Reformierung des Sozialrechts: Moderne Väter sind zu schwierig
Wenn Kinder abwechselnd bei getrennten Eltern wohnen, ist das mit Mehrkosten verbunden. Bisher hatten das die Gerichte akzeptiert, jetzt soll es sich ändern.
BERLIN taz | Ein Kind hat Anrecht auf Mutter und Vater – auch wenn die Eltern sich trennen. Das wird immer mehr Konsens, nicht zuletzt wurde das Sorgerecht in diesem Sinn geändert.
Auch unverheiratete Väter, die von der Mutter ihres Kindes getrennt sind, können seit 2013 das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Ein Kulturwandel, der nicht nur im Sinne der Kinder ist, sondern auch der Gleichberechtigung: Die alte Aufteilung, dass der Mann „draußen“ in der Arbeitswelt bewährt, und die Frau und Mutter „drinnen“, bei Küche und Kindern, waltet, soll sich zunehmend auflösen.
Und die Bringschuld liegt eindeutig bei den Vätern, die sich in der Regel nach einer Trennung immer noch aus dem Leben ihrer Kinder weitgehend verabschieden. Doch Vätern, die das anders machen wollen, legt der Staat immer noch Steine in den Weg. Im Sozialrecht etwa könnte es in Zukunft eher noch dramatischer als besser werden. Bis diesen Sommer tagte eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern, um das sogenannte passive Leistungsrecht zu vereinfachen. Das sind die Auszahlungsmodalitäten für Hartz IV.
Davon sind unter anderem getrennte Väter betroffen, die Unterhalt zahlen, ihre Kinder aber weiterhin zu einem erheblichen Teil selbst betreuen. Zum Unterhalt kommt dann noch die Finanzierung des Kindes, das ja auch erhebliche Zeit im eigenen Haushalt verbringt. Der Unterhalt aber wird erst dann nennenswert gekürzt, wenn sie die Kinder zu genau 50 Prozent betreuen. Viele Mütter wissen das und stimmen einer exakten Halbe-halbe-Betreuung nicht zu. Denn dann würde ihnen ein Teil des ohnehin schon mickrigen Unterhalts fehlen.
Jobcenter will Mehrkosten nicht mehr tragen
Also gibt es eine Menge Situationen, in denen das Kind etwas mehr bei der Mutter ist – der Vater es aber trotzdem zu einem großen Teil mitbetreut. Und das bedeutet: Unterhalt zahlen – und außerdem auch noch das Kinderzimmer, Essen, Kino, Ferien und so weiter und so fort.
Diese Väter landen, wenn sie finanziell nicht mehr über die Runden kommen, häufig beim Jobcenter und beantragen eine Aufstockung ihres Einkommens mit Hartz IV. Das Jobcenter nämlich zahlt den Bedarf des Kindes exakt für jene Tage, die das Kind beim Vater ist. Weil aber die Mütter in dieser Zeit nicht tageweise weniger Nebenkosten, Klavierunterricht und Sportvereine bezahlen, werden den Müttern diese Tagessätze nicht zugleich abgezogen. Die Gerichte akzeptierten, dass das Wechselmodell mit Mehrkosten verbunden ist. Aber genau das soll sich nun ändern.
Die tageweise Mehrleistung des Jobcenters soll laut der Arbeitsgruppe abgeschafft werden. Sie sei zu aufwändig, heißt es in dem Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe. „Ein Kind soll zukünftig nur noch einer Bedarfsgemeinschaft zugeordnet werden“, steht dort. Der dortige Elternteil soll dem anderen die Tagessätze auszahlen. De facto wird der Mehrbedarf also in Zukunft vom Jobcenter geleugnet. Der Elternteil, bei dem das Kind gemeldet ist, oft die Mutter, muss den anderen „auszahlen“ – obwohl das Geld dafür nicht da ist. Ein Quell unendlichen Streits.
Denn die Mütter sind ja in der Regel noch knapper dran als die Väter. Weil Frauen oft schlechter verdienen als Männer und viele Mütter für ihre Kinder bis zur Trennung in schlecht bezahlter Teilzeit oder sogar gar nicht erwerbstätig waren.
Moderne Vaterschaft vor dem Aus?
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter fordert deshalb: „Keine Kürzung zu Lasten der Kinder“. Und schlägt vor, weiterhin den Mehrbedarf für den ausgezogenen Elternteil anzuerkennen. Väteraktivisten sind ebenfalls alarmiert. Sie sehen, wie die drangsalierten Mütter aus Angst vor der blanken Not einem Wechselmodell nicht mehr zustimmen werden.
Die Vereinfachung des Sozialrechts hätte also moderner Vaterschaft den Garaus gemacht. Das Bundesarbeitsministerium möchte sich zu der Problematik nicht äußern. Man arbeite gerade erst an der Umsetzung des Berichts. „Zurzeit gibt es noch keine Festlegungen“, so ein Sprecher.
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