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Regisseurin über „Marie Curie“„Hart, konzentriert, kompromisslos“

Marjane Satrapi porträtiert Marie Curie in ihrem Film als wahnsinnig sture Wissenschaftlerin. Niemand gewinnt Nobelpreise, indem er Kuchen backt, sagt sie.

Die britische Schauspielerin Rosamund Pike als Marie Curie Foto: imago
Interview von Annabelle Hirsch

Es gehört fast schon zum guten Ton, über Marjane Satrapi zu schreiben, sie spreche wild mit den Händen, fuchtelnd und rauchend wie ein Schlot. Krisenbedingt wurde dies Interview am Telefon geführt. Diese Beschreibung kann hier also nicht bestätigt werden, allerdings stimmt, was Rosamund Pike, die in Satrapis neuem Film „Marie Curie“ die Rolle der Marie spielt, über sie sagte: „Marjane ist wahnsinnig lustig.“

Und im Grunde wurde die 1969 im Iran geborene, 1994 nach Frankreich emigrierte Comic­-Zeichnerin und Filmregisseurin auch genau dadurch bekannt: Sie weiß ernsten Themen mit Humor zu begegnen, ohne sie zu verharmlosen. In ihrer weltweit gefeierten Comic­-Reihe „Persepolis“ erzählte Satrapi von ihrer Jugend im Iran, den Mullahs, ihrer linksintellektuellen Familie, Folter, Angst und Tod, das alles durch die Augen eines Mädchens. Seit dem Erfolg ihrer „Persepolis“-Verfilmung hat sich Satrapi vom Comic ab­ und der Regie zugewandt. „Marie Curie“ ist ihr vierter Film.

taz am Wochenende: Madame Satrapi, in diesen Tagen läuft im Kino Ihr Film über die Wissenschaftlerin Marie Curie an. Die Figur begleitet Sie seit Ihrer Kindheit, Ihre Mutter sagte Ihnen: Du kannst eine Marie Curie oder eine Simone de Beauvoir werden. Was repräsentierten diese Frauen damals für Sie?

Marjane Satrapi: Das stimmt, das hat sie immer gesagt. Für mich waren sowohl Marie ­Curie als auch Simone de Beauvoir Beispiele der Emanzipation und der Unabhängigkeit. Indem sie mir diese Vorbilder gab, sagte meine Mutter: Du musst nicht heiraten, keine Mutter werden, keine Hausfrau. Du darfst sein, wer du sein möchtest. Und da ich gelernt hatte, dass Marie ­Curie eine bahnbrechende Entdeckung gemacht und als einzige Frau der Geschichte zwei Nobelpreise in zwei verschiedenen Kategorien gewonnen hatte, wusste ich, dass es möglich ist.

Mit diesen beiden Vorbildern im Kopf hätten Sie theoretisch auch einen Film über Simone de Beauvoir machen können. Warum Marie Curie?

Ich habe „Das andere Geschlecht“ sehr früh gelesen und mag Simone de Beauvoir auch in vielerlei Hinsicht, aber Marie Curie ist mir näher. Sie ist eine Feministin der Aktion. Ihr Feminismus beweist sich durch ihr Leben, nicht durch Worte oder große Theorien. Sie hat für die Frauen viele Wege geöffnet, die Sorbonne, den Nobelpreis, aber das Frausein spielte für sie nie wirklich eine Rolle. Was sie interessierte, war die Wissenschaft und darin war sie die Allerbeste – besser als alle Männer um sie herum.

Haben Sie Aspekte ihres Lebens entdeckt, die Sie nicht kannten?

Natürlich, viele sogar. Wenn jemand so berühmt ist wie Marie Curie, dann vergisst man fast, dass diese Person ein Mensch war, sie wird eine Ikone. Durch die Arbeit am Film habe ich sie als Menschen entdeckt. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass sie eine sehr talentierte Zeichnerin war und wirklich alles mit unbändiger Leidenschaft anging. Und dann ist da natürlich die Geschichte mit den Briefen an ihren Kollegen Paul Langevin, die kannte ich kaum.

Fünf Jahre nach Pierre Curies Tod hatte Marie Curie eine Affäre mit ihrem langjährigen Kollegen Langevin, der blöderweise verheiratet war.

Genau. Damals neidete man dieser Frau natürlich ihren Ruhm, sie war eine Berühmtheit, und irgendwie kamen die Briefe, die sie an Paul geschrieben hatte, an die Presse. Es wurde ein riesiger Skandal. Die Leute tobten, beschimpften sie, randalierten vor ihrer Haustür. Die xenophob-antisemitische Stimmung war zu dem Zeitpunkt, kurz vorm Ersten Weltkrieg, schon auf dem Höhepunkt, die Zeitungen schrieben: „Die polnische Jüdin zerstört französische Ehen.“ Stellen Sie sich das mal vor! Die französische Literatur lebt von den Seitensprüngen der guten Gesellschaft, und plötzlich soll es die Ausländerin sein, die die Ehen zerstört!

Sie selbst sind im Iran aufgewachsen und im gleichen Alter wie Marie Curie, damals noch Marie Skłodowska, nach Frankreich gekommen. Verbindet Sie diese Erfahrung des Exils?

Wir sind beide mit zwanzig Jahren hergekommen und haben beide unsere Heimat verlassen, weil wir dort nicht erreichen konnten, was wir erreichen wollten. Das verbindet uns in der Tat. Allerdings hört die Parallele hier auch schon wieder auf. Marie war ein Genie, ich bin es nicht.

In Frankreich hat man in den vergangenen Monaten viel über die Theorie des „female gaze“, des weiblichen Blicks, diskutiert. Was halten Sie davon, macht eine Frau einen besseren Film über eine Frau als ein Mann?

Nein, ich kann mit solchen Theorien überhaupt nichts anfangen. Nathalie Sarraute sagte: „Die Literatur hat kein Geschlecht.“ Und das stimmt. Ebenso wenig wie Genie und Intelligenz. Nehmen wir Flaubert, den ich liebe: Er war ein Mann, ledig und mehr oder weniger Jungfrau, und doch hat er ein Buch geschrieben, in dem man sich als Frau erkennt. Wenn ich Madame Bovary lese, dann spricht das von mir. Wenn ich hingegen Anaïs Nin lese, dann verstehe ich gar nichts. Sie war sicher Wonder Women, frei und wild, aber sie spricht mich nicht an. Außerdem sollte man aufhören, so zu tun, als sei es per se bewundernswert, wenn eine Frau einen Film macht, so als seien Frauen irgendwie minderbemittelt oder debil.

Trotzdem schien mir, dass Sie Ihre Marie Curie mit dem Blick einer Frau betrachten. Die meisten Männer porträtieren ihre Biopic-Heldinnen als wunderschöne, reizende Wesen, die zufällig auch genial und erfolgreich sind. Ihre Marie hingegen ist so, wie sie wahrscheinlich wirklich war: ein bisschen schroff, wahnsinnig stur, sehr von sich selbst überzeugt, voll auf sich und ihr Werk konzentriert.

Natürlich. Anders geht es ja auch nicht. Niemand gewinnt zwei Nobelpreise, indem er Kuchen backt und sich den ganzen Tag singend die Haare kämmt. Wer etwas erreichen will, muss hart sein, konzentriert und kompromisslos. Bei Männern akzeptiert man das, findet es sogar bewundernswert, bei Frauen ist es ein Problem. Man will den Mythos der Frau aufrechterhalten – auch Frauen wollen das. Ich habe mich mit manchen Leuten wirklich gestritten, weil sie fanden, Marie sei nicht sympathisch genug. Ich erklärte dann: Wäre sie sympathisch, wäre sie vielleicht deine Ehefrau geworden, aber nicht die bekannteste Wissenschaftlerin aller Zeiten.

Bild: imago stock&people
Im Interview: Marjane Satrapi

Jahrgang 1969, im Iran geboren und 1994 nach Frankreich emigriert. „Marie Curie“ ist ihr vierter Film.

Ihr Ehemann, Pierre ­Curie, ist wiederum sehr sympathisch. Und sehr offen. War ­Pierre Curie der wahre Feminist der Familie?

Ich freue mich, dass Sie das sagen, denn ich sehe es genauso: Der Feminist im Hause Curie war Pierre. Eine Frau zu heiraten, die ihm ebenbürtig, vielleicht sogar überlegen war, mit ihr zusammenzuarbeiten, gemeinsam zu forschen und zu akzeptieren, dass sie ebenso berühmt, berühmter ist als er, das war damals unglaublich modern. Das fällt ja sogar heute noch vielen Männern schwer, so was zu akzeptieren. Deshalb ist mir Pierre auch insgeheim der Liebste der Geschichte. Ich finde ihn sehr stark.

Die Curies haben, wie Sie sagten, Seite an Seite geforscht und gemeinsam das damals unbekannte Element Radium und die Radioaktivität entdeckt. Es war eine weltverändernde Entdeckung. Meinen Sie, sie waren sich dieser politischen Dimension bewusst?

Wissen Sie, mit der Wissenschaft ist es am Anfang ein bisschen wie mit der Kunst: Man sucht nach etwas, weiß aber nicht genau, nach was. Man fängt einfach an und hat keinen blassen Schimmer, wohin es einen führen wird. Marie Curie stand morgens sicher nicht mit dem Gedanken auf: Ich werde das Radium entdecken und damit die Welt verändern. Sie suchte einfach.

Trotzdem scheint die Frage nach der Verantwortung in Ihrem Film immer wieder durch. Sie zeigen die positiven Aspekte, die Radio- und Strahlentherapien, aber auch die verheerenden Konsequenzen wie Hiroshima und Tschernobyl. Am Ende fragt Marie ihren ­Pierre: „We did good, didn’t we?“ Sie wirkt unsicher.

Natürlich. Die Wissenschaft bringt etwas Neues in die Welt und hofft, sie zu verbessern, zugleich weiß sie aber genau, dass der Mensch zum Besten wie zum Schlimmsten fähig ist und eine Entdeckung in die eine wie auch in die andere Richtung genutzt werden kann. Pierre und Marie hatten das durchaus im Kopf, wie ja auch Pierres Rede anlässlich des Nobelpreises beweist: Er mahnt zur Achtsamkeit. Beide wussten, dass ihr Werk ein Frankenstein-Monster werden könnte. Nur liegt die Verantwortung für das Fortleben der Entdeckung nicht bei ihnen, sondern bei der Gesellschaft.

Zu Curies Zeiten begeisterte sich die Gesellschaft wie wild für die Wissenschaften. Man glaubte fest daran, dass Fortschritt immer eine gute Sache sei. Heute scheinen das viele anzuzweifeln. Wie sehen Sie das?

Ich glaube weiterhin fest an den Fortschritt. Denken Sie nur ans Internet. Wie großartig ist es, dass ich in meinem Telefon eine ganze Enzyklopädie dabei habe, statt zwanzig dicke Bände in meiner Handtasche herumschleppen zu müssen. Von Social Media halte ich nichts, allerdings muss ich da ja auch nicht mitmachen. Es ist mit dem Fortschritt wie mit allem: Man hat die Wahl. Der Mensch trägt die Verantwortung für das, was er aus den Dingen macht.

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