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Reise in die VergangenheitAbschied am Meer

Der Film „Meine Schwestern“ erzählt von einer 30-Jährigen, die vor einer schweren Operation mit ihren Schwestern an die Orte ihrer Kindheit reist.

Noch einmal vereint in St. Peter Ording: Die Schwestern Clara (Lisa Hagmeister), Linda (Jördis Triebel) und Katharina (Nina Kunzendorf) Bild: dpa

BREMEN taz | Die intensivste Szene des Films wird ohne Worte gespielt. Da sehen zwei Frauen ihrer Schwester einfach nur beim Aufwachen zu. Linda ist, nein, sie war immer krank. Sie wurde mit einem schweren Herzfehler geboren und es war immer klar, dass sie nicht lange leben würde. Nun hat sie als 30-Jährige vor einer Operation, bei der sie spürt, dass sie sie nicht überleben wird, ihre beiden Schwestern dazu gebracht, mit ihr gemeinsam eine Reise zu den Orten zu machen, an denen sie glücklich waren.

Im Nachtzug nach Paris erleben die beiden Schwestern so unmittelbar wie wohl noch nie, wie schwer es für Linda ist, einfach nur die ersten Bewegungen am Morgen zu machen. Zuerst liegt sie dort so still, als wäre sie schon tot und dann dauert es quälend lange, bis eine Hand sich langsam die Wand herauf tastet. Katharina und Clara können dabei nur hilflos zusehen.

Nach der Vorpremiere des Films im Bremer Kino Cinema erzählen die Schauspielerin Jördis Triebel und der Regisseur Lars Kraume, dass Triebel sich die Zeit für solche Momente einfach genommen hat. Er wollte mit Tempo inszenieren. Doch sie hatte nach ihren Recherchen mit Patienten, die unter der gleichen Krankheit leiden, eine genaue Vorstellung davon, wie lange es dauern würde, bis etwa der Kreislauf von Linda wieder in Gang kommt. Kraume war so klug, es ernst zu nehmen, wenn Triebel sagte: „Meine Figur ist langsam.“

Die Vorstellung in Bremen war für Jördis Triebel ein Heimspiel mit vielen ehemaligen Kollegen und Bekannten im Publikum. Hier hatte sie nach dem Abschluss an der Schauspielschule „Ernst Busch“ ihr erstes Engagement. Ihre drei Jahr von 2001 bis 2004 im Ensemble des Bremer Theaters nennt sie „volle Jahre“ und meint dies im doppelten Sinn des Wortes. Heute komme es ihr so vor, als habe sie damals nur „gespielt und gegessen“.

Danach kamen die großen Angebote sowohl vom Theater wie auch von Fernsehen und Kino. Mit Lars Kraume als Regisseur hatte sie schon einige Folgen der ZDF-Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“ gemacht, und da dort eher auf Charakterstudien als auf Genrekonventionen Wert gelegt wurde, war der Unterschied zum Theater gar nicht so groß.

Die Rolle in „Meine Schwestern“ war für sie wie ein Geschenk, und dies nicht nur, weil Linda der Schwerpunkt des Films ist, um den alle anderen kreisen, sondern auch, weil sie und die anderen SchauspielerInnen den Stoff und ihre Figuren mit entwickeln durften. Denn Kraume drehte chronologisch, und das ist sehr ungewöhnlich, weil es viel aufwendiger ist als das Arbeiten nach den üblichen, fragmentarischen Drehplänen. Doch die entscheidende Frage, ob Linda überlebt, entschied Kraume erst am Schneidetisch und so mussten die Akteure ihre Figuren bis zum Schluss im Schwange halten, und dieses Ungewisse im Spiel kann man spüren.

Im Gegensatz dazu ist dem Zuschauer von Anfang an klar, wie es endet. Während ihr toter Körper in der ersten Sequenz des Films auf einer Bahre vom Operationssaal in ein Eisfach im Keller verfrachtet wird, spricht sie aus dem Jenseits zu uns wie einst William Holden in Billy Wilders „Sunset Boulevard“. Ein ernüchternder Beginn, der für Kraume dem Film seine „existentielle Härte“ gibt. Tatsächlich ist dies ein sehr effektiver dramaturgischer Eröffnungszug: Der Zuschauer sieht die Figuren in der folgenden Rückblende mit dem Bewusstsein, dass Linda alles zum letzten Mal macht, und deshalb auch vieles unbedingt noch einmal tun will.

So will sie etwa die Tage vor der Operation mit ihren Schwestern verbringen und mit ihnen nach Tating fahren, wo sie als Jugendliche oft den Sommer verbrachten. Die kleine Gemeinde in der Nähe von St. Peter Ording wirkt wie ein Sehnsuchtsort der drei Schwestern. Sie machen Spaziergänge am Strand und betrinken sich in einer Dorfkneipe.

Vor allem aber sind sie in einer Pension zu Gast, die wie ein verwunschener Ort wirkt – es hat sich nichts verändert, seit sie vor Jahrzehnten das letzte Mal da waren. Es gibt keine Gäste außer ihnen, der Wirt erkennt sie sofort wieder und scheint all die Jahre nur auf sie gewartet zu haben. Hier gibt es eine eigentümliche Parallele zu „Nordstrand“ von Florian Eichinger, der auf Norderney gedreht wurde und auch in solch einem Haus aus der Vergangenheit spielt.

Lars Kraume kam auf die Idee zu „Meine Schwestern“, weil ein Cousin von ihm unter der gleichen Krankheit litt. Weil er nicht ständig seinen Protagonisten mit dem realen Vorbild vergleichen wollte, hat er sich entschieden, von einer Frau und ihren Schwestern zu erzählen.

Deren Beziehung zueinander wird extrem durch die Krankheit bestimmt. Die ältere Schwester Katharina musste immer verantwortlich handeln und Rücksicht nehmen, die jüngere Clara entwickelte extreme Ängste und Verdrängungsmechanismen, sodass sie nie die Chance hatte, wirklich erwachsen zu werden.

Nina Kunzendorf und Lisa Hagmeister spielen ihre Rollen so wahrhaftig wie Jördis Triebel, deshalb wächst aus dem komplexen Verhältnis der drei zueinander ein berührendes Drama. Dabei sind die Grenzen zum Kitsch immer nah, und Lars Kaume hat auch keine Angst vor hochemotionalen Szenen. Aber immer dann, wenn es rührselig werden könnte, setzt er einen komischen Kontrapunkt, und der sitzt dann so gut, dass das Taschentuch wieder weggesteckt werden kann.

Kinostart: 6. Februar

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