
Refugium-Auszeit-Stipendium 2025 : Venezuela: Journalismus ohne Krieg unter Kriegsbedingungen
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Ronna Rísquez berichtet über ihre Arbeit als Journalistin in Venezuela. Ein Gespräch über Verlust, Widerstand und die Kraft journalistischer Solidarität.
„Großartig!“, „wunderbar!“, „unglaublich!“ – Das Refugium-Stipendium der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen ermöglichte der venezolanischen Journalistin Ronna Rísquez, den Stress ihres Alltags hinter sich zu lassen und sich voll und ganz auf die journalistische Arbeit zu konzentrieren: „Das Wichtigste an meinem Aufenthalt in Berlin war das Gefühl der Sicherheit, dass ich in Ruhe meiner Arbeit nachgehen kann.“ Eine Zeit ohne Angst um die eigene körperliche Unversehrtheit oder juristische Repression.
Rísquez ist dieses Jahr eine der drei Journalist*innen, die im Rahmen des „Refugium“-Stipendiums eine Auszeit von Verfolgung und Gewalt in ihrem Heimatland durch einen drei- bis sechsmonatigen Aufenthalt in Berlin nehmen können. Neben ihr nehmen 2025 auch die Belarussin Glafira Zhuk und der mexikanische Journalist Heriberto Paredes am Refugium teil.
Rísquez arbeitet seit über 25 Jahren als Journalistin. 2023 veröffentlichte sie das Buch „Tren de Aragua“, eine Geschichte über die organisierte Kriminalität der gleichnamigen Drogenbande. Gleichzeitig thematisiert das Buch auch Rísquez’ eigene Erfahrungen als Journalistin in Venezuela. Im Zuge der Veröffentlichung wurde Rísquez Opfer von Drohungen und politischer Verfolgung.
Journalismus in Venezuela – zwischen Angst und Resistenz
Rísquez beschreibt den Journalismus in Venezuela „wie einen Seiltanz“. Eine Balance zwischen dem Risiko, das mit unabhängigem Journalismus einhergeht, und der Verantwortung, die sie als Journalistin empfindet, zu „informieren, anzuprangern, zu berichten und die Tatsachen festzuhalten.“ Im Gespräch mit der Leiterin der taz Panter Stiftung, Gemma Terés Arilla, teilt sie viele, zum Teil auch sehr emotionale Momente aus Venezuela. Die Journalistin erzählt, wie sich die Situation verschlechtert hat und ihre Arbeit immer stärker eingeschränkt wird. Unter Hugo Chávez und Nicolás Maduro ist die Machtverteilung zerfallen.
Rísquez spricht von einer „Hegemonie der Kommunikation“: Medien wurden systematisch aufgekauft und über 400 Redaktionen mussten schließen, viele Journalist*innen sind im Gefängnis. In Venezuela seien digitale Medien „inzwischen so ziemlich der einzige Weg, Journalismus zu machen.“ Trotz der gefährlichen Situation finden Journalist*innen immer wieder innovative Formen des Widerstands: Medienbündnisse aus digitalien Medien stärken unabhängige Recherchen, animierte Illustrationen und KI-Avatare schützen Journalist*innen; Nachrichtentrucks bringen Informationen analog in Gemeinden.
Für Rísquez steht die Arbeit, die „Opfern geholfen haben könnte, Opfern von Gewalt aller Art, vor allem Opfern von Polizeigewalt“, im Vordergrund. Sie betont, wie wichtig es sei, als Journalistin Aufmerksamkeit auf diejenigen zu richten, die gesellschaftlich und sozial benachteiligt seien. Rísquez’ Mutter bezeichnet die Arbeit ihrer Tochter als „Verteidigung der Armen oder der verlorenen Fälle“, und genau das ist für Rísquez am wertvollsten.
Ein Viertel der Bevölkerung Venezuelas hat inzwischen das Land verlassen. Exil kam bis vor kurzem für Rísquez nicht in Frage. Sie möchte unbedingt zurück in ihr Land und betont, dass die Erfahrung venezolanischer Journalist*innen Modellcharakter hat für Journalist*innen aus anderen Ländern, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Die Strategien aus Venezuela können diesen Journalist*innen helfen, sich zu wappnen, statt zu resignieren – denn autoritäre und repressiv werdende Systeme sind keine Ausnahme, sondern finden sich inzwischen weltweit.
Auf Wunsch von Ronna Rísquez und aus Sicherheitsgründen wurde diese Podcastfolge erst nach der Beendigung ihres Refugium-Stipendiums veröffentlicht.
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