„Reichsbürgerin“ verurteilt: Einiges ist faul im Königreich Preußen
Nach einem Säureangriff auf einen Polizisten hat das Amtsgericht Herzberg eine „Reichsbürgerin“ zu 18 Monaten Haft verurteilt.
HERZBERG taz | Der Boden der Tatsachen liegt im Saal 11 eines ehemaligen Welfenschlosses: Im Amtsgericht Herzberg glaubte die vorsitzende Richterin den Ausführungen der angeklagten „Reichsbürgerinnen“ kein Wort. Vor Gericht standen die zwei Frauen, eine 68-jährige Mutter und ihre 30-jährige Tochter, wegen eines Angriffs mit säurehaltigem Sanitärreiniger auf einen Polizisten.
Am Dienstagnachmittag verurteilte die Richterin die jüngere „Reichsbürgerin“ zu 18 Monaten Haft auf Bewährung – schuldig wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die ältere „Reichsbürgerin“ sprach sie frei. Die Vorwürfe gegen die Mutter hätten sich nicht erhärtet, sagte die Richterin.
Zuvor hatte die 30-Jährige behauptet, den Polizisten im Handgemenge zufällig mit der Säure verletzt zu haben. Erstaunlich gelassen ging die Richterin während der Verhandlung mit den reichsideologischen Positionen und politischen Provokationen um.
Die begannen bereits bei den Sicherheitskontrollen am Eingang zum Gericht: Schon im Flur beschwerte sich die 68-jährige Helga H. lautstark über diese Kontrollen. Gereizt sagte sie, das ganze Verfahren sei eine „Amtsanmaßung“. Ihre Tochter Bettina H. sah das ähnlich. Ein psychiatrischer Gutachter sagte aus, dass die beiden Frauen von einem gegen sie gerichteten Komplott ausgingen.
In der Verhandlung ging es genauso weiter: Nur unter Protest betraten die Angeklagten den Raum. Und anstatt sich auf die Anklagebank neben ihre Pflichtverteidiger zu setzen, blieben sie neben der Tür stehen. Und dort am Ausgang hinter den Zuschauern verharrten sie stundenlang.
„Bitte kommen Sie doch nach vorne, um besser kommunizieren zu können“, sagte die Vorsitzende Richterin. Zweimal bat sie freundlich. Beide Male antwortete die Mutter für ihre Tochter: „Nee! Wir bleiben hier stehen!“
Ganz in Schwarz waren die beiden Frauen gekleidet. Immerhin ein schick herausgeputztes älteres Paar unter den Zuschauern begrüßte die Mutter freundlich. Sie schienen Verbündete zu sein. „Reichsbürger“ glauben, dass die Bundesrepublik keine Rechtsgrundlage habe, Deutschland immer noch von den Alliierten besetzt und seit 1990 eine GmbH sei.
Das Gericht ist für Helga H. nur „Lügengewalt“. Sie erklärte, Strafanzeige gegen die Richterin zu stellen und Verfassungsbeschwerden einzulegen. Lauthals führte sie aus, im „Königreich Preußen“ zu leben.
Auch wenn Mutter und Tochter sich bemühten, als Verbündete aufzutreten, waren sie es nicht ganz: Im Gegensatz zu ihrer Mutter ließ sich Bettina H. auf das Gericht ein und beantwortete Fragen. Allerdings musste ihr die Richterin vorher versichern, auch „für die lebenden Menschen zuständig“ zu sein.
Sie bestand darauf, den Polizeibeamten nicht gezielt im Juni 2015 mit dem säurehaltigen Sanitärreiniger angegriffen zu haben. Am ersten Verhandlungstag hatte der mittlerweile pensionierte Polizist geschildert, dass er mit einem Kollegen Amtshilfe für einen Bezirksschornsteinfeger des Landkreises Göttingen leistete. Die Mutter hatte sich mehrfach geweigert, den Schornsteinfeger in ihr Haus zu lassen.
Im Haus seien sie der Tochter auf dem Treppenpodest begegnet. Sie habe geschrien, sich äußerst aggressiv verhalten und eine Flasche aufgedreht, um Flüssigkeit herauszupressen. „Sie versuchte, mir so viel wie möglich ins Gesicht zu pressen“, sagte der Beamte, der die Tochter anging, als er einen weiteren Gegenstand sah und fürchtete, dass es sich dabei um ein Feuerzeug handele. Der zweite Beamte und der Schornsteinfeger wurden bei den Attacken leichter verletzt.
In einer Erklärung ihres Anwalts und im Gespräch mit dem Gutachter schilderte die Verurteilte, zufällig vor Ort gewesen zu sein. Von dem Termin mit dem Schornsteinfeger habe sie nichts gewusst, die Tat sei nicht geplant gewesen. Am Freitag habe sie nichts ahnend Vasen gereinigt. Auf dem Weg nach unten will sie an der Treppe vor dem Haus Gezeter gehört haben. Dann sei die Tür aufgeflogen, die Männer seien hereingekommen. Eine Uniform habe sie nicht erkannt. Sie habe sich selbst bedroht gesehen.
Während die Tochter sprach, flüsterte ihre Mutter ihr fortwährend etwas zu. Der psychiatrische Gutachter betonte die enge Bindung der beiden. Er sagte, dass die Mutter viel tiefer in ihrer politischen Welt und den zugehörigen rechtlichen Vorstellungen verhaftet sei als die Tochter.
Seit 2012 habe sich die Mutter öfter mit der Verwaltung gestritten; der Gutachter war mit ihrem Fall schon öfter beschäftigt. Immer habe sie das Gespräch abgelehnt, berichtete er vor Gericht. Ihre Schreiben seien immer rigider geworden. Außerdem habe er wegen Amtsanmaßung von ihr eine Rechnung über eine halbe Million Euro erhalten.
Auf einen Kurzformel gebracht, sagte der Gutachter: „Misstrauen plus Selbstbezogenheit plus Starrheit plus die Überzeugung, sich einer Verschwörung zu widersetzen, hat zu einer paranoiden Persönlichkeitsstörung geführt“. Die Tochter teile allerdings nicht alle dieser Vorstellungen und sei ideologisch nicht so gefestigt wie ihre Mutter.
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