Refugee-Karawane Tagebuch (5): Kontakte knüpfen am Lagerfeuer
Es ist Halbzeit bei der Refugee-Karawane. Und die Teilnehmer:innen fragen sich: Was bleibt zu tun, um die Ziele zu erreichen?
Ein neuer Morgen, der vierte Tag der Refugee-Karawane. Ich wache auf mit einer neuen Erfahrung: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben in einem Zelt geschlafen. Vorher war ich noch nie campen. Ich wollte das unbedingt einmal machen. Nun war es endlich soweit. Wir hatten dabei viel Spaß. Einer der Freunde sammelte am Abend Holz, wir machten ein Feuer und spielten Musik. Einige von uns tanzten, andere applaudierten. Das Holzfeuer in dieser ruhigen Umgebung weckte Kindheitserinnerungen an mein Zuhause.
Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.
Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.
Am Morgen bin ich früh wach, es ist sehr kalt. Heute decke ich den Esstisch für alle, esse Eier, Hummus, trinke eine Tasse Tee. Dieser Morgen ist anders als die vorigen, ruhiger.
Für heute sind keine Kundgebungen oder Demos angesetzt. Stattdessen Workshops: Beratung gegen Abschiebungen, Übersetzungstechniken, Rechte von Wanderarbeitern, Widerstand gegen die Bezahlkarte, Strategien der Selbstorganisation, Boxen für Frauen, Erste Hilfe und anderes. Wir haben die Möglichkeit, neue Freund:innen kennenzulernen. Es ist ein Tag, an dem Netzwerke und Vertrauen zwischen den Aktivisten aufgebaut werden. Einige von uns boxen zum Spaß. Für mich ist es eine großartige Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfe. Es motiviert mich weiter, mich mit ihnen gemeinsam zu engagieren.
Wir sitzen zusammen, diskutieren über die vergangenen Tage, geben uns Feedback. Was sind die nächsten Schritte? Was bleibt für den Rest der Woche zu tun, um unsere Ziele zu erreichen?
Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.
Ahmed schließt sich uns an. Er war Zahnarzt in Syrien. Im Krieg hatte er Brüder durch einen Bombenangriff verloren, ihr Haus war dabei zerstört worden. Dann verließ er das Land. Heute lebt er im Lager Schneeberg im Erzgebirge, im Süden Sachsens.
„Das Lager liegt in einer Hochebene, weit entfernt von der Stadt, und es ist sehr kalt“, sagt Ahmed. Die Heizungen funktionierten nicht, es gebe keine Hygieneartikel und keine ausreichende medizinische Versorgung. „Dies ist ein isolierter Ort, an dem normale Menschen nicht leben können. Wir werden behandelt, als wären wir Kriminelle“, klagt er. So sei es schwierig, sich in die Gesellschaft zu integrieren. „Ich hatte die Hoffnung auf ein besseres Leben, aber jetzt scheint es, als würde ich die Hoffnung verlieren.“
Die Zeit vergeht schnell. Ich freue mich auf die nächsten Tage, die Demo in Eisenhüttenstadt vor dem sogenannten Dublin-Zentrum am Donnerstag, den Besuch des Lagers in Berlin-Tegel am Freitag – und besonders auf den Samstag, wenn wir unsere Karawane-Woche beenden und unseren Widerstand mit einer Parade feiern werden, die um 11 Uhr am Oranienplatz in Berlin beginnt.
Das Tagebuch wird fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert