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Reform des AbtreibungsrechtsAnfang vom Ende des Gebärzwangs

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Eine Expertinnenkommission empfiehlt die Legalisierung von Abtreibungen in den ersten drei Monaten. Der Gebärzwang könnte nun endlich ein Ende haben.

Der Kampf gegen den § 218 ist noch nicht zu Ende Foto: Stefan Boness

F ür bundesdeutsche Verhältnisse ist die Empfehlung geradezu revolutionär. Die von der Bundesregierung eingesetzte und rein weiblich besetzte Expertinnenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung fordert, dass der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mindestens innerhalb der ersten drei Monate einer Schwangerschaft legalisiert. Damit wäre der Gebärzwang, der hierzulande seit Gründung des Deutschen Reichs 1871 faktisch, und nur mit kurzer Unterbrechung in der DDR, herrscht, Geschichte.

Der Spielraum allerdings, den die Kommission dem Gesetzgeber jenseits dessen lässt, ist breit. Ob der Paragraf 218 tatsächlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden soll, bleibt dahingestellt. Möglich wäre, so die Kommission, dass die Ampel die Ausnahmen vom Abtreibungsverbot in den ersten drei Monaten derart weit fasst, dass zwar der Paragraf bestehen bleibt, Abbrüche aber anders als bisher rechtmäßig und straffrei wären.

Die weit progressivere Option, die die Kommission ebenfalls formuliert: den Paragrafen 218, mit dem unendlich viel Leid und Tod verbunden ist, endlich abzuschaffen.

Zentral wäre das deshalb, weil nur dann ein Wandel in den Köpfen möglich wäre, wenn Abbrüche im deutschen Rechtssystem ihren Platz nicht mehr kurz hinter Mord und Totschlag im Strafgesetzbuch hätten. Das Stigma könnte abgebaut werden, Abbrüche würden aus der Schmuddelecke geholt. Sie könnten als das betrachtet werden, was sie sind: eine Gesundheitsleistung, die Frauen in die Lage versetzt, ihr Leben selbstbestimmt zu leben – und die im Zweifel eben auch Leben rettet.

Es braucht Druck auf die Ampel

Möglich nun, dass der Gesetzgeber den Spielraum ausnutzt und entsprechend den Kommissionsempfehlungen zu einer Lösung kommt, die Paragraf 218 abschafft und die Grundrechte von Frauen umfänglich achtet. Möglich aber auch, dass sich die Situation für ungewollt Schwangere hierzulande zwar verbessert – ein Paradigmenwechsel aber ausbleibt.

Damit die Ampel allerdings überhaupt aktiv wird, braucht es politischen Druck. Denn nach viel Eifer sieht es dort derzeit nicht aus. Der Gesundheitsminister zeigt kein Interesse, die Frauenministerin hält sich gerade so über Wasser und wird zur eigenen Rettung kaum auf ein Thema setzen, das so kontrovers ist wie dieses. Und die FDP will den Paragrafen 218 sowieso nicht abschaffen.

Nichtsdestotrotz: Zum ersten Mal liegt nun schwarz auf weiß vor, dass es verfassungsrechtlich nicht nur möglich, sondern sogar geboten ist, eine ungewollte Schwangerschaft auch aus der Perspektive der Frau zu denken. Dass reproduktive Rechte existieren. Und dass sie in einem Rechtsstaat als Menschenrechte geachtet werden müssen.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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13 Kommentare

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  • Ich dachte immer, das Hauptproblem sei der § 219 StGB, besonders dessen Absatz 1. Da steht nämlich, dass die „Beratung“ keine Beratung im sonst üblichen Sinne, sondern ein Überreden zum Austragen sein muss.



    Außerdem müssten dann die §§ 218c und a angepasst werden, damit ein:e Ärzt:in nach Beratung durch eine:n andere:n Ärzt:in nicht noch ein weiteres Mal versuchen muss, der Schwangeren den Abbruch auszureden, und damit auch Ärzt:innen in allen Fällen straffrei bleiben, in denen sie den ausdrücklichen und nach echter (!) Beratung entstandenen Wunsch der Schwangeren nach einem Abbruch erfüllen.



    Natürlich muss aber der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren rechtswidrig und strafbewehrt bleiben, ebenso der Versuch. Alles andere wäre ein problematischer Eingriff in die reproduktionelle Selbstbestimmung.



    Mit einer grundsätzlichen Reform des § 219 und kleinen Änderungen an den §§ 218a und c StGB könnte man das erwünschte Ergebnis erzielen, ohne den § 218 anzurühren und ohne den § 219 zu streichen. Dann dürfte es auch verfassungskonform sein, denn solange eine Beratungspflicht besteht, geht man ja nicht zur reinen Fristenlösung über.

  • "Es gibt zwischen einer professionellen Zahnreinigung und einem Abort einen substanziellen Unterschied."

    Ich finde es prima, dass Sie es so auf den Punkt bringen und habe darüber nachgedacht. Und tatsächlich, ich sehe keinen so großen Unterschied. Es verunsichert mich selbst, dass ich kaum einen Unterschied sehe, weil ich denke, ich muss! doch einen Unterschied sehen, aber ich sehe ihn weder rational noch emotional. Vor ihrem obigen Satz habe ich nie darüber nachgedacht.

    • @*Sabine*:

      Der Unterschied wird für gewöhnlich darin gesehen, dass die Unterlassung des einen zur Entwicklung eines Rechteträgers führt (Mensch) und bei der Unterlassung des anderen allenfalls etwas mehr Zahnstein anfällt. Man kann auch hier den Unterschied zu nivellieren versuchen, das wäre jedoch argument-technisch schon eine arge Herausforderung. Diverse Positionen halten bereits "das Abzutreibende" zu früheren Zeitpunkten für einen Rechteträger oder leiten aus dem künftigen potentiellen Status als Rechteträger bestimmte Konsequenzen ab. Es hängt von diversen anderen philosophischen Weichenstellungen ab, wie man es damit hält. Zum Beispiel davon ob man heute bereits Rechte von künftigen Rechteträgern verletzten kann oder nicht. Letzteres ist z.B. in der Klima- und Populationsethik eine virulente Frage. All fällt bei bei Zahnstein weit weniger ins Gewicht...

  • Vorab: ich persönlich bin für völlige Übergabe der Entscheidungsfreiheit über Abbrüche an die betroffenen Personen; aus grundsätzlichen philosophischen Erwägungen. Und dennoch: die Rede vom "Gebärzwang" ist ziemlich tendenziös. Es ist allenfalls ein partieller Austragezwang. Dieser folgt aus anderen Rechtsgrundsätzen, die es ebenfalls zu ändern gälte, wenn dieser fallen solle. Auch ist Abtreibung im StGB kaum "kurz hinter Mord und Totschlag" verortet. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass es da eine Hierarchie von Missetaten gäbe. Auch ist Abtreibung keine gewöhnliche "Gesundheitsleistung". Es gibt zwischen einer professionellen Zahnreinigung und einem Abort einen substanziellen Unterschied. Ob dieser so weitreichende Folgen hat, wie die Abtreibungsgegner und - reglementierer es meinen, ist umstritten; ich glaube es nicht. Allerdings dass es diesen Unterschied nicht gäbe, glaubt echt niemand —jetzt mal jenseits des obigen Artikels.

    • @Chris Demian:

      "Vorab: ich persönlich bin für völlige Übergabe der Entscheidungsfreiheit über Abbrüche an die betroffenen Personen..."



      Und schon sind wir mittendrin in der Diskussion: wer wäre das Ihrer Ansicht nach?

      • @Encantado:

        Ich habe es bewußt so formuliert.

        • @Chris Demian:

          Leider ist das keine Antwort auf meine Frage.

          • @Encantado:

            Meine persönliche Positionierung (als Resultat der sporadischen Verfolgung der phil. Debatte):

            (1) unstrittig betroffen ist die Schwangere. Hieraus abgeleitet meine zuvor genannte Priorisierung der Entscheidung der Schwangeren.

            (2) Strittig ist es bei der Person, die den Samen zur Befruchtung beisteuert. Die potentiellen Rechte dieser Person sind abzuwägen gegen die unvergleichliche (u.a.) körperliche Zumutung, die der Schwangeren zugefügt würde, wenn ihr Wunsch nach Beendigung der Schwangerschaft hierdurch übertrumpft werden würde. In meiner Einschätzung gewinnt hier das Recht der Schwangeren immer, wiewohl ich glaube mit dem Fortschritt der Schwangerschaft das Recht des Samenspenders relevanter wird. Das hängt mit Erwägungen zusammen, die den Personenstatus des Fötus betreffen und dessen Verquickung mit den Rechten des Miterzeugers. Bei einem Zellhaufen bis zu einem bestimmten Stadium, ist es schwer dafür zu argumentieren, dass die Rechte des Miterzeugers an diesem Zellhaufen wesentlich andere sind als abgetretene Eigentumsrechte am Samen etwa im weggeworfenen Kondom. Ab einem Stadium der fötalen Entwickl., bei dem wir nicht wissen, ob dem Fötus bestimmte, normalerweise Personen zugeschriebene Rechte, zustehen sollten, ist es ebenfalls abzuwägen, ob aufgrund dieser Zuschreibung nicht auch abgeleitete bzw. in Relation stehende Rechte des Miterzeugers einschlägig werden.

            (3) Und zu guter Letzt, die Betroffenheit des zunächst bloßen Zellhaufens, dann Fötus usw. usf. Hier sieht man, dass es von der wissenschaftlichen Einschätzung abhängt, ab wann wir es mit einem empfindungsfähigen, lebensfähigen usw. Wesen zu tun haben und davon, ob wir eine dieser Eigenschaften (Empfindungsfähigkeit etc.) als Entscheidend für eine Teilhabe am direkten Betroffensein ansehen.

            (4) Theoretisch betroffen ist die nicht ins Leben gelangende Person. Dieses ist, meines Erachtens, notwendig zu erwägen jedoch wie (2) quasi-rechtlich unterlegen bzw. wie (3) abhängig von anderen Faktoren.

            • @Chris Demian:

              Ich stelle erfreut fest, dass wir da so ziemlich einer Meinung sind, wenn auch im Detail abweichen. Was ich nicht ganz verstehe, ist Ihre Unterscheidung zwischen 3 und 4. Ist das nicht dasselbe?



              Denn wenn ich mit 4 eine hypothetische Person mit ins Rennen nehme, fallen mir z. B. die Nicht-in-Existenz gelangenden glücklichen Eltern ein. Ich glaube nicht, dass das zielführend ist.

              • @Encantado:

                Ja der Unterschied zwischen 3 und 4. Bei 3 haben wir es mit potentiellen Rechten des entstehenden Lebens zu tun. Von befruchtetem Ei/Zygote über Blasotzyste, Embryo bis zum Fötus und irgendwann ggf. tatsächlich ungeborenem Menschen. Davon zu sprechen, dass ein Zellhaufen betroffen sei bzw. Rechte habe, ist eher seltsam. Bei den viel späteren Stadien, ist es das von strittig bis eher nachvollziehbar, rechtfertigt aber nicht ohne weiteres das Übertrumpfen der Rechte wie in (1) beschrieben. Zu irgendeinem Zeitpunkt ist es unabdingbar von Rechten eines Menschen zu sprechen (z.B. kurz vor Geburt). Auch das ist noch kein Urteil zur Zulässigkeit eines Aborts zu diesem Zeitpunkt, sondern nur ein zu bedenkendes Faktum.



                Bei 4 sind Rechte der Personen gemeint, die tatsächlich nicht geboren werden, bzw. zum Zeitpunkt der Abwägung sich erst entscheidet, ob oder nicht. Der Unterschied zum nicht in Existenz gelangenden glücklichen Eltern aus Ihrem Einwand, ist aber doch wesentlich. Diesen Eltern wird allenfalls eine Eigenschaft verwehrt, bzw. Glückserwerb oder eine persönliche Veränderung, während der nicht geborenen Person die Existenz verwehrt wird. Die nicht gewordenen Eltern sind als lebende Personen dennoch weiterhin da... Ob es zielführend ist, wie Sie schreiben, hängt glaube ich von vielen anderen Konzepten ab und hat auch Auswirkungen. Legt man sich hier darauf fest, dass diese Rechte vernachlässigbar sind, kann es u.U. Auswirkungen auf andere Fragen haben, die wir nicht für so plausibel halten. Etwa ob unser ruinöses Wirtschaften auf diesem Planeten, dass möglicherweise das Leben in manchen Landstrichen unmöglich machen wir, nicht auch Rechte der dort niemals zur Existenz gelangenden Personen betrifft. Könnt ja sein...

  • Ich werde gleich mal recherchieren, ob es irgendwo eine Petition gibt, die ich unterschreiben kann. Die Abschaffung des § 218 ist meiner Meinung nach schon lange überfällig.

    Meiner Einschätzung nach drängt die Zeit, da wir mit dem Erstarken der rechten Politiker immer weniger Chancen haben werden, den Paragrafen abzuschaffen.

  • Die von der Kommission empfohlene Fristenlösung ist in der BRD bereits in den 70er Jahren und in den 90er Jahren Gesetz geworden. Beide Male ist die Fristenlösung vom kirchenhörigen Bundesverfassungsgericht kassiert worden. Beim letzten Mal hat das Gericht festgelegt, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich rechtswidrig seien und nicht von den Krankenkassen finanziert werden dürften. Das Problem sind nicht die politischen Mehrheiten im Bundestag, entscheidend ist, ob das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung ändern wird, wenn die Fristenlösung erneut verabschiedet wird.

  • Vielleicht sollte man den gegenwärtigen Sachstand mal schildern. Abtreibungen sind zwar rechtswidrig, bleiben aber in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis straffrei – sofern die Schwangere eine Beratungsstelle konsultiert hat.