Religionskult in Westafrika: Voodoo – staatlich anerkannt
Seit 20 Jahren ist Voodoo offizielle Religion im westafrikanischen Benin. Bei den Fetisch-Priestern holen sich sogar die Katholiken Rat. Und Touristen zahlen für bunte Fotomotive.
COTONOU taz | Voodoo – das klingt geheimnisvoll und magisch. Und vermittelt ein wenig Bilder von Zombies, bösen Geistern und von mit Nadeln zerpiksten Puppen. Doch davon will in Benin niemand etwas hören. Schließlich ist Voodoo in dem westafrikanischen Land seit mehr als 20 Jahren eine anerkannte Religion, die sogar ihren eigenen Feiertag hat.
Fröhliches Getrommel klingt vom Strand herauf bis an die kleine Küstenstraße. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit lassen drei Männer die Hände über das gespannte Leder ihrer Djembes gleiten. Zur kleinen Kapelle gehören vier weitere, die hinter ihnen stehen und Metallrasseln im Takt dazu erklingen lassen.
Gekrönt wird ihr Auftritt von mehreren Frauen, die sich für das kleine Fest direkt am Meer richtig herausgeputzt haben. Sie tragen farbenfrohe Kleider, schwingen ihre Hüften und tanzen über den feinen, hellgelben Sand am Strand in der Nähe von Cotonou, der größten Stadt Benins. Die Zuschauer klatschen, jubeln ihnen zu und feuern sie an. Zwischendurch stapft ein Mann mit weißer Maske und gestreiftem Kostüm auf riesigen Stelzen zum Publikum, schwankt hin und her, verneigt sich und springt wieder zur Seite. Auch für ihn gibt es Applaus. Etwas abseits steht auch Eric in seinem dunkelblauen Hemd und nickt anerkennend. "Gute Stimmung", sagt er knapp und grinst dann ein bisschen. "Wir feiern schließlich Voodoo."
Das Wort Voodoo stammt aus der Sprache der Fon, der größten Ethnie in Benin. Übersetzt bedeutet es Gott oder Gottheit. Im Zentrum steht der Schöpfergott Mawu/Lissa, der Himmel und Erde verkörpert. Mawu/Lissa verfügt über viele Kinder, die sich in Erd-, Wasser- und Himmelsgottheiten aufteilen lassen. Ähnlich der germanischen oder griechischen Mythologie hat jeder Gott einen eigenen Aufgabenbereich und wird mit speziellen Zeremonien verehrt. In Benin ist Voodoo eine staatlich anerkannte Religion und hat mit dem 10. Januar einen eigenen Feiertag erhalten. Dann finden auch die größten Festivals auf dem ganzen Kontinent statt. Durch den Sklavenhandel ab dem 16. Jahrhundert hat sich die Religion auch in Zentral- und Südamerika verbreitet.
Dann zeigt er drei riesige Gestelle, die wie kleine, runde Strohdächer aussehen. "Da drinnen sind die Fetisch-Priester", sagt er und tut geheimnisvoll. Er geht zu den Strohdächern, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Aus dem Inneren heraus erklingt eine dumpfe Stimme, die kaum verständlich ist. Eric erklärt: "Der Fetisch-Priester will tanzen. Und er bittet um ein kleines Geschenk." Nachdem er ihm durch einen engen Schlitz ein paar Cefa zugesteckt hat, geht es los. Erst langsam und dann immer schneller dreht sich der Strohkäfig. Und der Fetisch-Priester muss aufpassen, dass er nicht umkippt und ins Publikum kullert.
Eric ist zufrieden und beobachtet den Tanz. Doch was sich dahinter verbirgt, will er nicht erzählen. Er weicht aus. Ein paar Gäste, die nicht ins Dorf gehören, das sei schon in Ordnung. Aber eigentlich wollen die Menschen lieber unter sich bleiben, um den Voodoo-Festtag zu feiern.
Eine Lebenseinstellung
Ohnehin lässt sich Voodoo nur schwer in Worte und Erklärungen fassen. Das hat auch Henning Christoph immer wieder erlebt, der sich seit mehr als 30 Jahren mit der Religion beschäftigt und in Essen das Museum "Soul of Africa" aufgebaut hat. "Voodoo", erklärt er, "ist echter Glaube. Es ist eine Lebenseinstellung." Im Mittelpunkt steht der Schöpfergott Mawu/Lissa. Doch der sei zu weit weg, um überhaupt mit ihm zu kommunizieren. Daher hätte er als Gesandte seine Kinder geschickt.
Jeder dieser Götter hat - ganz ähnlich wie in der germanischen Mythologie auch - einen eigenen Aufgabenbereich. Verehrt werden sie mit ganz unterschiedlichen Zeremonien und Ritualen. "Schon alleine die Trommelklänge und Tänze unterscheiden sich enorm."
Doch von diesen Feinheiten ist während der Voodoo-Festtage nicht überall etwas zu spüren. Auch in Ouidah nicht, obwohl die Stadt mit ihren rund 88.000 Einwohnern als die Hochburg der alten Religion gilt. Das ganze Jahr über wirkt der Ort träge und verschlafen und erwacht nur, wenn sich rund um den 10. Januar Besucher aus aller Welt das größte Voodoo-Spektakel ganz Afrikas ansehen wollen.
Schon morgens drängeln sich die ersten Besucher auf den Festplatz, der direkt am Strand liegt. Er könnte nicht passender gewählt sein, denn gefeiert wird ausgerechnet unter dem riesigen hellbraunen Tor, dem "Punkt, der keine Wiederkehr zulässt". Das überdimensionierte Denkmal soll daran erinnern, dass Ouidah seit dem 16. Jahrhundert das Zentrum des Sklavenhandels war und von dort aus Millionen von Afrikanern nach Amerika versklavt wurden. Das Einzige, was sie mitnehmen konnten, war ihre Religion. Praktiziert wird sie deshalb außerhalb Westafrikas beispielsweise noch auf Haiti.
Doch an den Sklavenhandel mag während der Feier niemand denken. Stattdessen gibt es kurz vor den Wahlen etwas Politik und noch mehr Reden. Zwischendurch treten Tanzgruppen auf, und Touristen und Reporter liegen im Dauerwettstreit um die besten Fotomotive. "Es ist für Touristen gemacht", beklagt sich auch Barnabe Zannou. Der Übersetzer für Deutsch, Englisch und Französisch zeigt jedes Jahr Besuchern das Spektakel und erlebt, dass viele enttäuscht sind. "Überall müssen sie zahlen. Das ist eine schlechte Werbung für Benin", sagt er. Schon alleine die Foto-Genehmigung kostet mindestens 10.000 Cefa - gute 15 Euro. "Wenn das so weitergeht, werden immer weniger Menschen kommen", befürchtet Zannou und kümmert sich wieder um seine Reisenden aus Deutschland, für die das Festival der Auftakt zu einer mehrwöchigen Afrika-Tour sein soll.
Trotzdem ist das Fest wichtig für all jene, die Rang und Namen haben. Einer von ihnen ist Dah Aligbonon. Den ganzen Januar über hat der Voodoo-Priester einen randvollen Terminkalender, wird zu Veranstaltungen eingeladen und organisiert selbst kleine Zeremonien. Erst nach den großen Spektakeln in Ouidah und Grand Popo, das an der Grenze zu Togo liegt, kann er sich etwas erholen. Bester Rückzugsort ist sein Haus im belebten Stadtteil Kindonou mitten in Cotonou. Es ist eine lebendige und laute Gegend, ständig hupen Moped-Fahrer und versuchen sich auf ihren Zémidjans, den in Benin so typischen Zweirad-Taxen, durch die verstopfte Straße zu drängeln.
Genau dort hat Dah Aligbonon sein kleines spirituelles Zentrum aufgebaut, in dessen Mittelpunkt die Göttin Mami Wata steht. Sie wird in ganz Westafrika verehrt, ist mal böse, mal gut. Doch von dieser geheimnisvollen Atmosphäre, die sie umgibt, ist nachmittags wenig zu spüren. Stattdessen gleicht sein Grundstück einem staubigen Hühnerhof, den das Federvieh fast verzweifelt nach ein paar Körnern absucht. Doch es sind nicht irgendwelche Hühner und Tauben, die dort umherstolzieren. Die meisten von ihnen haben blaue und rote Stofffetzen auf ihren Flügeln heften. "Wir essen sie, aber einige von ihnen sind als Opfertiere bestimmt", sagt Dah Aligbonon und grinst wegen der europäischen Unwissenheit in sich hinein.
"Voodoo ist nicht brutal"
Der schmächtige Mann beobachtet sie ruhig, doch dann verschwindet das Lachen von seinem Gesicht. Er wird ernst und streicht sich ein paarmal über das weiße Gewand. Er möchte nicht, dass er missverstanden wird, denn "Opfer" hören sich so brutal an. Doch seine Religion, die sei nicht brutal. "Es war doch nicht Voodoo, das zum Beispiel Ussama Bin Laden angestachelt hat."
Genau das würden heute immer mehr Menschen erkennen. Darunter seien viele Westafrikaner, aber auch Amerikaner, die sich immer häufiger auf die Suche nach ihren Wurzeln machen würden. Doch nicht nur das: Immer wieder empfängt Dah Aligbonon auch katholische Geistliche, die ihn um einen Rat oder eine Zeremonie bitten. Es sind Gäste wie alle andren auch, über die sich der Voodoo-Priester schon lange nicht mehr wundert.
Denn es sei ausgerechnet die Kirche selbst, die ihre Mitglieder wieder zurück zum Voodoo treiben würde, und das, obwohl sie seit Jahrhunderten in Benin kräftig missioniert hat. Neben Kirchen und Schulen, die die Priester und Ordensschwestern aus der Alten Welt bauen ließen, setzten sie ganz gezielt auf die Kooperation mit Voodoo-Priestern. Sie passten sich an und versuchten so, das Vertrauen zu gewinnen. Häufig klappte es. Bestes Beispiel dafür ist die große Basilika in Ouidah. Es ist die einzige Kirche Westafrikas, die direkt gegenüber einem Voodoo-Tempel steht. Für den Bau schickte der Voodoo-Priester sogar Arbeiter. Doch mit dieser Harmonie ist es für Dah Aligbonon vorbei. Für ihn sind die Gotteshäuser zu reinen Geldmaschinen geworden. "Wer hingeht, muss morgens, mittags und abends zahlen. Sie sind doch so reich geworden", schimpft er und lehnt sich dann wieder auf seinem Stuhl zurück.
Genau diese Kritik geben viele Geistliche gerne zurück – allerdings hinter vorgehaltener Hand. Voodoo – da sind sie sicher – sei von vielen Priestern ebenfalls als gute Einnahmequelle entdeckt worden. Dah Aligbonon weist das energisch zurück und ärgert sich darüber. Doch auch bei ihm geht nichts ohne Geld. Bevor er sich auch nur auf eine Beratung einlässt, holt er seine zerknitterte Preisliste aus dem kleinen Büro. Zehn Minuten Beratung und Lebensweisheit kosten 15.000 Cefa – knapp 23 Euro.
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