Reine Militärjustiz auf Guantánamo unzulässig: Richter beenden Bushs Willkür
Guantánamo-Häftlinge dürfen nicht mehr bloß vors Militärtribunal gestellt werden, entschied der Oberste Gerichtshof. Bush erwidert trotzig, die Sicherheit stehe letztlich über allem.
WASHINGTON taz Mit einer Grundsatzentscheidung hat der Supreme Court der USA den Guantánamo-Plänen der Regierung von US-Präsident George W. Bush am Donnerstag eine Absage erteilt. Das Oberste Gericht urteilte, dass Gefangene des umstrittenen Militärlagers auf Kuba das Recht auf Zugang zu ordentlichen Gerichten in den Vereinigten Staaten haben. Fünf der neun Richter warfen die bisherige Washingtoner Praxis im Umgang mit Gefangenen über Bord. Die Bush-Regierung hatte trotz internationaler Kritik bislang beharrlich darauf bestanden, dass nur eigens eingerichtete Militärtribunale für die Gefangenen zuständig sein könnten.
US-Präsident George Bush rechtfertigte sich während seines Italien-Besuchs für die Häftlings-Politik auf Guantánamo. "Ich bin mit dieser Entscheidung nicht einverstanden." Bush sagte, er respektiere zwar die Entscheidung der Richter. Seine Regierung werde jedoch bis zuletzt alles tun, um die Sicherheit des amerikanischen Volkes zu gewährleisten.
Der amerikanische Justizminister Michael Mukasey erwartet vom Urteil keine Auswirkungen auf geplante Kriegsgerichtsprozesse in Guantanamo. Mukasey sagte am Freitag in Tokio, die Entscheidung des Obersten Gerichts beziehe sich nicht auf militärische Verfahren, die fortgesetzt würden. Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag entschieden, dass auch im Krieg gegen Terror festgenommene und in Guantanamo auf Kuba inhaftierte Gefangene verfassungsmäßige Rechte hätten und bei zivilen Gerichten Einspruch gegen ihre Haft einlegen könnten.
"Die Gerichtsentscheidung betrifft nicht Prozesse der Militärkommission, die weitergehen werden", sagte Mukasey bei einem Treffen der G-8-Justizminister in Tokio. Er sei enttäuscht über das dritte Urteil gegen Bushs Regierung im Zusammenhang mit Guantanamo. Das Urteil betrifft seiner Ansicht nach aber nicht die Militärgerichtsprozesse, sondern nur das Verfahren, nach dem feindliche Kämpfer festgehalten werden. Man werde sich an die Auflagen halten und prüfen, ob ein neues Gesetz oder andere Maßnahmen erforderlich seien.
Anwälte von Guantanamo-Gefangenen, deren Prozess demnächst beginnt, sehen das anders. Der Verteidiger des seit sechs Jahren in Guantanamo inhaftierten ehemaligen Fahrers von Osama bin Laden, Korvettenkapitän Brian Mizer, sagte, das Oberste Gericht habe den gesamten rechtlichen Rahmen auf den Kopf gestellt, nach dem sein Mandant Salim Hamdan der Prozess gemacht werden solle. Hamdans Prozess ist das erste Kriegsverbrecherverfahren in Guantanamo überhaupt und soll am 14. Juli beginnen.
Auch für den vergangene Woche in Guantanamo begonnenen Prozess gegen fünf mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 erwartet die Verteidigung Auswirkungen. Korvettenkapitän Suzanne Lachelier, Anwältin des angeklagten Ramsi Binalschibh, sagte: "Der ganze Zweck der Regierung war, die Anwendung der Verfassung zu umgehen. Das funktioniert offensichtlich nicht mehr."
Amnesty International sprach von einem "bedeutenden Schritt vorwärts in Richtung Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit". Die US-Organisation ACLU erklärte, der "Gesetzlosigkeit der gescheiterten Guantánamo- Politik der Bush-Administration" sei eine Absage erteilt worden.
Mit dem Urteil eröffnet der Oberste Gerichtshof den ausländischen Gefangenen des US-amerikanischen "Kriegs gegen den Terror" die Möglichkeit, gegen ihre Inhaftierung vor zivilen US-Gerichten vorzugehen. Den Gefangenen in Guantánamo könne das Verfassungsrecht des Habeas Corpus nicht verwehrt werden. Dieser alte Rechtsgrundsatz hat zum Ziel, Menschen vor Willkürakten der Staatsorgane zu schützen. Selbst wenn Guantánamo auf Kuba liege, müssten die dortigen Militärgerichte so vorgehen, als wenn sie sich auf US-Territorium befänden, urteilten die Richter. Das habe zur Folge, dass die Guantánamo-Insassen dieselben Verfassungsrechte wie alle Bürger der USA hätten.
Richter Kennedy monierte in seiner Urteilsbegründung, dass der US-Kongress es versäumt habe, für die Guantánamo-Häftlinge eine gleichwertige juristische Alternative zu schaffen, um gegen ihre Inhaftierung und mutmaßliche Folterung rechtliche Schritte einleiten zu können.
Im Jahr 2006 war nach einem früheren Urteil des Obersten Gerichtshofs ein Gesetz geschaffen worden, das mit Einschränkungen die Revision des Sonderstatus der Gefangenen ermöglichte. Die Bush-Regierung hatte seit 2001 darauf bestanden, dass die mutmaßlichen Terroristen, die US-Streitkräfte und US-Geheimdienste in Afghanistan und anderswo aufgegriffen hatten, keine herkömmlichen Kriegsgefangenen im Sinne der Genfer Konvention seien, sondern "enemy combatants" (feindliche Kämpfer). Für diese, so die Bush-Regierung, gelte keine internationale Regelung, da sie nicht einer Regierungsarmee angehörten. Das Gesetz von 2006 erlaubte den Gefangenen ausdrücklich nicht, gegen ihre Haft vor US-Gerichten zu klagen.
Die Bush-Administration erlitt mit diesem jüngsten Urteil in der Guantánamo-Frage nunmehr ihre dritte Niederlage vor dem höchsten Gericht seit 2004. Die geschätzten noch rund 270 Insassen des Militärlagers werden dort zum Teil seit 2001 ohne Anklage oder gerichtliche Verfahren festgehalten. Der liberale Richter Anthony Kennedy, der die Urteilsbegründung verfasste, schrieb: "Die Gesetze und die US-Verfassung sind dazu geschaffen worden, in außergewöhnlichen Zeiten in Kraft zu bleiben und zu überdauern."
Unklar ist noch, inwieweit der Gerichtsentscheid zur sofortigen Änderung der bestehenden Praxis führen wird. Erst vergangene Woche hatte der erste Prozess überhaupt auf Guantánamo begonnen. Gegen fünf mutmaßliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 war eine mit 169 Punkten bestückte Anklageschrift verlesen worden.
Der Hauptverdächtige Chalid Scheich Mohammed hatte gleich zu Beginn der Anhörung seine Verteidiger entlassen und gefordert, ihn zum Tode zu verurteilen. Unter den Angeklagten befindet sich Ramsi Binalschibh, der der Hamburger Zelle um die Attentäter angehört haben soll. Die Praxis war weltweit scharf kritisiert worden.
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