalen Bevölkerung gefunden, er durchmisst in dieser Szene eine Welt, und es wird großartig klar, dass dieser McDonagh als Schmerzensmann der berufene Zeuge für die Heimsuchungen von New Orleans ist. Nicolas Cage spielt ihn mit einer beständig schiefer werdenden Haltung und visionärem Blick, und Herzog unterstreicht seine Sonderstellung noch dadurch, dass er ihn manchmal aus der Perspektive von Leguanen filmt - es sind dann kurze, nicht ganz scharfe "Point of View"-Einstellungen, die das konventionelle Blickregime eines Polizeifilms aufbrechen und spielerisch auf den Genius Loci zurückverweisen.
Denn auch das ist New Orleans im Zusammenhang des amerikanischen Kinos - ein Ort nahe an der Mythologie, am geheimen Wissen, an arkanen Zeremonien. Herzog lässt sich darauf nicht weiter ein, er bereichert den Film nur mit zwei, drei Momenten eines tierischen Staunens über diese seltsamen Menschen.
Die Tiernatur vertritt in "The Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" ein anderes System, das in dem Film eine wichtige Rolle gespielt hatte, auf den Herzog sich eigentlich beziehen müsste: Abel Ferraras "Bad Lieutenant" aus dem Jahr 1992, mit Harvey Keitel in der Hauptrolle eines namenlosen Polizisten in New York, der sich noch einige wesentlich deutlichere Überschreitungen der Zuständigkeit zuschulden kommt ließ als Terence McDonagh.
Das System, auf das sich Abel Ferrara und dessen Drehbuchautorin Zoe Lund bezogen, war eine Opferreligion christlicher Prägung. Unverkennbar folgte die Geschichte dieses "bösen" Lieutenants einer Dramaturgie von Abstieg und Sühne, theologisch gesprochen: Kenosis und Kreuz. Dass Harvey Keitel damals ein Zwiegespräch mit dem gekreuzigten Jesus hielt, war anstößig nur in einer Genrelogik, die Ferrara gleich mehrfach hinter sich ließ.
Werner Herzog ist zu weit herumgekommen, um sein Remake von "Bad Lieutenant" an die italokatholische Welt anzuschließen, in der Ferrara tief verwurzelt ist. Der Ortswechsel von New York nach New Orleans säkularisiert die Geschichte, er politisiert sie auch, und er eröffnet ebenjene anderen, spielerischeren Transzendenzmotive, von denen schon die Rede war.
Höhepunkt dieser neuen Situierung ist ein Moment, in dem ein weiterer Handlanger der Drogenbarone den Tod findet. McDonagh, der sich hier schon zwischen allen Fraktionen rettungslos verstrickt hat und schwer cracksüchtig ist, verlangt nach einem weiteren Schuss, denn er sieht die Seele des Toten noch "tanzen" - und Herzog zeigt nicht nur diesen Tanz, einen wilden Breakdance zu Bluegrass, sondern er zeigt auch das ekstatische Gesicht des Lieutenant, der vollkommen weggetreten und zugleich absolut präsent ist.
Bilder des Lebens
Nicolas Cage ist, dies nur nebenbei, gerade seiner limitierten psychologischen Register wegen hier so gut wie seit Brian de Palmas "Snake Eyes" nicht mehr. Es wäre aber zu einfach, "Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" nur für eine Fabel über die schlimmen Konsequenzen gröberen Substanzenmissbrauchs zu halten. Dazu sind doch die Bilder des Lebens in der Stadt, die Herzog sammelt und für die er sich insgesamt fast zwei Stunden Zeit nimmt (eine Menge für einen B-Movie-Stoff wie diesen), zu sorgfältig gewählt, zu bewusst auf einen panoramaartigen Überblick hin angeordnet. Die transzendente Note, die Ferrara sehr spekulativ ins Zentrum gerückt hatte, schlägt hier in eine Immanenzreligiosität um, die hart an den Rand eines Irrewerdens an der Wirklichkeit gerät.
Vor dreißig Jahren machte Werner Herzog, damals schon ein Großer des Kinos, in Amerika von sich reden, weil er öffentlich einen Schuh verspeiste. Les Blank war damals mit der Kamera dabei, und wenn es einmal eine DVD von "The Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans" geben wird, dann wäre der Kurzfilm "Werner Herzog Eats his Shoe" das wichtigste Bonusmaterial.
Denn hier sieht man nicht nur den "Verrückten" des Kinos bei einem seltsamen rituellen Akt, man sieht ihn auch mit dem Blick von Les Blank, der einer der großen Dokumentaristen der Südstaaten ist ("Garlic is as Good as Ten Mothers") und der die Verbindungslinie gezogen hat, auf der ein Reisender wie Herzog nach New Orleans gelangen konnte. Dass es vor allem steuerliche Gründe waren, aufgrund deren die Produktion nach Louisiana ging, ist kein Ausschließungsgrund: In den wichtigen Dingen gibt es immer einen profanen und einen höheren Grund.
Der "Bad Lieutenant" ist eine Figur, die "wahrsieht" - im New York der beginnenden Neunzigerjahre eine Stadt, deren moralische Grundfesten zu schwach geworden sind für die Investorenarchitektur, in New Orleans 2005 eine Stadt, die eine Kolonie geworden ist, abhängig von importierten Drogen, aufgeteilt in die Territorien der Dealer, strukturiert durch eine Ordnung des bezahlten Wegsehens. Terence McDonagh, ein Mann, dem die Pein im Nacken sitzt, hat nichts zu verlieren.
Er ist der Winzige, der den Dingen auf den Grund sieht. Zu Beginn opfert er seine teure Schweizer Baumwollunterwäsche, den Sprung ins Wasser unterbricht Herzog durch einen Schnitt, denn der Mann, der danach wieder an die Oberfläche der Erzählung kommt, ist schon ein Prophet (auf Heroin): ein Mann, der die Sintflut nicht überlebt hat, sondern für den sie ewige Gegenwart ist. Die Zukunft gehört den Echsen.
"Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen". Regie: Werner Herzog. Mit Nicolas Cage, Eva Mendes u. a. USA 2009, 122 Min.
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