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Rechtsradikale in SerbienIm Ausnahmezustand

Während einer Homo-Parade randalieren Rechtsradikale in der Belgrader Innenstadt. Über 50 Menschen werden verletzt, die Polizei ist machtlos.

Nur ein massives Polizeiaufgebot konnte die Parade der Homosexuellen vor rechtsradikalen Schlägern schützen. Bild: dpa

BELGRAD taz | Das Zentrum Belgrads ist am Sonntag völlig abgesperrt. Wo immer man hinschaut, stehen Polizeikordons. Über 5.000 Mitglieder der Sondereinheiten des Innenministeriums sind im Einsatz. Es ist sonnig, doch die Straßen sind menschenleer. Es herrscht Ausnahmezustand.

Der Grund für das massive Aufgebot von Polizisten ist die "Belgrader Pride" - die Parade der Homosexuellen, die in dem Park Manjez in der Innenstadt stattfindet. Vor neun Jahren wurden über vierzig Menschen bei einem Angriff rechtsextremistischer Gruppen auf die Parade der Schwulen und Lesben in Belgrad verletzt. 2009 wurde die Parade aus "Sicherheitsgründen" abgesagt. Der dritte Anlauf sollte gelingen. Brüssel hatte der serbischen Regierung nahegelegt, dass es ein wünschenswerter Ausdruck der Demokratisierung der Gesellschaft sei, den Marsch stattfinden zu lassen.

Doch die Ereignisse rund um die Parade sind traurige Zerrbilder einer Zivilgesellschaft, die sich in die EU integrieren möchte. Gegner der Parade versuchen anscheinend koordiniert an mehreren Punkten gleichzeitig die Polizeibarrikaden zu durchbrechen. Belgrader TV-Sender berichten live über die stundenlangen Straßenschlachten. Maskierte Männer greifen Polizisten mit Steinen an.

Die Parteiräume der regierenden Demokratischen Partei werden in Brand gesetzt, das Staatsfernsehen wird mit Steinen beworfen, Autos und Schaufenster werden demoliert. Ein umgeworfener Polizeiwagen brennt vor der österreichischen Botschaft. Man spürt den beißenden Rauch von Tränengas. Mitglieder antiterroristischer Polizeieinheiten verfluchen die "Schwulen". Eine Gruppe älterer Frauen beschimpft die Polizisten: "Ihr tickt nicht richtig, verprügelt die Normalen und verteidigt diese kranken Homos." Krankenwagen rasen mit heulenden Sirenen durch die Stadt. Über 50 Menschen, die meisten darunter Polizisten, werden verletzt.

Die Teilnehmer der Homo-Parade bekommen nichts von dem Chaos mit. Umringt von dichten Polizeikordons sind sie völlig abgekapselt. Mit Transparenten "Solidarisch gegen Faschismus" versammeln sich kaum 500 Menschen in dem Park Manjez, darunter Dutzende Journalisten und Polizisten in Zivil. Anwesend sind die Chefs der EU- und OSZE-Mission in Belgrad sowie die US-Botschafterin und der serbische Minister für Menschenrechte.

"Das ist einer der traurigsten Tage meines Lebens", sagt der Chef der Liberaldemokratischen Partei, Cedomir Jovanovic. Die serbische Gesellschaft habe offensichtlich keine Antwort auf den Hass gegen Andersdenkende. Am Samstag demonstrierten bis zu 20.000 Gegner der "Parade der Kranken", die sich für "familiäre, christliche Werte" einsetzten. Das ist Mainstream in Serbien. Regierungspolitiker äußerten sich gegen die Homo-Parade, wollten die TV-Sender abdrehen, damit "ihre Kinder diese Kranken nicht sehen". Andere setzten sich für das Recht Andersdenkender ein, öffentlich ihre Meinung zu äußern, betonten jedoch, dass sie "normal" seien.

Die Teilnehmer der Pride marschieren um einen Straßenblock bis zum Studentenkulturzentrum, wo eine Party stattfindet. Eine Gruppe von serbisch-orthodoxen Popen und Nonnen bekreuzigt sich unaufhörlich und richtet das Kruzifix gegen die Kolonne, wie, um sich vor dem Teufel zu schützen. Während die Straßenschlachten noch andauern, transportiert die Polizei die Teilnehmer der Belgrader Pride ab in "sichere" Stadtteile.

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16 Kommentare

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  • G
    guslar

    warum in aller welt werden schwulenrechte als kriterium herangezogen, um zu bewerten wie eu fähig ein land ist. mann kann doch nicht länder wie niederlande oder deutschland als vorbilder nehmen, die hyperliberal und absolut in der minderheit (gemessen an der weltbevölkerung) sind. in 99 % der länder dieser welt, kann man nicht das deutsche oder niederländiche hyperliberale modell übertragen. und wenn die mehrheit eines landes wie z.b. bosnien nicht für eine homo ehe sind, dann muss man diese mehrheit akzeptiern und nicht schwulenrechte mit der brechstange einführen. und ein christopher street day wo sich nackte männer gegenseitig küssen und wowereit den konvoi anführt....sollte nicht das kriterium einer eu beitrittsverhandlung werden.

  • PS
    Post Scriptum

    Stimme mit dem Teilnehmer überein: die Polizei hat diesmal tatsächlich effizient gearbeitet. Ein Sieg war das jedoch keinesfalls, denn es ist einfach nicht normal, dass es fünf mal mehr Polizisten als Teilnehmer braucht, um ein Pride stattfinden zu lassen und für die physische Sicherheit zu sorgen. So etwas ist einfach nicht normal, und es geht so nicht in alle Ewigkeit.

    Und als Schwuler oder Lesbe muss man auch die restlichen 364 Tage im Jahr durchs Leben kommen, und es stehen einem nicht 5 Polizisten zur Verfügung, die einen beschützen. Auch wenn das unmittelbare Umfeld manchmal, ja, auch in Südosteuropa, ziemlich tolerant ist, weiss der Teilnehmer wahrscheinlich auch nur allzu gut, dass man manchmal nicht umhin kommt, auch mit potentiellen „Schlägern im Zivil“ zu tun zu haben.

    Man kommt ohne grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nicht aus. Das bedeutet in erster Linie Rechtsschutz, dann auch mehr Zivilcourage (auch bei den Schwulen selbst), kurz, mehr Normalität. Früher oder später kommt das wohl, aber besser früher als später. Der gesetzliche Rahmen der EU bietet den adäquaten Rechtsschutz, ein Beitritt zur EU wäre in dieser Hinsicht das beste, was den Homosexuellen in Serbien passieren könnte, denn dann müsste der Rechtsstaat auch den Rest des Jahres wirklich für die Sicherheit garantieren, und nicht nur so halbherzig wie jetzt.

    Ich möchte daran erinnern, dass noch Mitte der 80er auch in der BRD öffentlich darüber geredet wurde, die AIDS-Kranken auf eine Insel zu verschiffen und dort abzusperren. Ähnliche Aussagen würde heute nicht einmal eine Regierung wie die serbische wagen, und das, man sollte sich das ganz klar machen, vor allem wegen dem erwünschten Beitritt zur EU.

  • S
    swilly

    Hier mal ein Foto aus Belgrad als Gegenstück zu den Fotos aus Stuttgart:

     

    http://smedia.rs/spress/parada/beta%20foto%20gay%20parada14.jpg

  • N
    Namenlos

    Wenn ich sowas höre,steigt der Hass in mir gegen diese faschistischen menschenverachtenden homophoben Schweine ins unermessliche...

  • J
    Juli

    Zitat aus dem Text: "Die Teilnehmer der Homo-Parade bekommen nichts von dem Chaos mit"

     

    Das ist - wenn ich anmerken darf - so nicht ganz richtig. Teilnehmer wurden verfolgt, angegriffen und zusammengetreten.

    Etliche Videos stehen mittlerweile dazu bei youtube.

     

    Es ist schockierend!

  • T
    Teilnehmer

    Ich frage mich, wie dieser Artikel recherchiert wurde? War einer der TAZ Journalisten dabei? Ich denke nein, da ich selbst dabei war.

     

    "Die Parteiräume der regierenden Demokratischen Partei werden in Brand gesetzt..."

    Falsch, da die Garage neben der Parteizentrale in Brand gesetzt wurde.

     

    "...versammeln sich kaum 500 Menschen in dem Park Manjez.."

    Bei der Parade waren weit über 500 Personen dabei, geschätzte 1100 Personen die für Ihre Freiheit eingetreten sind. Neben vielen jungen Leuten waren auch ältere Ehepaare zugegen, die sich solidarisch mit der Bewegung gezeigt haben.

     

    Das nicht mehr Leute dabei waren, lag daran dass viele nicht geglaubt haben, die Polizei könnte für Ihre Sicherheit garantieren.Genau dies war aber der Fall und fehlt leider in Ihrem Artikel vollkommen. Anstatt dies als Sieg zu feiern, wird mal wieder einfach alles und ein ganzes Land pauschalisiert.

    Auch ich wurde in ein "sicheres Teilgebiet" der Stadt gebracht, allerdings von sehr freundlichen Polizisten, welche für den Schutz der Demonstranten eingesetzt haben.

  • N
    Nikolas

    Widerliche Nazis, wie überall. Aber was hat das mit der EU zu tun? Warum sind die Deutschen, das einzige Volk das zweimal in ihrer neuren Geschichte Völkermord begangen hat, in der EU? Warum ist ein Land, das die NPD nicht verbietet, der "Motor der europäischen Integration"? Warum erlauben die europäischen Völker die Entstehung des Vierten Reichs im finanziellen Sinne? Wozu braucht man die EU überhaupt?

     

    Fragen über Fragen...

     

    Ansonsten ist jede Religion schädlich und jeder Glaube muss bekämpft werden. Soziale Befreiung und Religionen passen einfach nicht zusammen.

  • M
    michelson

    Oh oh, das ist böse. In Serbien ist man wohl noch Lichtjahre entfernt von Zuständen, wie sie in aufgeklärten Teilen Europas herrschen. Es zeigt sich die fundamentalistische Fratze der Religionseiferer, allen voran die Kirchenoberen und ihre Handlanger. Wenn Serbien ein geachtetes Mitglied Europas sein möchte, muss sich etwas grundlegendes ändern.

  • SB
    Sabine Bauer

    Die US-Rechtsanwältin Maya Rupert hat erst kürzlich einen interessanten Artikel zur Situation der Schwulenbewegung in den USA veröffentlicht, der auch gut auf andere Länder übertragbar ist: http://bit.ly/dsREyZ

  • S
    Smiley

    Offensichtlich hat das jahrelange Schlachten auf dem Balkan nicht dazu gefueht, das die Menschen dort toleranter und im Nachklapp darauf gebildeter werden. Hass auf alles was nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht scheint der Normalzustand zu sein. So etwas wird nun wirklich nicht benötigt, ein Mob von Nazis der sich frei in Europa bewegen kann?? Nein danke!! Grenzen zu und einmotten - vorher aber bitte jede einzelne "Minderheit" rausholen und ein Leben in Europa gewährleisten!

  • PS
    Post Scriptum

    Ich glaube, im Artikel ist es gut gemeint, aber ich bin mir mehr als sicher, dass die älteren Damen keine so korrekte Bezeichnung wie „Homos“ verwendet haben. Wahrscheinlich haben sich die netten alten Damen genauso ausgedrückt wie die Schläger, die es lauthals hysterisch vor sich hingeschrieen haben: „kranke Päderasten“ = „bolesni pederi“, oder wahlweise auch „schmutzige Päderasten“ = „prljavi pederi“, was auch zu hören war. „Wir bringen die Päderasten um“ war aber eindeutig der Renner. Denn so sieht es in den engen verwirrten Köpfen dieser Menschen aus: Schwul ist für sie gleich Kinderschänder. Wer sollte ihnen denn auch beibringen, dass sie ignorant, paranoid und komplexbeladen sind – die Schwulen und Lesben werden mundtot gemacht, wenn sie schon wegen der vielen Polizei nicht wirklich tot gemacht werden können, auch sonst Andersdenkende kommen nicht sehr oft zu Wort (die werden des Öfteren auch umgebracht, mit Vorliebe in ihren Autos) –, und in der Schule Fehlanzeige: dort wird meistens alles, was die „Feinde von Innen oder Außen“ betrifft und am nationalen Stolz kratzt, totgeschwiegen.

    Die vielen durchgeknallten Schläger sind vielleicht eigentlich gar nicht das größte Problem, es sind die allzu vielen alten Damen, vorgestern an der Demo „gegen die Kranken“, wie die Veranstalter warben, die vielen Schulkinder, Hausfrauen und Hochschullehrer, die da mitmachen. Angesichts von Belgrad dieses Wochenende kommen einem das „pédé“ (ja, wahrscheinlich wurde das Wort aus dem Französischen ins Südslawische übernommen), „Schwuchtel“, „faggot“ und „marica“, die man als Schwuler, wenn man Pech hat und kein Taxi weit und breit, nachts von netten, jungen halbwüchsigen Memmen zu hören bekommt, fast harmlos vor. Wenn man nicht auch noch das Pech hat, gerade alleine unterwegs zu sein, einigermaßen irgendeine Kampfsportart beherrscht oder einen Elektroschocker dabei hat, schafft man es vielleicht sogar, die Memmen nachts davonzujagen.

    Natürlich ist das alles nicht wirklich so harmlos. Aber glimpflich kommt man in Südosteuropa noch seltener davon, wenn die Polizei nicht gerade symbolische Präsenz zeigt und amtlichen Befehl hat, die Homos zu beschützen, denn die Memmen kommen, auch wenn kein Pride stattfindet, in viel zu großen Herden daher und sie werden auch dann von Passanten mit Jubel angefeuert. Nur mehr EU vor Ort würde einem als Schwuler oder Lesbe wirklich tagtäglich helfen.

  • H
    Hännesschen

    Dann ist Serbien genauso wenig "reif" für die EU wie die Türkei. Schwul/lesbisch MUSS von den Menschen als stinknormal genommen werden. Das müsste in den Schulen der Länder, welche sich um die Aufnahme in die EU bewerben, mal verbreitet werden. Aber der Weg ist noch lang. Davon abgesehen:Wie viele versteckte schwule/Lesben gibt es in den Reihen der hasserfüllten Steineschmeissern?

  • S
    Seim

    Wo ist ein Westerwelle? Feigling. Der hat als Außenminister alles in der Hand, um da ein Signal zu geben... typisch FDP? ;)

  • N
    Neo

    "Eine Gruppe von serbisch-orthodoxen Popen und Nonnen bekreuzigt sich unaufhörlich und richtet das Kruzifix gegen die Kolonne, wie, um sich vor dem Teufel zu schützen."

     

    Ich stelle mir gerade vor, diese Proteste hätten in der Türkei stattgefunden, die EU-Beitrittsgegner wären hervorgekrochen und hätten vor der Intoleranz des Islams gewarnt (Schwule würden ja sofort gesteinigt werden) und das christliche Abendland durch die schleichende Islamisierung kurz vor der Übernahme des bösen Islams steht.

     

    Mich würde noch interessieren, was Horst Seehofer zu diesem Schwulenhass in seinem "heimischen Kulturkreis" zu sagen hat. Vieleicht sollte Seehofer zu dem Stopp der Zuwanderung von Türken und Arabern auch die Serben miteinbeziehen. Ach ja, geht ja nicht, man kann ja nicht den eigenen christlich-abendländischen Kulturkreis ausschließen.

  • SK
    Sebastian K.

    Mal wieder massive und unnötige Polizeigewalt. Hoffentlich wurden die Demonstranten nicht von den Prügelcops schwer verletzt!

  • MN
    Mein name

    Und die sollen in die EU ??? Homosexuelle verprügeln und das auch noch normal finden?