: Reich, schön, flach
Amazon verfilmt den erfolgreichen Jugendroman „Solange wir lügen“. Fans dürften sich freuen, doch die gezeigte Welt der Reichen ist voll von Klischees

Von Marie-Sofia Trautmann
Die Verfilmung eines viralen Buch-Hits ist fast schon ein sicherer Streamingerfolg. Besonders die Booktok-Lieblinge der Jugend scheinen selbst bei bestenfalls mediokrer Verfilmung als Serie kaum enttäuschen zu können, wie „Maxton Hall“ zuletzt bewiesen hat. Als Buchreihe der deutschen Autorin Mona Kasten ein Kassenschlager, setzte Amazon Prime mit der Verfilmung der Eliteinternatgeschichte aufs richtige Pferd und landete den erfolgreichsten nichtamerikanischen Serienstart von Amazon Prime aller Zeiten.
Nun verfilmt der Streaminganbieter den Jugendbucherfolg „Solange wir lügen“ von E. Lockhart. Der Roman ist, ebenso wie „Maxton Hall“, dem Genre „Young Adult“ zuzuordnen, richtet sich also an Leser*innen in den Jugendjahren und spielt ebenfalls in der für die „Young Adult“-Szene so typischen Sphäre des „alten Geldes“.
Das ist nicht uninteressant: Junge Leserinnen (Frauen sind zentrale Zielgruppe von „Young Adult“) sind fasziniert von alteingesessenen Familien mit fragwürdigen Patriarchen und endlosem Geld. Der Nachwuchs dieser Familien rückt typischerweise ins Zentrum des Geschehens, die Liebesgeschichte, ein weiteres Merkmal des Genres, bezieht sich häufig auf ein Gegenüber, das integer und aufrecht, aber arm und titellos ist – kennt man irgendwoher, oder?
Sogar eine eigene Ästhetik hat sich in der Zielgruppe des Genres etabliert: Der sogenannte Old-Money-Stil spielt auch visuell in „Solange wir lügen“ eine Rolle. Die drei Sinclair-Erben verbringen ihre Sommer auf der Privatinsel des Großvaters. Charakterisiert wird die reiche Jugend durch eine so makellose Haut, wie sie nur Generationen der sorglosen Nichtarbeit hervorbringen können, durch ihre Tennisröckchen und ihre Polohemden.
Die Hauptfigur Cadence (Emily Alyn Lind) verliebt sich in Gat (Shubham Maheshwari), der weniger teures Blut in sich trägt und daher von der Familie als ihr Partner abgelehnt wird. Die Serie wird im Rückblick erzählt, Cadence erleidet einen Gedächtnisverlust und kann sich an eine Familienkatastrophe nicht mehr erinnern, woraufhin sie versucht, zu rekonstruieren, was in dieser einen Sommernacht geschah.
Dass die Buchvorlage von E. Lockhart, eigentlich Emily Jenkins und promovierte Literaturwissenschaftlerin, wenigstens in Ansätzen versucht, Trauma und Verlust aufzufangen, ist im „Young Adult“-Genre nicht selbstverständlich und durchaus erwähnenswert.
Die Umsetzung in der Serie ist gleichermaßen enttäuschend wie erwartbar: äußerst wenig Plot in äußerst vielen Minuten. Teilweise ist die Besetzung gut gewählt, Meryl Streeps Tochter Mamie Gummer glänzt als reiche Mutterfigur, Esther Rose McGregor als sensible junge Sinclair. Linds devoter Blick ist für die Zuschauerschaft leider schnell nicht mehr zu ertragen, die Liebesgeschichte zwischen Cadence und Gat wirkt unrealistisch und konservativ.
Nachvollziehbare Romantik und überzeugendes Begehren scheitern an Besetzung und Regie. Dass auch „Young Adult“-Verfilmungen berührende, authentische Liebesgeschichten voller Identifikationspotenzial sein können, zeigt die Jugendserie „Der Sommer, als ich schön wurde“ (ab 16. Juli auf Amazon Prime).
In „Solange wir lügen“ bleibt die Romanze so unglaubwürdig wie die Einsicht der Hauptfiguren, dass millionenschwere Familienoberhäupter sich nicht immer politisch korrekt verhalten. Natürlich wollen Jugendliche davon lesen, was sie nicht täglich erleben.
Beim Ansehen von „Solange wir lügen“ kommt unwillkürlich die Frage auf, wie viel Sehnsucht überbordendem Reichtum wirklich entgegengebracht werden sollte – und ob es nicht sinnvollere und originellere Identifikationsflächen für Jugendliche geben könnte.
„Solange wir lügen“, 8 Folgen, ab sofort auf Amazon Prime
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