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Regisseur Emin Alper über „Burning Days“„Ich bewirke mehr, wenn ich bleibe“

Regisseur Emin Alper zeigt in seinem Spielfilm „Burning Days“ eine korrupte türkische Gesellschaft. Er konnte ihn trotz Einschüchterungen drehen.

Kämpfen gegen die Repression: Staatsanwalt Emre und Richterin Zeynep in „Burning Days“ Foto: Ben Curtis/ap
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

Die Abgründe, die sich in der Gegend einer abgelegenen Kleinstadt in Zentralanatolien auftun, sind nicht zu übersehen, aber niemand will hinschauen. Durch die skrupellose Verschwendung von Grundwasser sackt immer mehr Boden ab, und es entstehen riesige Krater. Ein junger Staatsanwalt wird abgesandt, den politischen Skandalen auf den Grund zu gehen. Zunächst herzlich empfangen, wird er bald in die lokalen Intrigen hineingezogen. Regisseur Emin Alper inszeniert seinen Politthriller „Burning Days“ als Mikrokosmos der Situation in der Türkei. Ein Gespräch über Machtmissbrauch, Verschwörungstheorien und leise Hoffnungen, dagegen aufzubegehren.

wochentaz: Herr Alper, in Ihrem vierten Spielfilm, „Burning Days“, kritisieren Sie erneut autoritäre Strukturen und Korruption in Ihrer Heimat. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Emin Alper: Die letzten Jahre waren in der Türkei wirklich erdrückend, und ich wollte diese Situation in einem Film verhandeln. Dafür wollte ich eine fiktive Kleinstadt erschaffen, die uns in Vielem an die Türkei als Ganzes erinnert. Mit einem einsamen Typen, der versucht, gegen den korrupten neopopulistischen Obersten dieser Stadt zu kämpfen, und sich selbst plötzlich in der Position findet, zum Staatsfeind zu werden.

Sie reflektieren die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Türkei mit den Mitteln des Thrillers und Western. Wie haben Sie die Balance gefunden?

Im Interview: Emin Alper

Der Regisseur

Emin Alper wurde 1974 in Zentralanatolien geboren. Er studierte in Ankara Wirtschaft und Geschichte. Nach der Promotion in zeitgenössischer türkischer Geschichte lehrte er an der Technischen Universität Istanbul. Über das Schreiben von Filmkritiken und Drehbuchentwürfen und sein Mitwirken als Schauspieler in Filmen kam er zum Filme­machen.

Sein erster Spielfilm

„Tepenin ardi – Beyond the Hill“ (2012) erhielt unter anderem den Caligari-Preis der Berlinale. „A Tale of Three Sisters“ lief 2019 im Wettbewerb der Berlinale.

„Burning Days“

Regie: Emin Alper. Mit Selahattin Pasali, Ekin Koç u. a. Türkei, 2022, 129 Min.

Indem ich das Drehbuch immer und immer wieder umgeschrieben habe. Ich hatte so um die 16 Fassungen. Ich verwarf immer wieder Szenen, veränderte sie oder erfand neue. Ich begann Ähnlichkeiten zu amerikanischen Filmen entdecken, die in den Südstaaten spielen. Auch diese Region ist sehr konservativ und voller Vorurteile gegenüber allem, was anders ist. Das hat viele autoritäre Bürgermeister und Sheriffs hervorgebracht. Der Film war eine Herausforderung. Schon der Dreh war schwierig, bis dahin hatte ich immer Arthousefilme mit kleinstem Budget gemacht. Erst im Schnitt habe ich dann das Potential des Films erkannt und ihm die Gestalt gegeben, die er jetzt hat.

Sie leben und arbeiten in der ­Türkei. Wie ist Ihre Situation als Bürger und als Filmemacher? Werden Sie in Ihrer Arbeit behindert oder zensiert?

Film ist leider eine kostspielige Kunst. Man braucht viel Geld dafür, und das zu finden, ist ein ernsthaftes Problem. Es gibt eine Förderung des Kulturministeriums, aber man ringt mit einem Komitee. Das ist immer eine indirekte Auseinandersetzung, man weiß nie genau, woran man ist. Es gibt einen permanenten Druck, kein Geld zu bekommen oder das zugesagte Geld wieder zu verlieren. In unserem Fall forderten sie anschließend sogar das Geld zurück, weil der fertige Film in ihren Augen nicht dem eingereichten Drehbuch entspricht. Und es war sehr schwierig, Förderungen aus anderen Quellen zu bekommen. Alle haben Angst, niemand will in einen Film investieren, der nicht von den Behörden abgesegnet ist. Auch Schau­spie­le­r*in­nen stehen unter Druck. Aber sobald ein Film fertig ist und einen Verleih hat, kann man ihn in den Kinos zeigen. Auch „Burning Days“ lief sehr erfolgreich. Es gibt keine offensichtliche Zensur in diesem Sinne. Unsere Zensur funktioniert indirekt.

In Ihrem Film geht es auch um Homophobie.

Das war auch die eigentliche rote Linie für die Behörden. Wenn ich in einem Film von autoritären Strukturen erzähle, kann ich immer behaupten, es sei nur eine Metapher für etwas anderes. Aber Homophobie ist etwas anderes, es benennt ein konkretes Problem. Es gibt sie nicht nur in der türkischen Gesellschaft, sie ist in den letzten Jahren zu einer staatlichen Politik geworden. Darauf müssen wir auch als Künstler reagieren. Die Homophobie war nicht Teil der ersten Entwürfe meines Drehbuchs, ich habe sie genau als Reaktion auf diese staatliche Politik hinzugefügt.

Vom Staatsanwalt bis zum Journalisten sind die Figuren Ihres Films allesamt widersprüchlich.

Ich wollte keine einfache Geschichte von Gut gegen Böse erzählen. Man kann sich nicht sicher sein, ob ihre Absichten ehrlich und integer sind. Ich bin davon überzeugt, dass man nicht völlig rein bleiben kann, wenn man sich diesem Sumpf aussetzt. Deswegen habe ich die Charaktere so zwiespältig dargestellt. Es handelt sich um einen Kampf zwischen dem Bösen und einem kleineren Übel.

Die Einschüchterungen in der Türkei sind massiv. Bei der Premiere in Cannes etwa erinnerten Sie an Ihre inhaftierte Associate Producerin Çiğdem Mater.

Sie war Teil der Gezi-Proteste in Istanbul, der größten Proteste in der Geschichte der modernen Türkei, die für Erdoğan zur Obsession wurden. Er glaubte, es wäre eine von fremden Mächten gesteuerte Aktion, um ihn zu stürzen. Teilweise gingen Millionen von uns auf die Straße. Nicht, weil uns jemand dazu anstiftete, sondern weil wir wütend waren. Aber der Verschwörungstheoretiker Erdoğan und sein Umfeld sind sich sicher, dass wir gelenkt wurden. Er fand dann ein paar Sündenböcke wie den Menschenrechtler Osman Kavala. Sie durchkämmten das Umfeld Kavalas und verhafteten Leute, die sie für Verbündete hielten. Darunter auch unsere Freundin. Die Vorwürfe gegen sie bestehen wegen eines Dokumentarfilms über die Gezi-Proteste, den sie nie gedreht hat. Doch das gilt jetzt als Beweis für Propaganda, um Erdoğan zu stürzen. Wir waren schockiert, als wir erfuhren, dass sie zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde und Kavala zu lebenslänglich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte seine Freilassung, aber die Regierung lehnte das ab.

Warum sind die Verschwörungstheorien so wirkmächtig, nicht nur in der Türkei?

Autoritäre Führer manipulieren damit die öffentliche Meinung. Sie wissen, dass es ein sehr gutes Werkzeug ist. Doch es hat seine Grenzen. Durch die Wirtschaftskrise im Land gibt es immer mehr Menschen, die unzufrieden sind und sich mit Verschwörungstheorien und Ausreden nicht mehr abspeisen lassen. Erdoğan behauptet zwar, auch an der Krise seien ausländische Kräfte schuld, aber viele glauben ihm nicht mehr, zumindest in den Metropolen. Leider herrschen große Unterschiede zwischen den Großstädten wie Istanbul den ländlichen Gebieten, was den Zugang zu Informationen betrifft. Und damit auch, wo meine Filme gezeigt werden.

Neben Ihren Autorenfilmen inszenieren Sie inzwischen auch Serien wie „Alef“ für Streamingdienste. Ist das etwas, das Sie weiterverfolgen wollen? Oder sehen Sie sich vorrangig als Kinoregisseur?

Es hat drei Jahre gedauert, die Finanzierung für diesen Film zu sichern, bevor wir überhaupt drehen konnten. Diese Zeit kann ich gut nutzen, um für einen der Streamingdienste zu arbeiten. Aber es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich schreibe für Serien keine eigenen Drehbücher, sondern inszeniere nur. Aber als Regisseur finde ich dort einen gewissen kreativen Spielraum zu experimentieren und Dinge auszuprobieren. Das gefällt mir.

Was hält Sie trotz dieses Drucks weiterhin in der Türkei?

Weil ich mehr bewirke, wenn ich hierbleibe. Ich glaube nicht, dass ich im Ausland drehen könnte. Meine Teams sind von hier, meine Inspirationen sind hier. Außerhalb wäre ich nicht pro­duktiv. Andererseits, wenn es so weitergeht und sich in Zukunft nichts zum Besseren wendet, wer weiß. Nach dem erneuten Sieg Erdoğans gibt es womöglich bald nichts mehr zu verlieren.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Landes?

Die Situation ist düster, aber nicht aussichtslos. Ich wollte mit diesem Film ein Zeichen setzen, dass wir kämpfen werden. Die Schluchten werden der Sturz derjenigen sein, die ihre Macht missbrauchen. Durch die Wirtschaftskrise hat die Regierung an Popularität verloren, viele Menschen sind unzufrieden. Aber Erdoğan wurde wiedergewählt. Der Kampf geht weiter.

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