piwik no script img

Regisseur über Krankenhäuser„Ich habe versucht, Teil des Inventars zu werden“

Der Regisseur Philipp Döring beobachtet in seinem Dokumentarfilm „Palliativstation“ die Arbeit in einem Krankenhaus. Dort werde auch gelacht, sagt er.

Der Regisseur Philipp Döring hat zwei Monate lang auf der Palliativ-Station eines Berliner Krankenhauses gefilmt Foto: Wolfgang Borrs
Interview von Tim Caspar Boehme

taz: Herr Döring, was hat Sie als Filmemacher auf eine Palliativstation mit sterbenskranken Menschen geführt?

Philipp Döring: Tatsächlich gab es mehrere Anfangspunkte, die gar nicht so viel miteinander zu tun haben. Der eine war, dass vor ungefähr zehn Jahren ein Onkel von mir gestorben ist. Der hatte Krebs und sicherlich große Schmerzen. Er war auch auf einer Palliativstation, am Ende in einem Hospiz. Was mich beeindruckt hat, ist, dass er bis zum Schluss seinen Lebensmut nicht verloren hat. Und er hat dann sogar seine eigene Beerdigung mehr oder weniger durchgeplant, welche CDs da gespielt werden sollen und so weiter, und das hat mich nicht losgelassen. Denn wenn ich dem Thema Sterben und Tod begegne, dann ist es sehr angstbesetzt und ich traue mich gar nicht richtig, daran zu denken.

Im Interview: Philipp Döring

wurde 1977 in Freiburg geboren. Er studierte zunächst Germanistik, danach Filmregie an der Filmakademie in Ludwigsburg. „Palliativstation“ ist sein erster abendfüllender Dokumentarfilm.

Ein anderer Punkt, der von einer völlig anderen Seite kommt, ist, dass ich zu der Zeit öfter am Theater gefilmt habe für Luk Perceval, wobei ich den Probenprozess begleitet, so eine Art Making-of gemacht habe. Für mich war das total toll, weil ich dieses Setting mag, diese Teamarbeit fand ich faszinierend. Das kam dann zusammen, dieser Onkel und diese Art und Weise, wie ich am Theater gefilmt habe, dass ich dachte, ja, das könnte doch was sein, um einen Film zu machen. Dann habe ich angefangen zu recherchieren und mir Palliativstationen in Berlin anzugucken.

taz: Wie haben Sie die Station ausgewählt, auf der der Film dann gedreht wurde?

Döring: Ich habe alle Palliativstationen in Berlin angeschrieben. Es sind gar nicht so viele. Nicht mal ein Dutzend, glaube ich. Die meisten haben auch geantwortet. Und dann habe ich mir die alle angeguckt. Im Franziskuskrankenhaus hatte ich das Gefühl, das könnte sehr gut klappen, und wir waren uns schon einig und hatten auch schon einen Vertrag. Einen Monat, bevor es losgehen sollte, kam Corona und es hat sich dann noch um ein paar Jahre verschoben. Aber ich bin drangeblieben, und schließlich ist es das Franziskus geworden. Im Nachhinein betrachtet ist es ganz gut, dass es auch so lange gedauert hat, weil das ein guter Zeitpunkt war. Zum Beispiel der Oberarzt, der sehr viel zu sehen ist, Doktor Pfrang, der war vor der Pandemie noch nicht dagewesen. Für mich war es toll, dass da so ein Arzt ist, der wirklich eine beeindruckende Persönlichkeit ist.

taz: Man sieht bestimmte Mitarbeiter aus dem Team sehr oft, andere weniger. Gab es grundsätzlich eine Bereitschaft von allen, bei Ihrem Film mitzumachen?

Döring: Gerade bei der Pflege gab es Widerstände und viele, die nicht wollten. Es war wohl auch so, dass ein paar Monate vorher ein Fernsehteam dagewesen war für zwei, drei Tage, und das hat nicht gerade Werbung dafür gemacht, dass jemand auf Station filmt. Da haben dann viele gesagt: „So was brauchen wir nicht noch mal!“ Hinzu kam, dass sie personelle Probleme hatten und viele Leasingkräfte da waren. Die will man dann nicht richtig filmen, weil sie keine richtigen Palliativpfleger sind und sie auch nicht richtig zur Station gehören. Die Ärzte sind viel leichter zu filmen, weil sie sagen, sie machen ihre Visite, fangen mit dem ersten Patienten an, gehen zehn Minuten oder eine Viertelstunde rein und dann zum nächsten.

taz: Im Film sieht man vor allem Szenen, in denen viel mit Patienten und Angehörigen gesprochen wird. Und sie waren nicht nur zwei, drei Tage dort, sondern zwei Monate. Wie repräsentativ sind diese Momente für die Arbeit insgesamt?

Döring: Ich denke, das ist schon repräsentativ. Natürlich liegt so ein Patient auch mal zwei Stunden in seinem Zimmer und guckt Fernsehen und es passiert gar nichts. Aber es ist nicht so, dass ich händeringend Situationen sammeln musste. Ich glaube, das gibt schon einen guten Eindruck davon, wie viel sie dort präsent sind.

taz: Wie hat das Personal darauf reagiert, dass Sie für eine so lange Zeit täglich die Arbeit auf der Station begleitet haben?

Döring: Ich war jeden Tag da, habe so eine klassische Arbeitswoche Montag bis Freitag gemacht. Am Wochenende war ich auch einmal da, aber am Wochenende passiert weniger. Vom Personal, gerade von den Ärzten, aber auch generell von denen, die da arbeiten, glauben schon viele an das, was sie machen. Und sie denken, das ist eine gute und wichtige Sache und es ist auch wichtig, dass dies mehr Leute wissen. Weil mir auch meine Erfahrung sagt, dass die meisten von einer Palliativstation schon so eine grobe Vorstellung haben: Das hat was mit Sterben zu tun. Aber was es genau ist, wissen die meisten dann doch nicht.

taz: Und wie reagierten die Patienten?

Döring: Erstaunlich viele haben kein Problem damit gehabt. Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass die meisten Patienten schon im Aufnahmegespräch sehr schnell gemerkt haben, dass es auf einer Palliativstation ein bisschen anders ist, dass sie sich da ganz anders gesehen und gut aufgehoben gefühlt haben. Ich habe dann versucht, so ein bisschen Teil des Inventars auf der Station zu werden, dass da so einer ist, der rumsteht und auch nicht viel sagt und gar nicht groß auffällt.

taz: In manchen Szenen des Films halten Sie diskret Abstand. Andere Patienten werden sehr frontal gezeigt. Wonach sind sie da vorgegangen?

Döring: Ich habe versucht, meine Haltung so zu definieren wie die eines anteilnehmenden Angehörigen, der am Fußende des Bettes steht, ein bisschen näher bei den Ärzten, aber dann hauptsächlich auf die Patienten guckt.

taz: War es auch aus der Perspektive von Angehörigen gedacht, dass Sie in einer Szene den Abtransport einer Leiche zeigen?

Döring: Ich fand wichtig, dass man einmal sehen muss, was passiert, wenn jemand stirbt. Im Keller dort ist es auch nicht besonders hübsch. Aber es ist dann halt so.

taz: Was hat die Arbeit auf der Station unter sterbenskranken Menschen mit Ihnen selbst getan?

Döring: Einer der Ausgangspunkte war meine eigene Angst, mich mit diesem Thema zu konfrontieren. Das hat mir auf jeden Fall eine Menge von dieser Angst genommen. Einfach weil ich gemerkt habe, da ist Platz für diese Angst. Also für die Patienten und so, dass man mit der Angst auch umgehen kann, indem man sie thematisiert und darüber spricht, dass man einfach lernen kann, damit umzugehen. Es klingt immer wie eine Plattitüde, und dass Sterben und Tod Teil des Lebens sind, weiß auch jeder. Aber die eine Sache ist halt, das zu sagen. Das andere ist, es wirklich so zu empfinden.

Wenn man jemandem erzählt, man macht einen Film auf einer Palliativstation und der ist auch noch vier Stunden lang, dann sagen immer alle: „Oh Gott, wie kannst du das nur machen und wie kannst du dich dem aussetzen?“ Das ist aber wirklich nicht das Gefühl, das man hat, wenn man auf diese Station kommt. Da ist zwar Leid und natürlich sind die Menschen da schwerst krank, aber da herrscht schon eine sehr positive Stimmung, und da wird Menschen geholfen, und da wird auch viel gelacht. Hoffentlich überträgt sich das auf die Zuschauer, dass es zwar hart ist, aber nicht deprimierend, sondern eigentlich eher bestärkend und auch viel Positives hat. Die Frage ist wirklich, was mache ich mit meiner Lebenszeit, die ich noch habe?

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!