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Rekord-Nostalgie

■ Gruner+Jahr-Bilanz: Schulte-Hillen inszeniert Abschied vom Vorsitz

Es ist die Schulte-Hillen-Show. Auf der Großleinwand erscheinen Gruner-und-Jahr-Erfolgsmeldungen, Starfotograf Robert Lebeck schießt die Bilder, und der scheidende Vorstandschef schwelgt in Erinnerungen. An die Zeit, in der er als Chef der G+J-Druckerei in Itzehoe gegen einen wilden Streik der Belegschaft vorging, an die „schöne und schmerzvolle Zeit“ der Übernahme der Mopo und an die Affäre der Hitler-Tagebücher. Gerd Schulte-Hillen nimmt Abschied als Vorstand beim Hamburger Großverlag, er wechselt in den Aufsichtsrat. Gestern zur Jahresbilanz ließ er sich die Schau aber noch nicht von seinem Nachfolger Bernd Kundrun stehlen.

Auf Schulte-Hillens Abgang zugeschnitten sind die Zahlen des Verlages rekordverdächtig. 551 Millionen Mark Jahresüberschuss, ein Gesamtumsatz von 5,76 Milliarden Mark, Anzeigenerlöse, die der Verlag vor einem Jahr selbst nicht erwartet hat. Die Anzeigenzuwächse und vor allem die Verkäufe decken allerdings manche Schwäche im Verlag zu. Die Mopo hat man abgegeben, den Internet-Suchdienst Fireball, eine ungarische Tageszeitung – das hat Geld ins Haus gepült. Dass der Stern eher schwächelt, dass TV Today im Minus steckt und die Financial Times Deutschland nicht so gut läuft wie erhofft, davon wollen Schulte-Hillen und Kundrun an solch einem Jubel-Tag nichts wissen. Zu den genauen Zahlen einzelner Zeitschriften-Titeln nehme man prinzipiell keine Stellung, und in Sachen FTD macht Kundrun in Optimismus: "Wir sind trotz aller Zwischenrufe absolut im Plan.“ Die Auflage, derzeit bei knapp 60.000, wolle man nach wie vor innerhalb von vier Jahren verdoppeln.

Offenherziger wird der abtretende Vorsitzende, wenn „trotz des Wertvollsten bei G+J, des internen Umgangs miteinander“, Mitarbeiter von der Fahne gehen. Den Entschluss einer Reihe von G+J-Leuten aus dem Electronic Media Service EMS, sich trotz gültiger Verträge selbstständig zu machen, nennt Schulte-Hillen „illoyales verhalten“, das man nicht hinnehmen könne. „Das sind junge Leute, die sich von Phantasien des schnellen Reichtums hinreißen lassen“, schiebt er noch eine väterliche Analyse hinterher und kündigt rechtliche Schritte gegen die Mitarbeiter an. aha

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