Kommentar: Regel und Ausnahme
■ Es konnte sein, was nicht sein durfte
Dogmatismus hat auch seine Vorteile. Da spricht das Landgericht einen Totalverweigerer frei, weil er – selbst für den Laien – offensichtlich die Strafnorm nicht erfüllt hat. Den Argumenten des Staatsanwaltes, die er vom Bundesamt für den Zivildienst geliefert bekommt, merkt man den Grundsatz an, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Da soll einer davonkommen, weil er durch die engmaschigen Normen über Kriegs- und Zivildienst schlüpft? Unerhört!
Zum Glück hat sich das Landgericht nicht mit „Wo kämen wir da hin?“-Argumenten überzeugen lassen. Wenn es da eine Gesetzeslücke gibt, soll sie geschlossen werden – aber bis dahin kann sie genutzt werden, und basta. Da zieht man den Hut, wenn man sonst immer die Meinung vertritt, die Justiz sei das Mittel zur Verfestigung der herrschenden Normen und Werte, alles, was die Strukturen störe, werde von ihr kriminalisiert und bekämpft. Fast euphorisch möchte man werden, bis man sich erinnert, daß das Urteil nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein ist. Denn gerade beim Thema Wehr- und Zivildienst lebt die deutsche Justiz seit Jahren mit einer Regelung, die dem klaren Gesetzeswortlaut widerspricht. Nachzulesen im Grundgesetz unter Artikel 12a (2): „Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen“. Wer die Realität kennt, der weiß, was in Deutschland die Regel ist – und daß dieses Urteil die Ausnahme bildet. Bernhard Pötter
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