piwik no script img

Religion in NigeriaDas Geschäft mit dem Glauben

In Zusammenhang mit dem Einsturz eines Kirchengebäudes in Lagos 2014 werden nach Recherchen der BBC erneut massive Anschuldigungen laut.

Rettungskräfte suchen 2014 in den Trümmern der Synagogue Church of All Nations in Lagos, Nigeria, nach Überlebenden Foto: Sunday Alamba/picture alliance

COTONOU taz | Es ist einer der schwersten Einstürze einer Kirche auf dem afrikanischen Kontinent gewesen: Im September 2014 kamen in Nigerias Megacity Lagos mindestens 116 Personen ums Leben, als das an die Kirche angeschlossene Gästehaus der Synagogue Church Of All Nations (SCOAN) zusammenbrach. Gründer der charismatischen Megakirche war im Jahr 1987 Temitope Balogun Joshua, besser bekannt als Prophet T. B. Joshua. Er starb 2021.

Eine nun veröffentlichte Recherche der British Broadcasting Corporation (BBC) bestätigt das, was schon kurz nach dem Unglück vermutet wurde: Menschen starben auch durch eklatantes Fehlverhalten der Verantwortlichen.

Augenzeugen berichteten, dass Be­su­che­r:in­nen am Unglückstag nicht gewarnt wurden, obwohl die Mauern schon Stunden zuvor gewackelt hatten. Stattdessen wurden mehr als 200 in den Speisesaal gebracht, wo Betonfundamente auf sie stürzten. Während viele sofort starben, saßen 100 in der Falle. In der Recherche wird Augenzeuge Emmanuel zitiert: „Die Stimmen verklangen nach und nach. Es war klar, dass die Menschen langsam starben.“

Die Liste der Vorwürfe ist lang. Es heißt, dass Leichen in der Nacht weggeschafft wurden, um das Ausmaß zu vertuschen. Überlebende und Familien der Opfer sollen zum Stillschweigen verpflichtet worden sein. Auch soll ein Kirchenmitarbeiter jemandem ein Bein mit einer Kettensäge amputiert haben, weil dieses unter einem heruntergestürzten Balken eingeklemmt war. Der Grund dafür: 24 Stunden lang wurde Hilfskräften der Zutritt verwehrt, was schon kurz nach der Katastrophe kritisiert wurde.

Schlechte Bausubstanz

Als Ursache für den Einsturz gilt die schlechte Bausubstanz. Das modern anmutende Gebäude im Stadtteil Ikotun war nie auf so viele Be­su­che­r:in­nen ausgelegt gewesen. Ohnehin hatte es nie eine Baugenehmigung gegeben. In Nigeria ist das keine Seltenheit. In Großstädten stürzen regelmäßig Gebäude ein. Die Begründung von T. B. Joshua ist jedoch recht einzigartig gewesen: Er machte kurz darauf ein Flugzeug verantwortlich, das eine halbe Stunde über dem Gebäude gekreist haben soll.

Für Unerklärliches, Übernatürliches sowie Prophezeiungen hatte er sich ohnehin knapp 35 Jahre lang auf dem ganzen Kontinent einen Namen gemacht. Vor Präsidentschaftswahlen orakelte er gerne über das Ergebnis. In seinen Gottesdiensten, zu denen Zehntausende kamen, behauptete er, Menschen mit Querschnittslähmung und HIV/Aids zu heilen. Heilversprechen und die Aussicht auf ein auch finanziell besseres Leben kommen an.

Damit hat Joshua einen bisher unbekannten internationalen Religionstourismus etabliert. An­hän­ge­r:in­nen reisten aus den USA, Europa sowie Südafrika an, weshalb die Mehrzahl der Opfer 2014 auch Süd­afri­ka­ne­r:in­nen waren. Für ihren Aufenthalt ließ er direkt neben der Kirche ein Gästehaus errichten. Wer kommen möchte, bucht ein Rundumpaket, das keine Kontakte außerhalb des Kirchengeländes zulässt. Alles wird von Kameras überwacht.

Die weltweite Bekanntheit verdankte die Kirche schon früh einer ausgeklügelten Medienpräsenz. Als andere Kirchen noch DVDs verkauften, verbreitete „Emmanuel TV“ längst Gottesdienste und Predigten. Auf YouTube werden Videos millionenfach geklickt.

Kontakte in die Politik

Kontakte hatte Joshua auch in die Politik. Während der Amtszeit von John Atta Mills soll der selbsternannte Prophet regelmäßig Osu Castle, den früheren Sitz der ghanaischen Regierung, besucht haben. Bei dem einstigen liberianischen Rebellenführer Prince Johnson, der 2006 Senator der Grafschaft Nimba wurde, hing Joshuas Porträt im Besuchszimmer.

Zeitgleich zu der Veröffentlichung der Recherchen zum Kircheneinsturz werden weitere Vorwürfe laut. In einem Zeitraum von 20 Jahren soll er Mitglieder missbraucht und vergewaltigt haben. Einige lebten jahrelang bei ihm und arbeiteten, ohne dafür Lohn zu erhalten. Zur Rechenschaft gezogen wurde er nie. Die Kirche wird von Joshuas Frau Evelyn fortgeführt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • "Wer kommen möchte, bucht ein Rundumpaket"



    Riecht nach klassischer Geldmacherei.