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Regierungskrise in MontenegroFragiles Bündnis stürzt

In Montenegro ist die Regierung nach nur 14 Monaten im Amt durch ein Misstrauensvotum abgewählt worden. Nun könnte eine Minderheitsregierung folgen.

Hat der eigenen Regierung den Gnadenstoß erteilt: Dritan Abazović, Chef der proeuropäische URA Foto: Stevo Vasiljevic/reuters

Split taz | Am Wochenende freuten sich Tausende von Menschen in Montenegros Hauptstadt Podgorica und anderswo. Sie feierten mit Parolen wie „für das europäische Montenegro“ den Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Zdravko Krivokapić nach nur 14 Monaten im Amt. 43 von 81 Abgeordneten sprachen Krivokapić bei einer Abstimmung im Parlament am Freitagabend das Misstrauen aus. 11 Volksvertreter stimmten gegen den Misstrauensantrag.

Zur Abstimmung kam es, weil der kleinste Koalitionspartner, die Bürgerbewegung URA, die als zivile Plattform Schwarz und Weiß 2020 mit nur vier Abgeordneten ins Parlament gewählt wurde, das Bündnis mit Krivokapić aufgekündigt hatte. Die linksgrüne Plattform versteht sich als progressive und proeuropäische Kraft, in der regionale Kleinparteien, NGOs, Intellektuelle und Menschenrechtsaktivisten zusammengefasst sind.

In der Regierungskoalition ist dieses Bündnis zwar der kleinste Koalitionspartner, aber ohne ihre Stimmen hat Ministerpräsident Krivokapić keine Mehrheit mehr. Nach einigen Querelen mit den proserbisch-nationalistischen Kräften innerhalb der Regierung zog URA-Chef Dritan Abazović die Reißleine.

Die unter Krivokapić angetretene Koalition, der es immerhin gelungen war, die 30 Jahre regierende Demokratische Partei der Sozialisten zu stürzen, war mit großen Hoffnungen angetreten. Vor allem ihre Kampagne gegen die Korruption unter der sozialistischen Regierung des immer noch amtierenden Präsidenten Mile Đukanović hatte 2020 zum Stimmungsumschwung auch bei vielen proeuropäischen Wählern beigetragen.

Viele Wähler aus diesem Lager sind zwar Gegner des serbischen Nationalismus und der serbisch-orthodoxen Kirche, doch wollten sie ebenfalls der grassierenden Korruption in dem gerade einmal von 600.000 Menschen bewohnten Kleinstaat ein Ende bereiten.

Gesellschaft bleibt gespalten

Jetzt ist das Pendel zurückgeschlagen. Denn weder gelang es der „Expertenregierung“, entscheidende Maßnahmen hin zur Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, noch gelang es, die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen. Auf der Seite der proserbischen Fraktion steht vor allem die serbisch-orthodoxe Kirche, die um ihre Privilegien und Kirchenbesitz fürchtet. Die alte Regierung wollte Teile des von der serbischen Kirche 1918/19 widerrechtlich angeeigneten Besitzes an die wiedererstandene montenegrinisch-orthodoxe Kirche zurückgeben, was die serbische orthodoxe Kirche mit allen Mitteln verhindern will.

Nachdem die proserbischen Kräfte, allen voran die Demokratische Front (DF), zudem versucht hatten, die überparteilichen Minister der Expertenregierung durch eigene Leute zu ersetzen und ein Minister sogar erklärte, der Massenmord im bosnischen Srebrenica 1995 sei kein Genozid gewesen, war das Maß für die linksgrünen Kräfte voll. Angesichts der serbischen Strategie, ihren Einfluss auf die Nachbarländer auszudehnen, sind viele an das Projekt „Großserbien“ vor 30 Jahren erinnert, das so viel Leid über die Nachbarn Serbiens gebracht hat.

URA-Chef Dritan Abazović strebt nun eine Minderheitsregierung an, die von der Sozialistenpartei DPS geduldet wird. Teile der bisherigen Regierung stehen hinter seinem proeuropäischen und serbienkritischen Weg. Der Menschenrechtsaktivist wird aber wohl hart mit den Sozialisten verhandeln müssen, denn der Kampf gegen die Korruption ist weiterhin sein Hauptanliegen. Falls das nicht klappt, will er Neuwahlen fordern.

Nach Expertenmeinungen könnte seine grünliberale Parteiengruppe mit großen Stimmengewinnen im proeuropäischen Lager und auf Unterstützung von westlichen Regierungen hoffen.

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