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Regisseur Fred Zinnemanns 25. TodestagDie Schmerzen des Krieges

In „The Search“ behandelte Fred Zinnemann das Schicksal jüdischer Waisen in der Nachkriegszeit. Nun jährt sich der Todestag Zinnemanns zum 25. Mal.

Zinnemann (l.) und Ex-Kinderdarsteller Feldmann begegneten sich 1984 in Jerusalem wieder Foto: Jim Tobias

Nicht nur Cineasten kennen die Filme „Zwölf Uhr mittags“ oder „Verdammt in alle Ewigkeit“. Der Regisseur dieser Klassiker, Fred Zinnemann, stammte aus Österreich-Ungarn, geboren am 29. April 1907 in Rzeszów als Spross einer jüdischen Familie. Der kleine Alfred wuchs in Wien auf und absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Kameramann an der Filmhochschule in Paris.

1929 ging er zu MGM nach Hollywood und stieg ins Filmgeschäft ein – mit Erfolg: 1938 erhielt er seinen ersten Oscar für seinen Kurzfilm „That Mothers Might Live“ über den Bezwinger des Kindbett­fiebers, Ignaz Semmelweis.

1944 widmete sich Zinnemann erstmals den Verbrechen der Nazis: Er verfilmte den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers. Nach Kriegsende drehte er für die Schweizer Firma Praesens in den Ruinen von Nürnberg den semidokumentarischen Streifen „The Search“, der das Schicksal der jüdischen Kinder thematisierte, die nur knapp den NS-Mördern entkommen waren.

Neben professionellen Schauspielern, wie etwa Montgomery Clift, waren tragende Rollen mit Kindern besetzt, die die Verbrechen der Nazis am eigenen Leib erfahren hatten. Etwa der damals 12-jährige Joel Feldmann. „Wir wohnten in einem Nürnberger Hotel, in dem auch Amerikaner untergebracht waren. Hier bekamen wir das erste Mal Coca-Cola“, erinnerte er sich Jahrzehnte ­später.

In einem Assembly Center für jüdische Waisen in Ansbach hatte er den berühmten Regisseur kennengelernt: „Fred Zinnemann und noch drei oder vier Personen schauten sich um, machten Fotos und wählten ­einige von uns aus. Ich sprach deutsch mit ihm, denn zu ­dieser Zeit habe ich gut deutsch gesprochen. Dann brachten sie uns zu den Dreh­orten.“

Nürnbergs Trümmer machten Eindruck

Für die Außenaufnahme wählte Zinnemann die Trümmer Nürnbergs, der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage. Sie garantierten so eindrucksvolle Bilder, dass ein englischer Filmkritiker später sarkastisch kommentierte: „Schauen Sie sich die Ruinen der Luftangriffe in Deutschland genau an und danken Sie Ihrem Glücksstern, dass die Royal Air Force auf unserer Seite war.“

Mehrere markante Orte und Gebäude der zerstörten Stadt sind in „The Search“ zu erkennen: die Kirchtürme von St. Sebald, die Frauenkirche, die Pegnitz, deren Ufer von Trümmerhaufen und Gebäudeskeletten gesäumt sind, und der Hauptmarkt, der zwei Jahre vorher noch Adolf-Hitler-Platz geheißen hatte.

In einer Szene rollen US-Militärlaster und ein Rotkreuzwagen in Kolonne über den Platz. Die Kamera fokussiert den Krankenwagen und gewährt dem Zuschauer einen Blick in den Innenraum, darin etwa ein Dutzend Kinder. Wegen eines defekten Auspuffs dringen Abgase ein – in den Gesichtern der Jungen und Mädchen ungläubiges Entsetzen. Sie fürchten, dass es sich bei dem Transporter um einen der berüchtigten Gaswagen handelt, mit denen die Nazis Hunderttausende von Juden ermordet haben.

Die Kinder geraten in Panik, brechen die Türen auf und flüchten Hals über Kopf durch die Ruinen. Den Betreuern gelingt es, sie wieder einzufangen – bis auf zwei, die in die Pegnitz springen und davonschwimmen.

Hunderte jüdische Waisen wirkten als Statisten mit

Auch Avri Ladany spielt in diesen Szenen mit. Der 1935 geborene Junge lebte damals in einem jüdischen Kinderheim in Bayerisch Gmain. Dort hatte Fred Zinnemann weitere Mädchen und Jungen gecastet. „Filmleute kamen und suchten zwölf von uns aus“, berichtete Ladany später. Insgesamt wirkten in dem Film einige Hundert jüdische Waisen als Statisten mit. Nach Abschluss der Dreh­arbeiten wurden die Kinder in die Heime zurückgebracht. Noch bis zur Gründung des Staates Israel im Mai 1948 mussten sie in Bayern ausharren.

US-Regisseur Fred Zinne­mann verarbeitet in „The Search“ seine eigene schmerzliche Erfahrung, etwa den Verlust der Eltern, die von den Nazis ermordet wurden. Und auch viele der Darsteller wie Joel Feldmann, Avri Ladany und die anderen jüdischen Kinder hatten das NS-Grauen am eigenen Leib erfahren – was dem außergewöhnlichen Film eine beklemmende Authentizität verleiht und den von Zinnemann gewünschten Effekt erzielte:

Er sensibilisierte ab 1948 das US-amerikanische Kinopublikum für die verzweifelte Situation der Waisenkinder und brachte beträchtliche Spendeneinnahmen ein, die für die Unterstützung der elternlosen Jungen und Mädchen verwendet wurden. „The Search“ erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter einen Oscar.

Die europäische Premiere fand im November 1949 in London statt, im altehrwürdigen Empire Theater in Anwesenheit von Queen Mary. „Eine schreckliche Erinnerung an Krieg und Faschismus“, urteilte die britische Zeitung The Times, „aber auch ein starkes Plädoyer für den Frieden.“ Obwohl „The Search“ auch in mehreren israelischen Kinos gezeigt wurde, brach der Kontakt zwischen den Kindern und dem Regisseur ab. Nur Joel Feldmann traf sich 1984 noch einmal mit Fred Zinnemann.

In Deutschland kam „The Search“ unter dem Titel „Die Gezeichneten“ erst 1961 in die Kinos, mit einer teilweise verfälschenden Synchronisation. Auch dass darin die Ruinen von Nürnberg gezeigt wurden, erschloss sich den Zuschauern nicht.

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2 Kommentare

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  • Sehr interessant, dass Sie diesen Film The Search von Fred Zinnemann aufgreifen.



    Ein Regisseur, der neu enddeckt werden könnte.



    Fred Zinnemann drehte auch:



    - 1938 That mothers might live - s.o.



    - 1936 "Redes" - über einen Sozialprotest der Fischer an der Küste Mexikos im Kontext der Großen Depression



    - 1948 The Search (Die Gezeichneten)



    - 1964 Behold A Pale Horse über Die Niederlage des Kampfs für die linke Republik in Spanien 1936-39, auf Basis der Erzählung von Emeric Pressburger.

  • Seit dem ich dieses Meisterwerk vor Jahrzehnten zum ersten Mal gesehen habe, ist es in Herz und Kopf immer präsent geblieben. Fehlerhafte Übersetzung hin oder her, der Film sollte Pflichtstoff in der Schule sein.