: Rektor verbietet Lesung eines türkischen Autors
■ Am Gymnasium Geretsried in Bayern darf Osman Engin nicht lesen – trotz Schülerprotest
Berlin (taz) – Auch der Einsatz der 8a hat nichts genutzt. Auf Minitransparenten forderten die Achtkläßler des Gymnasiums Geretsried vergangene Woche: „Wir wollen Osman Engin“. Aber keine Chance. Der türkische Schriftsteller durfte an der Oberschule des 20.000-Einwohner-Orts nahe München nicht aus seinem Roman „Kanaken-Gandhi“ vortragen. Engins Lesereise durch Süddeutschland endete in Geretsried – an den Befugnissen eines bayerischen Schulrektors.
Fünf Klassen des Gymnasiums wollten Engins Satire auf einen Zuwanderer hören, dem die deutschen Behörden Asyl verweigern, obwohl er es gar nicht beantragt hat. Wie Engins Held mit dem Signum „Abgelehnt!“, so scheiterte auch Engin selbst an den Absurditäten deutschen Verwaltungshandelns. Willi Eisele heißt der Rektor, der die Lesung des in Deutsch publizierenden türkischen Schriftstellers untersagt hat. Die Begründung: Zeitgleich finde ein Mädchen-Volleyballturnier statt.
Was Lehrer, Schüler, Eltern empört, setzt Rektor Eisele in kühlen juristischen Termini auseinander. „Der Ablauf des Unterrichts liegt in der Verantwortung des Schulleiters“, erläuterte Eisele der taz seine Ablehnung. Die Lesung sei nicht „rechtzeitig beantragt“ worden. Mehr gebe es zu dem „innerdienstlichen“ Vorgang nicht zu sagen. Daß ein Türke in den Zeiten des Streits um die doppelte Staatsbürgerschaft am Lesen gehindert wird, ist für den Rektor kein Thema. „Ein bayerisches Gymnasium wird allein durch den Rektor nach außen vertreten.“
Aber kann der Rektor nach innen regieren, in den Unterrichtsablauf der Klassen? Er kann. Im Deutschlehrplan der Achten stehen zwar Humor und Kritik. Aber Osman Engin steht nicht drin, und alles, was nicht explizit aufgeführt ist, darf in Bayerns Gymnasien nur „im Einvernehmen“ mit dem Rektor Unterrichtsstoff werden. „Ich bin das von der Türkei gewohnt“, sagt Engin, „so daß ich mich gar nicht aufgeregt habe.“
„Hier bestimmt der Rektor – Lehrer haben wenig zu sagen, die Eltern kaum etwas und die Schüler erst recht nichts“, macht Edgar Frank seinem Frust Luft. Obwohl er, ein Deutschlehrer, inzwischen im Ruhestand ist, hat er die Nase voll von seinem Ex-Rektor Eisele. „Das ist ein CSU-Fundamentalist“, seufzt Frank, der nicht das erste Mal an dem Schulleiter gescheitert ist. Die Initiative Forum, ein dem Geretsrieder Gymnasium nahestehender Kulturverein, hatte für kommenden Montag die „Berliner Compagnie“ eingeladen. Die Truppe macht seit fast 20 Jahren politisches Theater. In Geretsrieds Oberschule sollte sie das Stück „Blut für Öl“ aufführen, eine Hommage an den in Nigeria hingerichteten Schriftsteller Ken Saro- Wiwa. Die Ermordung der Stimme des Ogoni-Volkes steht für die Repression autoritärer Regime und hat 1995 die Weltöffentlichkeit bewegt. Aber in Geretsried darf Ken Saro-Wiwa nicht auferstehen. Auch das hat Rektor Eisele verfügt – weil es sich um eine rein außerschulische Veranstaltung handele.
Am meisten ärgert man sich am Gymnasium darüber, daß Eisele mit den beiden Absagen der Schule ein „bitteres Abschiedsgeschenk“ gemacht hat. Über die Selbstherrlichkeit des Rektors hatten Lehrer und Schüler so lange Klage geführt, bis er sich schließlich zum Rückzug entschloß. Seit gestern ist der Rektor, den Bildungsministerin Monika Hohlmeier hinter den Kulissen zurückbeorderte, nicht mehr an der Schule. Jetzt ist er beim Institut für Schulpädagogik in München beschäftigt.
Sein Nachfolger, Hans-Georg Mühlbauer, will wieder Ruhe in Geretsrieds Gymnasium und ins Lehrerkollegium bringen: „Warum soll man von der Höhe des Hügels Entscheidungen wie ein Feldherr führen?“ Er werde die Anfragen für Lesung und Polit- Theater „unvoreingenommen“ prüfen, versprach Mühlbauer. In Geretsried ist man gespannt. Christian Füller
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