Religiöses Spektakel auf der Krim: Zar Nikolaus weint Öl

Chrisam nennt sich das aromatisierte Salbungsöl, das der Zarenbüste entströmen sollte. Diese Entdeckung gab eine Duma-Abgeordnete bekannt.

Büste von Nikolaus II

Das wundertätige Kunstwerk in Simferopol Foto: ap

MOSKAUtaz | Zu religiösem Traditionalismus und konservativer Wertewelt, die der Kreml auf seine Fahnen geschrieben hat, dürfte auch der Glaube an ein Reich der Wunder passen. Das hat sich die Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja wohl auch gedacht, als sie am vergangenen Wochenende der Welt von einem Wunder kündete.

In Simferopol auf der Krim soll die Büste des Zaren Nikolaus II. Tränen vergossen haben. Wähler wollen es ihr berichtet haben, sagte die 33-jährige Ex-Generalstaatsanwältin von der Krim. Streng, herrisch und willfährig war Natalja Poklonskaja den russischen Besatzern 2014 bei der Abwicklung des russischen Anschlusses der Halbinsel zu Diensten gewesen. Ergriffen und überwältigt sprach sie unterdessen von dieser Erscheinung im Zargrad TV. Das ultrakonservative Medium transportiert schon im Namen den Anspruch, Zargrad (Byzanz) sei eigentlich Teil der russisch orthodoxen Welt.

„Nicht einmal Wissenschaftler können diese Wunder erklären“, sagte die Abgeordnete. Eltern brächten Kinder zu Nikolais Büste, um dessen Heilkräfte zu empfangen. Die Abgeordnete der Kremlpartei Einiges Russland ist schon seit Langem Anhängerin des letzten russischen Zaren. Neben ihrem früheren Arbeitsplatz in Simferopol regte sie den Bau einer Kapelle für die ermordete Zarenfamilie an, in deren Vorgarten nun die Zarenstatue auf einer Stele ruhend Tränen vergießt.

Präsident Wladimir Putin hatte die Krim für Russland bereits zu einem sakralen Ort erklärt, wo die Rus den christlichen Glauben empfing. Für die Geschichtswissenschaft ist dies nicht geklärt. Natalja jedoch erkannte die Zeichen.

Ordnungsgemäßer Patriotismus

Am Tag des Sieges über Hitlerdeutschland marschierte die Parlamentarierin 2016 mit einem Zarenbild in den Reihen des „unsterblichen Regiments“, das in Russland vornehmlich der Gefallenen des Zweiten Weltkrieges gedenkt. Werbung in eigener Sache beherrscht Natalja aus dem Effeff. Sie spürt, wenn die Öffentlichkeit sie aus den Augen verliert. Nach der Annexion hatten vor allem Japaner die zierliche Juristin mit dem niedlichen Gesicht und den großen Augen ins Herz geschlossen. Manga-Zeichner ließen sich von der uniformierten Juristin beflügeln.

Fast auf den Tag genau hundert Jahre nach Abdankung des 2000 heiliggesprochenen Zaren geschieht nun das Unfassbare! Sollte das kein Zeichen sein?, fragt Natalja. „Unsere Herrscher stehen an unserer Seite. Sie gaben ihr Leben, damit wir Russland wieder zu einem großen und blühenden Land machen“, erzählt sie Zargrad TV. „Das ist doch unsere Pflicht.“ Sie beherrscht den patriotischen Diskurs.

Zargrad TV

„Unsere Herrscher ste-

hen an unserer Seite“

In Simferopol verleiht unterdessen ein Priester der Kapelle dem Ereignis noch mal Glaubwürdigkeit. Die Büste sei mit einem Ölfilm überzogen und ströme Wohlgerüche aus, erzählt er den angereisten Medien. Chrisam nennt sich dieses aromatisierte Salbungsöl, das dem Zaren entströmt.

Kaum zu glauben, in Wyborg an der finnischen Grenze will der Bürgermeister einer Nachbargemeinde nun auch noch eine weinende Leninstatue entdeckt haben: Revolutionsführer Lenin würde sich wohl über die Abgeordnete lustig machen, vermutete der ungläubige Stadtvorsteher.

Moskau versucht auf Biegen und Brechen, die blutige Geschichte des Reichs harmonisch umzudeuten. Könnten es nicht auch Tränen der Versöhnung sein, so wie es sich der Kreml wünscht? Dann die Ernüchterung. Eine kirchliche Kommission stellt fest: Nikolais Büste ist trocken. Also kein Wunder.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.