Regisseurin über Matriarchat: „Feminismus heißt für mich, niemanden zu unterdrücken“
In ihrem neuen Film „Die geschützten Männer“ erprobt Irene von Alberti das Matriarchat in Berlin. Sie spricht über lachendes Nachdenken und Satire.
Deutschland, kurz vor der Bundestagswahl: Anita Martinelli (Britta Hammelstein) und Sarah Bedford (Mavie Hörbiger) kämpfen mit ihrer Frauenpartei für mehr Gleichstellung und eine neue politische Ordnung. Als ein rätselhaftes Virus ausbricht, das ausschließlich Männer befällt, sexuell erregt und dahinrafft, stürzt die Republik in einen Krieg der Geschlechter. Irene von Albertis Film „Die geschützten Männer“, der zum Teil in der taz gedreht wurde, bietet sehr gegenwärtige politische Satire.
„Die geschützten Männer“. Regie: Irene von Alberti. Mit Britta Hammelstein, Mavie Hörbiger u. a. Deutschland 2024, 104 Min.
taz: Frau von Alberti, Ihr Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Robert Merle von 1974. Was hat Sie an dem Buch gereizt?
Irene von Alberti: Der Roman ist eine super Vorlage mit der Erfindung eines Virus, das nur männliche Wesen killt. Das wirft die Frage auf, was wäre, wenn die Männer aussterben? Eine schöne Satire auf den ewigen Geschlechterkampf. Allerdings ist der Roman von 1974 und von einem Mann geschrieben. Robert Merle hat ihn als Antwort auf die zweite feministische Welle in Frankreich verfasst. Heute muss die Geschichte anders erzählt werden, aus weiblicher Perspektive. Wir sind im Feminismus ja schon weitergekommen. Wir sehen aber auch, dass #MeToo eine nie endende Aktualität besitzt und immer wieder Backlashs drohen, wie momentan in den politischen Entwicklungen.
taz: Die Mittel sind in „Die geschützten Männer“ stets überhöht. Sie reizen die Möglichkeiten von Camp, Farce und Satire maximal aus. Wir sehen etwa Kostüme mit schrillen Farben, Amazonen in Uniformen auf Pferden, und auch die Schauspieler*innen überspielen teils plakativ. Warum haben Sie sich für das Genre der politischen Satire entschieden?
von Alberti: Ich finde es wichtig, dass das von mir Erzählte ernst gemeint ist. Politische Satire deckt dies immer ab. Man lacht zwar, aber eigentlich bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Eine Satire reißt schnell alle Fassaden ein und enthüllt schonungslos die Wahrheit. Ich mag diese Mischung im Kino: lachend nachdenken. Die satirische Herangehensweise hat uns geholfen, die Geschichte in eine Parallelwelt zu transportieren, um die Jetztzeit zu erzählen.
taz: Sie haben das Drehbuch 2019 geschrieben. Kurz danach holte Sie die Realität ein, als 2020 das Coronavirus ausbrach. Wie hat dies die Produktion verändert?
von Alberti: Der Effekt war, dass ich viel von den fachlichen Erklärungen rausnehmen konnte. Letztlich habe ich dreieinhalb Seiten im Drehbuch gekürzt. Vor fünf Jahren wussten viele Menschen noch nicht, was eine Pandemie im Gegensatz zu einer Epidemie oder ein Vektorimpfstoff ist. Vor Corona musste ich solche Begriffe in Szenen erklären. Dann ist Corona ausgebrochen und ich dachte, ich kann erst mal keine Satire über ein Virus machen. Nach ein paar Wochen war dann aber klar, es gibt bald einen Impfstoff.
taz: Ihr Film kreist um die Frage, wie Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden kann, und stellt zwei Ansätze gegenüber. Kanzlerin Sarah Bedford will die Machtverhältnisse radikal umdrehen und manipuliert etwa die Impfstoffentwicklung. Anita Martinelli sieht die Dinge nicht so einfach. Sollte man die Strukturen kopieren und umdrehen, wenn man dem patriarchalen System an den Kragen will, oder anders lösen?
von Alberti: Wenn man das Patriarchat in ein Matriarchat umwandeln könnte, glaube ich nicht, dass die Bedingungen in der Gesellschaft besser wären. Im Grunde heißt Matriarchat bereits im Wortstamm, dass damit die Unterdrückung der anderen Seite mit inbegriffen ist. Feminismus heißt für mich, niemanden zu unterdrücken, also die Machtdynamiken aufzulösen. Über eine Geschlechtergerechtigkeit nachzudenken, finde ich wichtig, was ich in den Film übertragen habe. Der Film endet mit vielen Fragezeichen und gibt keine fertigen Antworten vor. Ich komme zudem aus der Zeit des Feminismus, die Alice Schwarzer geprägt hat. Allein dass in dieser Zeit Feminismus weiß war und soziale Klassen nicht mitdachte, finde ich schwierig.
taz: Sie machen in Ihrem Film deutlich, dass Machtmissbrauch unabhängig vom Geschlecht ist und kritisieren, die Machtverhältnisse einfach umzudrehen. Dann zeigen sie jedoch binäre Szenen wie das victim blaming eines Mannes oder Bauarbeiterinnen in der sozial männlich konnotierten Rolle. Warum?
von Alberti: Das Umdrehen hängt mit dem Genre zusammen, denn Satire ist plakativ und hat wenig Platz für Zwischentöne. Satire darf nicht zu kompliziert werden, sonst funktioniert sie nicht. Ich finde es immer interessant, die Strukturen fiktiv in einem Film umzukehren, auch wenn die Realität nicht so funktioniert: Das Publikum lacht zwar, merkt aber letztlich, dass es genauso sexuelle Belästigung ist, wenn man die Geschlechterrollen tauscht. Zudem ist vieles in unserer Gesellschaft noch binär, wie etwa der Gender-Pay-Gap.
Geboren 1963 in Stuttgart. Sie studierte dort Medientechnik und anschließend an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Mit Frieder Schlaich gründete sie 1989 die Filmproduktionsfirma Filmgalerie 451, die zugleich DVD-Label ist. Zu ihren Spielfilmen zählen „Stadt als Beute“ (2005), „Tangerine“ (2008) und „Der lange Sommer der Theorie“ (2017). Sie ist unter anderem Mitglied von Pro Quote Film.
taz: Der Hass kommt in „Die geschützten Männer“ auch von innen heraus. Denn aus Anitas und Sarahs Freundschaft entsteht im Laufe des Films eine Feindschaft, da sie verschiedene Systemwechsel erzielen wollen. Warum haben Sie sich für so eine Figurenentwicklung entschieden? Läuft diese nicht konträr zur feministischen Bandenbildung zwischen Frauen?
von Alberti: Am Anfang sind die beiden Hauptfiguren Freundinnen, aber sie gehen auseinander, weil sie verschiedene psychologische Hintergründe haben und Erfahrungen machen. Die Kanzlerin, Sarah Bedford, wird zur Männerhasserin, weil sie in einer Szene einen sexuellen Übergriff erlebt und Ähnliches in der Vergangenheit erfuhr. Die Bandenbildung findet schon statt, aber nicht zwischen den zwei Hauptfiguren, sondern zwischen Anita und Jeanette, der Medienberaterin von Sarah, und anderen Frauen aus der Regierung.
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Trailer „Die geschützten Männer“
taz: Laut einer Studie des Statistischen Bundesamts ist nur knapp jede dritte Führungskraft in Deutschland weiblich. Glauben Sie, dass eine weiblich dominierte Führung patriarchale Strukturen nachhaltig ändern könnte?
von Alberti: Ich glaube, dass wenn Frauen solidarisch sind, man die Strukturen verbessern kann. Wenn sich Frauen im patriarchalen System nach oben arbeiten, wird, glaube ich, aber nichts besser. Aber wenn sich Frauen mit einem Bewusstsein für andere Frauen hocharbeiten, können sie mitbestimmen und die patriarchalen Regeln aushebeln und vielleicht dann auch Hierarchien abschaffen und neue Strukturen entwickeln.
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