Reckendorfhaus in Berlin: Was die Straße nahe der taz erzählt
Gegenüber dem taz-Gebäude befand sich früher das Haus des jüdischen Verlegers H. Reckendorf. Seine Geschichte begleitet unseren Autor bei der Arbeit.
K ürzlich schaute ich von meinem Arbeitsplatz müßig in die Novembertrübe hinaus. Dem taz-Gebäude westlich gegenüber öffnet sich die Hedemannstraße, die mögen kann, wer ein Fan der Westberliner Nachkriegsmoderne ist. Dort, wo auf ihrer nördlichen Seite seit den 1970er Jahren ein mächtig-wabenförmiger Wohnkomplex steht, befand sich das Reckendorfhaus, das 1914 errichtet, nach Erwerb durch den Verleger Hermann Reckendorf 1929 zum Verlagssitz umgebaut und 1945 zerbombt wurde (ziemlich alles, was ich über Hermann Reckendorf hier mitteile, verdanke ich der großartigen, im Netz wunderbar aufbereiteten Forschung des Hamburger Kunsthistorikers Roland Jaeger).
Im Erdgeschoss des Reckendorfhauses befand sich ein Ladengeschäft, in dem die Produkte des Verlags verkauft wurden, darunter – wir feiern gerade 100 Jahre Radio – die Rundfunkwochenzeitschrift Die Sendung (Auflage bis zu 400.000), ab Anfang 1930 die erste Fernsehzeitschrift Deutschlands mit dem Titel Fernsehen. Zeitschrift für Technik und Kultur des gesamten elektrischen Fernsehwesens und als letztes Projekt des Verlags im Oktober 1932 mit Berlin hört und sieht die erste moderne Programmillustrierte in Deutschland, in der wöchentlich über das Berliner Kulturangebot informiert wurde.
Auf die Geschichte des überaus tüchtigen, hochmodernen deutsch-jüdischen Verlegers Hermann Reckendorf – eine Geschichte, die nicht gut ausgeht – war ich beim Stöbern in einem Online-Antiquariat gestoßen. Und vor mir liegt jetzt das bei Reckendorf erschienene „Buch der Hausfrau“ aus dem Jahr 1926, ein Kalender „zum Lesen, zum Eintragen und zum Nachdenken“.
„Hecht mit Parmesankäse“
Im Vorwort „Mein Mann“ beklagt die Hausfrau, dass sie „durch das heute so unruhig pulsierende Wirtschaftsleben und die unregelmäßigen Anforderungen an die Zeit des Mannes“ nie recht wisse, wie sie ihrem Gatten ein warmes Mittagessen servieren solle. Und das Büchlein verspricht nun eine Handreichung, „wie man selbst unter schwierigsten Bedingungen der Zeiteinteilung immer rechtzeitig ein schmackhaftes Essen bereit haben kann“. So könne das alte Sprichwort für ein gutes Verhältnis von (Haus-)Frau und (Geschäfts-)Mann doch noch zu seinem Recht kommen: „Füttere die Bestie!“ In der kalendarischen Auflistung übers Jahr folgen dann allerlei Tipps und heitere Geschichtchen, eine „Bratzeitentabelle“ und Rezepte wie „Hecht mit Parmesankäse“.
Das alles ist weit weg und doch für mich als Hausmann einer Führungskraft so rührend nah, dass ich erst mal aufstehe und wieder in die Hedemannstraße schaue, in die Anfang der dreißiger Jahre Neuankömmlinge zogen, die Gauleitung Berlin der NSDAP und zeitweise die Berliner SA. Hermann Reckendorf und sein Unternehmen wurden von den Nazis terrorisiert und ruiniert, ab 1936 kam als neuer Mieter in das Reckendorfhaus – einem Ort demokratischer Populärkultur – das Rasse- und Siedlungs-Hauptamt der SS.
Hermann Reckendorf starb am 23. Dezember 1936 im Alter von erst 56 Jahren, möglicherweise ein Freitod. Eine Moral aus alledem habe ich nicht bei der Hand. Aber ich bin zufrieden, dass ich um die Geschichte weiß und sie mich auf der Arbeit von nun an begleitet; und ich bin froh, in einer modernen Normalität zu leben, die auch schon der Kalender von 1926 repräsentiert, ohne Terror und Bürgerkrieg – und denke an alle, die auch gern weiter „Hecht mit Parmesankäse“ zubereitet hätten.
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