Regisseur Peter Kern gestorben: Sinnlichkeit und Humor
Seine Liebe galt den Grauzonen der Gesellschaft, seine Filme strotzen vor Eigensinn: Der österreichische Regisseur Peter Kern ist tot.
„Hallo, hier Büro Peter Kern, einen Moment bitte, ich verbinde mit Herrn Peter Kern.“ Wenn Peter Kern in der Redaktion anrief, war man vor Unerwartetem nie gefeit. Natürlich spielte er auch in solchen profanen Momenten des Alltags jede Rolle selbst. Kern ahmte Konventionen nach, um sie damit der Lächerlichkeit preiszugeben. Es gab kein Büro mit Angestellten, sein Hauptsitz war bis zuletzt die Wohnung in der Landstraße.
Kern war Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion und nicht zu vergessen ein herrlich explosiver Nörgler: Von den gewachsenen Strukturen des Filmgeschäfts wollte er nicht einmal träumen. Kern drehte ohne Sicherheitsnetz, die Stoffe drängten aus ihm heraus. Die langatmigen Routinen der Produktionsabläufe hielt er für kreativitätshemmend.
1949 in Wien, Leopoldstadt, geboren, war Kern als Kind bei den Wiener Sängerknaben, wie er gern betonte, ehe er das Theater für sich entdeckte. Ausgerechnet mit dem Musical „Hair“ ging er auf Tournee, um dann bei den deutschen Kinoerneuerern der 1970er Jahre eine Heimstatt zu finden. Mit seinem markanten Äußeren, pausbäckig, rund das Gesicht, dazu das krause Haar und der damals schon recht üppige Körper, fügte er sich gut in die Reihe wirklichkeitsnaher Figuren der Zeit.
Deutscher Filmpreis
In Wim Wenders Goethe-Film „Falsche Bewegung“ machte Peter Kern als Dichter Bernhard Landau Furore und gewann den Deutschen Filmpreis. Mit Fassbinder drehte er „Faustrecht der Freiheit“ und „Despair“, mit Hans-Jürgen Syberberg „Hitler, ein Film aus Deutschland“.
Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt war Werner Schroeter, unter dem er in Düsseldorf viel auf der Bühne stand und bei dem er später in der Ingeborg-Bachmann-Adaption „Malina“ mitwirkte. In Christoph Schlingensief fand er einen weiteren Geistesverwandten und spielte in dessen Film „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“ mit.
Seit Anfang der 1980er Jahre drehte Kern selbst Filme, gemeinsam mit Kurt Raab „Die Insel der blutigen Plantage“, ein Exploitation-Drama mit Udo Kier, bald folgten solche, die sich bevorzugt Außenseitern und Nonkonformisten annahmen – Ausgestoßene, zu denen sich Kern insgeheim selbst zählte. Kerns Liebe galt den Grauzonen der Gesellschaft, den an ihren Obsessionen Leidenden – nicht von ungefähr war einer seiner Lieblingsautoren Jean Genet.
Homosexualität und imposante Körperfülle
Gelernt habe er das Regiefach durchs Zusehen, pflegte er zu erzählen, er blieb länger am Set als die anderen, beobachtete die Regisseure beim Tun. „Domenica“ erzählt das bewegte Leben der Hamburger Prostituierten Domenica Niehoff, die später als Sozialarbeiterin arbeitete. „Knutschen, kuscheln, jubilieren“ zeigt den Alltag von sechs älteren Homosexuellen. In „Ein fetter Film“ befasste sich Kern mit seiner Homosexualität und imposanten Körperfülle.
Beinahe jährlich drehte Kern einen neuen Film, oft unter abenteuerlich improvisierten Bedingungen, ohne oder mit minimaler Förderung. Ihre Mischung aus kraftvollem Dokumentarismus und grellen Spielfilmszenen, die Plakatives und lyrisch Überhöhtes nicht scheuten, verlieh ihnen eine unverkennbare Handschrift. Mit Kolportage attackierte er in „Haider lebt – 1. April 2021“ die österreichische Innenpolitik, ließ einen deutschen Journalisten nach dem verschwundenen Rechtspopulisten Jörg Haider suchen.
Schauspielstars wie Helmut Berger, August Diehl und Christine Kaufmann beteiligten sich an dem Film, der keine Geldgeber fand. „King Kongs Tränen“, eine Attacke gegen die Mittelmäßigkeit der Kunst, das Jugenddrama „Donauleichen“ oder zuletzt das ausladende Melodram „Der letzte Sommer der Reichen“, für das ihm endlich einmal mehr Budget zur Verfügung stand, haben eines gemeinsam: Sie wirken roh, mitunter uneben, aber aufrichtig empfunden.
Gegen die Sicherheiten des Geschäftskalküls
Kerns Filme sind gegen Vorstellungen des Formvollendeten und Runden, gegen die Sicherheiten des Geschäftskalküls und des guten Geschmacks gerichtet und träumen dann mit vereinzelten Kranfahrten doch von großem Kino. Sie strotzen vor Eigensinn, brechen sogar mit ihren eigenen Vorstellungen von Schönheit und schmerzen deshalb umso mehr.
„Was in österreichischen Filmen fehlt, gibt es in meinen Filmen fast zu viel: Sinnlichkeit. Sinnlichkeit und Humor. Das kommt ansonsten nicht vor“, sagte Peter Kern im Interview noch Anfang dieses Jahres anlässlich der Berlinale-Premiere von „Der letzte Sommer der Reichen“. Er fühlte sich unverstanden in Österreich. Die Schaffenskraft dieses so getriebenen wie charakterstarken Künstlers wird als Gradmesser bleiben. Am Mittwoch ist Peter Kern im Alter von 66 Jahren in Wien gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!