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Regierungskrise in SüdkoreaKonservativ, erfahren, aber politisch verbrannt

Südkoreas Übergangspräsident Han Duck Soo tritt zurück – und strebt nach Höherem. Dabei wird auch er für die Demokratiekrise verantwortlich gemacht.

Übergangspräsident Han Duck Soo erklärt seinen Rücktritt Foto: Han Hae-in/Yonhap/ap/dpa

Seoul taz | Als Südkoreas Übergangspräsident Han Duck Soo am Donnerstag vor die Fernsehkameras trat, wussten die meisten Journalisten bereits, was die Öffentlichkeit erwarten würde: Der 75-Jährige tritt von seinem Amt zurück. Nicht jedoch, um sich aus dem politischen Geschäft endgültig zu verabschieden, sondern ganz im Gegenteil: um für die kommenden Neuwahlen am 3. Juni als Präsidentschaftskandidat ins Rennen einzusteigen.

Bereits seit Tagen wird darüber spekuliert. Offiziell bestätigt hat Han Duck Soo dies bis Redaktionsschluss noch nicht, aber zwischen den Zeilen deutete er die Möglichkeit wenig subtil an: Sein Weg bestehe darin, sagte Han, künftig eine „noch größere Verantwortung zu übernehmen“.

Das bedeutet also voraussichtlich, dass der renommierte Politiker für das konservative Lager als Kandidat antreten wird. Mit seinen viereinhalb Dekaden an Erfahrung hat Han Duck Soo einige Stärken vorzuweisen – etwa, dass er bereits sowohl unter konservativen als auch linksliberalen Präsidenten als Minister gedient hat.

Außerdem kann der studierte Ökonom einen Harvard-Abschluss in seinem Lebenslauf vorweisen, zudem auch eine Laufbahn als Botschafter.

Im Strudel von Yoon Suk Yeol

Von außen betrachtet könnte man also meinen: ein solch moderater, diplomatisch auftretender Politiker wäre für die hochpolarisierte Gesellschaft Südkoreas genau der Richtige.

Doch bei näherer Betrachtung dürfte Han aufgrund der letzten Monate wahrscheinlich politisch verbrannt sein. Denn als Übergangspräsident distanzierte er sich nicht deutlich genug von seinem einstigen Vorgesetzten Yoon Suk Yeol, der Anfang Dezember vollkommen ungerechtfertigt das Kriegsrecht ausrief und Spezialeinheiten der Armee zum Parlament schickte.

Yoons versuchte Rückkehr zur Autokratie hat ihm das Volk nicht verziehen, zumal der 64-Jährige für seine hanebüchene Begründung – die Opposition sei von Kommunisten unterwandert – keinerlei Beweise vorlegte. Was viele Koreaner ebenfalls erzürnte: dass sich viele Abgeordnete der konservativen Partei weiterhin hinter Yoon gestellt haben.

Dementsprechend geht für die Neuwahlen am 3. Juni der linke Oppositionsführer Lee Jae Myung als Favorit ins Rennen. Die derzeitigen Umfragen führt der populistische Politiker haushoch an. Dies hat Lee jedoch weniger der eigenen Beliebtheit zu verdanken, sondern vielmehr dem Fakt, dass die politische Rechte zerstritten am Boden liegt.

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