Regisseur Levy zu Missbrauchskampagne: „Helle, heitere Lebensräume“
Keine Skandalnummer, sondern Nachhaltigkeit: Regisseur Dani Levy hat TV-Spots gegen Missbrauch gedreht, in denen Missbrauch gar nicht vorkommt.
taz: Herr Levy, Sie haben für die Kampagne „Kein Raum für Missbrauch“ des Missbrauchsbeauftragten zwei 30 Sekunden kurze Fernsehspots gedreht. Darin wird das Leben eines Mädchen und eines Jungen gezeigt, von der Geburt bis zur Pubertät: Kita, Schule, Sportverein, Elternhaus. Was soll das?
Dani Levy: Ich zeige Lebensräume, in denen sich der Junge und das Mädchen befinden. Die Spots kommen ohne Missbrauchsmotive aus.
Wo ist der Clou?
Das ist der Clou. Das sind die Räume, die geschützt werden müssen. Helle, heitere Räume, die Kinder in lebensbejahenden Situationen zeigen. Ich wollte keinen bedrohlichen Spot drehen, in dem alles unter Generalverdacht steht, also gerade nicht: Jeder Erwachsener kann ein Täter sein, jedes Kind ein Opfer. Die Kampagne des Missbrauchsbeauftragten setzt auf nachhaltige Aufklärung, das unterstütze ich.
Wen sollen die Spots ansprechen? Alle Erwachsenen, die mit Kindern zu tun haben. Die Filme sollen für eine grundsätzliche Aufmerksamkeit für das Thema sorgen. Und das nicht als schnelle Skandalnummer, sondern nachhaltig
Gefährdet das Heile, das Ideal in Ihren Spots diese Nachhaltigkeit nicht eher?
wurde 1957 in Basel geboren. Nach ersten Auftritten als Schauspieler beim Zirkus Basilisk und am Theater Basel begann er Mitte der 1980er auch als Drehbuchautor und Regisseur zu arbeiten. Seine bekanntesten Filme sind "Alles auf Zucker!" (2004) und "Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" (2007), zuletzt kam 2010 "Das Leben ist zu lang" in die Kinos. Levy lebt mit seiner Familie in Berlin-Schöneberg.
Es geht nicht um ein Ideal, sondern um Alltag, der nicht von Missbrauch durchdrungen ist. Ich habe mich entschieden, Bewusstsein zu generieren, das nicht von Schwere begleitet ist.
Ihr Kollege Wim Wenders hat für solche Spots Betroffene vor die Kamera geholt.
Diese neue Kampagne hat eine andere Aufgabe, eine andere Emotionalität.Wir wollen Missbrauch auch nicht in Andeutungen zeigen. Mit solchen Bildern wird viel Unfug getrieben.
Was ist bei diesem Thema ein gutes Bild?
Das ist nicht einfach. Da müsste ich jetzt länger nachdenken. Darstellung von Missbrauch kann schnell plakativ sein, vor allem in der Kürze eines Spots.
Sie stellen dar, dass nichts passiert ist. Genau das wollen Täter auch immer weismachen.
Was würde es – andersherum gefragt – bedeuten, würde man Kinder in Missbrauchssituationen zeigen? Dann würden wir suggerieren, dass jeder Raum ein Missbrauchsraum ist. Dann würden wir nicht das zeigen, was es zu beschützen gilt. Täter kennen die Schwachstellen. Wir wollen die Erwachsenen aktivieren, diese Schwachstellen zu schützen.
„Kein Raum für Missbrauch“ heißt die Kampagne gegen sexualisierte Gewalt, die Johannes-Wilhelm Rörig, der „Unabhängige Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauch“, am Donnerstag startet. Dafür hat der Filmregisseur Dani Levy zwei Fernsehspots von jeweils 30 Sekunden gedreht. Im März sollen weitere jeweils 45 Sekunden lange Spots in den Kinos anlaufen.
Auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) plant eine Aufklärungskampagne. Kernstück darin ist das Theaterstück „Sag mal …“, das am 1. März in Berlin Premiere haben soll. Bei Aufführungen sollen Kinder interaktiv in das Stück einbezogen werden. (sis)
Auch Familienministerin Kristina Schröder startet in Kürze eine Kampagne. Wie unterscheidet sich Ihr Spot von dem Theaterstück der Ministerin?
Ich kenne die Kampagne von Frau Schröder nicht.
Haben Sie sich, bevor Sie den Spot drehten, mit Missbrauch beschäftigt?
Nein, nicht mehr, als ich es als wachsamer Bürger und Vater getan habe. Ich habe das Thema in den Medien verfolgt und den Dokumentarfilm über die Odenwaldschule gesehen, in der maßgeblich Missbrauch stattgefunden hat.
Können solche Kampagnen überhaupt etwas bewirken?
Diese Frage stelle ich mir nicht – sie würde mich lähmen.
Die beiden Kampagnen kosten zusammen rund 4,5 Millionen Euro. Beratungsstellen indes beklagen, dass sie nicht ausreichend finanziert, manche sogar geschlossen werden.
Die Kampagne des Unabhängigen Beauftragten kostet nur 400.000 Euro. Der Spot hat nichts gekostet. Wir haben alle umsonst gearbeitet. Dass Beratungsstellen schließen müssen, finde ich skandalös. Den Spot hätte ich trotzdem gedreht.
Sie und der Missbrauchsbeauftragte leuchten klandestine Räume sexuellen Kindesmissbrauchs aus. Warum bleiben die offensichtlichen Grenzüberschreitungen in der Kunst, im Films, in der Musik unkommentiert? Bräuchte man da nicht eigene Spots?
Ich kann das nur bestätigen – vor allem für die Modebranche.
Wo sehen Sie das Problem?
Dass Sexualisierung von Kindern ein unbeachtetes Gebiet des Starruhms ist. Das fängt schon im Kindergarten an und setzt sich in der gesamten Jugendwelt fort. Ich bin manchmal entsetzt, wenn ich sehe, wie Schulkameradinnen meiner Tochter sich aufpeppen und welche sexuellen Signale sie aussenden. Die Sexualisierung unserer Kinder ist fester Bestandteil der Mode- und Fotokunst. In der Filmbranche selber kenne ich eigentlich keine Beispiele – von Polanski mal abgesehen.
Die ganze Filmszene stand wie eine Eins hinter Roman Polanski, als die Schweiz ihn an die USA ausliefern wollte.
Nach Angaben der damals 13-jährigen Samantha Geimer lockte Roman Polanski sie im März 1977 in die Hollywood-Villa seines Freundes Jack Nicholson. Dort habe sie der Regisseur und spätere Oscar-Preisträger unter Alkohol und Drogen gesetzt und vergewaltigt. Gegen Polanski wurde ein Strafverfahren in sechs Anklagepunkten erhoben, darunter Vergewaltigung. Weil er sich dem Verfahren 1978 durch Flucht nach Frankreich entzog, ist die Tat nicht verjährt. 2009 wurde Polanski in der Schweiz verhaftet. Im Juli 2010 lehnten die dortigen Behörden den US-Auslieferungsantrag ab und entließen ihn. (cif)
Nein, die Reaktionen waren kontrovers. Es gab Aufrufe in beide Richtungen. Ich selbst war zerrissen.
Weil Sie fanden, dass Polanskis Oscar wichtiger ist als das traumatisierte 13-jährige Opfer?
Das ist doch polemisch. Ich hatte mich mit dem Tatbestand nicht genug beschäftigt.
Polanski hat zugegeben, dass er das Mädchen schwer missbraucht hat.
Das stimmt. Aber es ging auch darum, ob die Auslieferung an die USA zulässig ist.
Die Frau – sie ist heute knapp 50 – hat geschildert, wie sehr sie die Tat verfolgt hat. Dass Polanski sie nie mehr in Ruhe gelassen hat – als Star, der überall präsent war, als grandioser Regisseur, als Oscar-Preisträger.
In meinen Augen ist Polanski ein Filmemacher, der einen sexuellen Missbrauch an einem Kind verübt hat. Es ist daran aber nichts Branchentypisches in dem Sinne, dass man zum Beispiel bei den Tausenden von Kinder- und Jugendfilmen nun so etwas dauernd hören würde. Es ist nicht so, dass Erwachsene, Regisseure, Aufnahmeleiter und so weiter Kinder sexuell missbrauchen – obwohl viele von ihnen beim Drehen in hochemotionale Situationen gebracht werden, wo sie sicher verletzbar sind. Polanski könnte also genauso gut ein Anwalt oder Banker gewesen sein, der bei einer Party ein 13-jähriges Mädchen abschleppt.
Es geht nicht nur um den Missbrauch am Set, das Bild des verführenden kleinen Mädchens wird in vielen Filmen reproduziert. Hinterfragen Sie das?
Ich sehe meine Rolle als Künstler darin, aus Sexualität keine spekulative Masse zu machen. Sondern aus Nacktheit ein natürliches und nicht mit Trieb und verklemmter Begierde hochgeputschtes Element entstehen zu lassen. Ich bin geprägt von meiner Berliner Theatererfahrung mit Stücken wie „Darüber spricht man nicht“ oder „Was heißt hier Liebe?“ Das war eine Revolution für die verkrustete und zugleich pseudopotente Aufklärung der 1950er. Ich habe immer versucht, Themen von allem Pathetischen und Verklebten zu befreien und es in eine Direktheit hineinzukriegen. Ich bin sozusagen immer für Terpentin in der Kunst gewesen.
Sexualität aus ihrer Verkrustung zu befreien, war Aufklärung. Nur ist unter dieser Flagge von Anfang eine Flotte mitgesegelt, die das ganz anders interpretiert hat – als gleichberechtigten Sex mit Kindern. So etwas gibt es aber nicht.
Das ist für mich, neben dem Leid der Opfer, das Bitterste: Der Verrat einer an sich richtig gemeinten Sexual- und Pädagogikrevolution. Es ist furchtbar, dass in den 1960er und 1970er Jahren die neue Freiheit in der Pädagogik systematisch von Tätern ausgenutzt wurde, um ihre eigenen Triebe zu befriedigen. Auf diese Weise ist eine ganze Pädagogik in Verruf gekommen. Die Grundideen waren nicht falsch. Aber was Tätern daraus an Räumen entstanden ist, um ihre Pädosexualität auszuleben, das ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.
Werden Spots wie Ihrer Kinder stärker machen?
Das ist schwierig. Ich glaube, Eltern müssen immer wieder in Ruhe mit ihren Kindern darüber sprechen: „Du entscheidest, wer dich anfasst und wer nicht. Und wie. Du musst lernen zu sagen: ’Halt, ich möchte das nicht!‘ “
Und trotzdem haben Sie sich entschieden, in Ihrem Filmchen sichere Räume zu zeigen?
Ich fand es besser, nicht aus der geduckten Köperhaltung heraus zu agieren, sondern aufrecht. Und zu sagen: Das sind die Räume, die wir hell behalten wollen!
Wehrt sich Kunst energisch genug dagegen, das positive Image der Lolita zu bewahren?
Es gibt sicher einen Lolita-Komplex in der Filmkunst. Da sind die verkorksten Lolita-Lüstlinge wie die aufgeklärten Filmemacher, die ein neues Bild von Sexualität kreieren. Wir müssen versuchen, Frauen und Kinder nicht als Sexobjekte auftreten zu lassen. Und keine frühreifen Nummern zu machen, an denen sich ältere Typen einen runterholen können. Das Problem ist nur, dass die aufgeklärte Filmkunst wesentlich weniger kommerziell ist als der große Schund, der sich über uns ergießt.
Der letzte Regisseur des Spots gegen Missbrauch, Wim Wenders, hat die Petition für die Freilassung von Polanski unterzeichnet. Sie auch?
Nein, ich nicht.
Ist es moralisch vertretbar, Polanskis Freiheit zu fordern – und danach einen Antimissbrauchsspot zu drehen?
Natürlich – aber was hat das mit meinen Spots zu tun?
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