Red Sea Festival in Saudi-Arabien: Nach Westen blickt man eher wenig
In Saudi-Arabien gibt es erst seit sieben Jahren wieder Kino. Das Red Sea Film Festival in Dschidda zeigt, was in der Branche seitdem geschehen ist.
Öl oder Wüste, Scheichs oder Lawrence von Arabien: Das mögen die ersten Assoziationen sein, die beim Namen Saudi-Arabien in den Sinn kommen. Doch man könnte auch schnell an Menschenrechtsverletzungen wie den ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi denken. Und wem der Fußballer Cristiano Ronaldo in den Sinn kommt, der wird sich vielleicht als Opfer des sogenannten „Sportswashing“ fühlen, des Versuchs, mit viel Geld und der Finanzierung von schönen, allseits beliebten Dingen von Missständen abzulenken.
In diesem Sinne könnte man auch das Red Sea International Film Festival in der saudischen Hafenstadt Dschidda als ein Beispiel für „Culturewashing“ bezeichnen. Doch wie stichhaltig ist dieser Vorwurf? Viel treffender scheint es, diese und ähnliche Veranstaltungen – von einem Comedy-Festival in Riad über zahllose hochkarätige Sportveranstaltungen, allen voran die Fußballweltmeisterschaft 2034, bis hin zu kulturellen Investitionen – als Versuch zu sehen, mit Einsatz von viel Geld neue Wirtschaftsfelder zu erschließen.
Geld jedenfalls ist ausreichend vorhanden in Dschidda am Roten Meer, wo in diesem Jahr zum fünften Mal ein stetig wachsendes Filmfestival veranstaltet wird. Zum zweiten Mal in dem schmucken Neubau des Festivalpalastes, der äußerlich den markanten Korallenhäusern der Altstadt nachgeahmt ist, inklusive der typischen erkerartigen Holzvorbauten, im inneren moderne Architektur in einem technisch perfekt ausgestatteten Auditorium und fünf kleineren Sälen.
Ein Hollywood-Film, mit saudischem Geld finanziert
Über 100 Spiel- und Kurzfilme wurden in diesem Jahr gezeigt, wobei die Filmauswahl weniger nach Westen ausgerichtet ist, als man denken könnte. Dafür waren aber bei diversen Talkrunden Stars wie Adrien Brody, Dakota Johnson oder Kirsten Dunst präsent und ließen sich ihre Auftritte mutmaßlich gut bezahlen.
Ein typischer Hollywood-Film, allerdings mit saudischem Geld finanziert, war das bildgewaltige Wüstenepos „Desert Warrior“ von Rupert Wyatt, das eine historische Begebenheit aus saudischer Geschichte zu einem sehr zeitgemäßen, feministischen Abenteuerfilm verarbeitet. Mit einem Budget von rund 150 Millionen Dollar die teuerste jemals in Saudi-Arabien gedrehte Produktion, die zumindest stilistisch zeigte, wozu die saudische Filmproduktion inzwischen schon in der Lage ist.
Etwas willkürlich über das Programm verteilt fanden sich einige internationale Filme wie der brasilianische The Secret Agent oder der französische The Wizard of the Kremlin im Programm, thematisch passender dagegen die deutsche Produktion „Yunan“, in der der aus Syrien stammende Ameer Fakher Eldin seine Verlorenheit in der neuen Heimat thematisiert.
Filmmarkt und Branchentreffen am wichtigsten
Wichtiger noch als die Filmvorführungen, die, abgesehen von den Galapremieren im größten Festivalkino, eher mittelprächtig besucht waren, ist jedoch der wirtschaftliche Zweig des Festivals, der sogenannte Red Sea Souk, gleichzeitig Filmmarkt, Branchentreffen und Möglichkeit, Co-Produktionsmöglichkeiten auszuloten. Etwas abseits des Festivalpalastes gelegen in einer eindrucksvollen Behelfskonstruktion, die nach dem Festival schnell wieder abgebaut und vermutlich in Zukunft von einem richtigen Gebäude ersetzt wird, zeigt sich, dass das Red Sea Festival weniger dem Culturewashing dienen soll als der Diversifikation der saudischen Wirtschaft.
So wie andere durch Ölvorkommen reich gewordene Golfstaaten wie Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate bemüht sich seit einigen Jahren auch Saudi-Arabien, seine extreme Abhängigkeit von den noch reichhaltig sprudelnden Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas zu reduzieren. Man merkt jedoch sowohl in der Hauptstadt Riad als auch in Dschidda, dass dieser Weg etliche Jahre später begann als in Dubai oder Doha.
Erst mit der inoffiziellen Machtübernahme durch Mohammed bin Salman, der als guter Freund des Emirs von Abu Dhabi gilt und von ihm vermutlich einige Tipps zum vorsichtigen Wandel eines autokratischen Systems bekommen hat, begann auch in Saudi-Arabien die Öffnung. Die Schwierigkeit, vor der bin Salman dabei steht, liegt nicht zuletzt darin, eine langsame, aber doch bestimmte Öffnung im Einklang mit den strengen Religionsvorschriften des in Saudi-Arabien vorherrschenden wahhabitischen Islam zu bringen.
Die Protagonistin sitzt im Auto
Welche Widersprüche es da auszuhalten gibt, lässt sich pointiert an Haifaa Al Mansour zeigen, der international bekanntesten Regisseurin aus Saudi-Arabien, die in Dschidda ihren neuen Film „Unidentified“ vorstellte. Im Ausland aufgewachsen, drehte Al Mansour 2011 in Riad „Das Mädchen Wadjda“, den ersten jemals im Königreich gedrehten Film. Damals kam die gesamte technische Crew aus dem Ausland, damals konnte Al Mansour Außenaufnahmen nicht persönlich durchführen, damals konnte der fertige Film gar nicht in Saudi-Arabien gezeigt werden, denn öffentliche Kinovorführungen sollte es nach 35 Jahren Kinoverbot erst wieder ab 2018 geben.
Seitdem hat sich viel geändert: In Al Mansours neuem Film sitzt die Hauptfigur Nawal oft im Auto, ist geschieden und wohnt allein. Alles Dinge, die im Westen für eine Frau völlig normal, in Saudi-Arabien aber erst seit wenigen Jahren möglich sind: Diese neuen Freiräume sind ein Teil der Öffnungspolitik von bin Salman, der dadurch gerade bei jüngeren Menschen und Frauen einen sehr guten Ruf besitzt.
Noch interessanter als diese Aspekte ist allerdings die kaum verhohlene Kritik, die in „Unidentified“ an der trotz aller Fortschritte immer noch schlechten Position der Frauen im Land geübt wird. Hauptfigur Nawal arbeitet bei der Polizei, nur als Aushilfe zwar, aber sie hat Ambitionen nach Höherem, hört True-Crime-Podcasts und ermittelt bald eigenständig im Todesfall einer jungen Frau.
Ihre männlichen Kollegen zeigen wenig Initiative, sie ahnen, dass die Interessen einer wohlhabenden Familie betroffen sind, die mehr um ihre Ehre besorgt ist als um die Aufklärung des Todes einer Frau, zumal diese vor ihrem Tod womöglich einen Mann getroffen hat, als unverheiratete Frau ein Skandal. Nawal dagegen lässt nicht locker und erweist sich am Ende – sehr zur Freude des weiblichen Publikums der Vorführung – als Rächerin der Frauen, die das Gesetz in die eigenen Hände nimmt und gegen das Patriarchat kämpft.
Saudische Filmproduktion wächst rasant
Erstaunlicherweise wurde dieser Film trotz seiner deutlichen Gesellschaftskritik dennoch von der „Saudi Film Commission“ gefördert, vielleicht auch im Wissen, dass dieser souverän inszenierte Thriller eher im Ausland zu sehen sein wird als, abgesehen von dieser Festivalvorführung, im Land selbst. Denn auch wenn die saudische Filmproduktion rasant wächst – auf dem Red Sea Filmfestival liefen allein rund 35 einheimische Lang- und Kurzfilme –, in den kommerziellen Kinos Saudi-Arabiens sind meist eher harmlose Hollywoodfilme wie „Zoomania 2“ oder „Five Nights at Freddy’s 2“ zu sehen, dazu indische oder auch ägyptische Genrefilme.
Wie viel Vergnügen das saudische Publikum bei einem Film haben kann, zeigt sich bei einer romantischen Komödie wie „A Matter of Life and Death“. Erzählt wird von einer schwer abergläubischen Frau, die glaubt, an ihrem 30. Geburtstag sterben zu müssen, weswegen sie ihrem Leben lieber vorher ein Ende setzen will. Ihr gegenüber steht ein Arzt, dessen Herzschlag nur im OP-Saal hochgeht, wenn er Patienten aufschlitzt.
Eine ungewöhnliche Konstellation, aus der der in Saudi-Arabien sehr beliebte Schauspieler und Regisseur Anas Ba-Tahaf erhebliches komödiantisches und melodramatisches Potenzial herausholt. Und gerade wenn die Figuren sich gegen Konventionen zur Wehr setzen, bricht das Publikum bei der Premiere in spontane Beifallsbekundungen aus, die andeuten, welches subversive Potenzial eine ganz normale romantische Komödie in einem Land haben kann, in dem es erst seit sieben Jahren wieder Kino gibt.
Saudi-Arabien wäre nicht das erste Land, in dem die Obrigkeit, die Zensurbehörden, unterschätzen, wie findige Filmemacher unterschwellige Botschaften in ihre Geschichten schmuggeln. Das saudische Kino mag stark vom Staat gesteuert sein, wobei eine Veranstaltung wie das Red Sea Filmfestival in erster Linie dazu intendiert, die hiesige Filmindustrie zu stärken: Was das Publikum aber am Ende aus den Filmen mitnimmt, lässt sich nur sehr bedingt steuern.
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