piwik no script img

Regierungskrise spitzt sich zuKönig Albert will Belgien retten

Nach der Zuspitzung der Dauerkrise zwischen Flamen und Wallonen schaltet sich nun König Albert II. ein. Aber eine Einigung ist ebensowenig in Sicht wie eine Regierung.

Versucht, sein Land aus der Krise zu führen: König Albert der II. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Der belgische König Albert II. hat den Abbruch der Koalitionsverhandlungen in Belgien verhindert. Gestern Nachmittag beauftragte er den bisherigen Verhandlungsführer, den flämischen Christdemokraten Yves Leterme weiterhin mit den frankophonen und den flämischen Parteien zu verhandeln, um eine föderale Regierung zu formen.

"Das ist unbedingt notwendig für die Glaubwürdigkeit Belgiens", hieß es in einer Mitteilung des Königshauses nach einem Treffen des Monarchen mit Leterme. Albert II. fordert eine zügige Regierungsbildung und will parallel zu den Koalitionsverhandlungen mit Vertretern von Parlament und Senat beraten, wie es mit dem belgischen Föderalstaat weitergehen soll.

Am Mittwoch hatte sich die Regierungskrise in Belgien dramatisch zugespitzt. Die frankophonen Parteien hatten die Verhandlungen über die zukünftige Koalition am Abend vorübergehend für unterbrochen erklärt. Der Grund für den neuen Streit zwischen Flamen und Wallonen war eine brisante Abstimmung im Innenausschuss des Parlaments: Die Flamen setzten dort gegen den Willen ihrer frankophonen Kollegen die Teilung des Wahlbezirks Brüssel-Hal-Vilvorde - kurz BHV - durch. 120.000 bis 150.000 frankophone Belgier dürfen dort demnach bei den nächsten Wahlen nur noch für flämische Parteien stimmen - für die Frankophonen eine inakzeptable Situation.

Der Wahlbezirk Brüssel-Hal-Vilvorde bildet das Umland der belgischen Hauptstadt, in dem vorrangig französischsprachige Belgier wohnen, der aber rechtlich und geografisch zu Flandern gehört. Bisher galt dort, dass Frankophone wie bereits in der zweisprachigen Hauptstadt Brüssel auch für frankophone Politiker stimmen durften. Damit soll nun nach dem Willen der Flamen Schluss sein.

Die Frankophonen sehen das als "Ohrfeige" für die Hälfte der belgischen Bevölkerung: "Die Flamen wollen die Unterdrückung der Frankophonen. Das können wir nicht zulassen", sagte Elio di Rupo, Vorsitzender der frankophonen Sozialisten. Die frankophonen Abgeordneten hatten demonstrativ den Saal verlassen, während ihre Kollegen abstimmten.

Zwar sprachen die beiden großen frankophonen Parteien, nämlich die Liberalen und die Christdemokraten, dem bisherigen Verhandlungsführer Yves Leterme ihr Vertrauen aus. Sie stellten aber auch klare Bedingungen für weitere Verhandlungen. So müsste über BHV auf jeden Fall noch einmal auf föderaler Ebene diskutiert werden. Der Parlamentsbeschluss wäre damit hinfällig. Wie die frankophonen Parteien auf die erneute Nominierung Letermes durch den König reagieren werden, war zunächst nicht klar.

Der Streit um den Wahlbezirk ist aber nur ein Beispiel für den tiefen Konflikt zwischen Flamen und Wallonen. Seit über 150 Tagen laufen die Regierungsverhandlungen - ohne Erfolg. Dahinter steckt ein grundsätzlicher Konflikt über die Organisation des belgischen Staats: Die Flamen wollen mehr Autonomie für ihre Region - vor allem in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. So wollen sie zum Beispiel Tarifvereinbarungen regional treffen.

Die Frankophonen wehren sich gegen solche Vorhaben. Sie wollen die Föderalregierung stärken, weil diese bisher auch ihre Interessen wahrt. So bezahlt Flandern jährlich mehrere Millionen Euro an die wirtschaftlich schwächer gestellte Wallonie. Diese Solidarität ist jetzt in Frage gestellt.

Der Zwiespalt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen verhindert seit Monaten die Regierungsbildung, obwohl sich die Parteien in vielen anderen Punkten, zum Beispiel bei der Einwanderungspolitik, einigen konnten. In jedem Fall werden sich die Verhandlungen noch einmal in die Länge ziehen. In Brüssel wird bezweifelt, dass es bis zum Jahresende eine neue Regierung geben wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!