Regierungsvereidigung in Israel: Der Mut des Verräters
Linke im In-und Ausland sind wütend auf Benny Gantz. Dabei verhindert er eine weitere Spaltung Israels.
E s ist vollbracht. Israel hat nach mehr als einem Jahr Dauerkrise im politischen Vakuum wieder eine Regierung, die die Wahlergebnisse widerspiegelt. Der Herausforderer Benny Gantz hat sich auf eine Koalition mit Bibi Netanjahu eingelassen, dem langjährigen Anführer des rechten Lagers. Israels Linke ist über die Vereidigung wütend und enttäuscht. Sie sieht den ehemaligen Armeechef Gantz als Verräter an. Hatte er nicht geschworen, der Ära Netanjahu endlich den Garaus zu machen?
Hatte er. Doch dann kam die Realität. Die Wähler*innen in Israel sind nicht weniger als dreimal in einem Jahr zu den Urnen gerufen worden. Gantz hat bis zuletzt darauf bestanden, dass eine Koalition mit ihm nur zustande kommen kann, wenn der wegen Korruption angeklagte Netanjahu seinen Hut nimmt – vergeblich.
Was also hätte Gantz nach Ansicht seiner Kritiker im In- und Ausland denn tun sollen? So lange wählen lassen, bis das Ergebnis dem linken Lager gefällt? Es wird Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Wahlergebnisse nur das zeigen, was ist: Eine starke israelische Linke existiert nur noch in der Erinnerung, das Israel von heute ist mehrheitlich rechts. Zu glauben, für das wahre Israel zu stehen, drückt lediglich linke Selbstüberschätzung aus.
Eine Einheitsregierung mag keine politische Wende bringen, aber im Ergebnis wird sie das Land besser führen können als ein rein rechtes Bündnis. Gantz und seine Minister geben einer großen Minderheit endlich wieder eine Stimme, sie können vieles abmildern und vor allem der tiefen Spaltung entgegenwirken. Die politische Polarisierung hat in Israel – man erinnere sich an das Attentat auf Jitzhak Rabin – in der Vergangenheit schon schlimme Folgen nach sich gezogen.
Gantz mag vielen nun als Verräter gelten, aber er hatte immerhin den Mut, sich seine fortgesetzte Niederlage einzugestehen, Konsequenzen zu ziehen und den Zorn seiner Unterstützer auszuhalten. Dass er seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, um das Wahldrama zu beenden und Israel in der Coronakrise zu stabilisieren, verdient Anerkennung.
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