Rechtspopulismus in finnischer Regierung: Wo das Wahre sehr unschön ist
Bei der Partei der „Wahren Finnen“ haben Rassisten und Neonazis freie Bahn. In der Bevölkerung hat darüber eine breite Debatte begonnen.
Neonazis stürmten während einer genehmigten Demonstration plötzlich ein Einkaufszentrum, schlugen dort drei offenbar völlig unbeteiligte Passanten zusammen und hinderten die Polizei gewaltsam am Eingreifen. Bis diese Tränengas einsetzte und 32 Neonazis festnahm.
In Finnland gibt es gerade eine heiße Debatte über Faschismus und wachsenden Rassismus. Auslöser war eine Attacke gegen den „Multikulturalismus“, die Olli Immonen, Parlamentsabgeordneter der rechtspopulistischen „Wahren Finnen“, vor einer Woche auf Facebook-Update geritten hatte. Und die erinnert in Stil und Inhalt auffällig an das „Manifest“ von Anders Behring Breivik, dessen Terrortaten in Norwegen sich gerade erst jährten.
Von einer „starken, tapferen Nation, die den Albtraum namens Multikulturalismus besiegen“ müsse, schwadronierte Immonen da. Von dieser „hässlichen Blase, in der unsere Feinde leben“ und die man bald „in Millionen Einzelteile zum Zerplatzen“ bringen werde. Und alles gipfelte in einem Aufruf zum „Kampf bis zum Letzten“, den Immonen zusammen mit seinen Mitkriegern führen will: „Für unser Vaterland und eine echte finnische Nation.“
Rassismus als Frage der Koalition
Schulter an Schulter mit nazistisch gesinnten Gruppen zeige sich dieser Abgeordnete, kritisierte der sozialdemokratische Ex-Außenminister Erkki Tuomiojaf. Und der sozialdemokratische Parteivorsitzende Antti Rinne klagte die „Wahren Finnen“ an, in ihrer Partei ungehindert Platz für Rassismus und Faschismus zu geben.
Obwohl die „Wahren Finnen“ eine Nulltoleranz gegen Rassismus reklamieren, folgte deren Parteivorsitzender Timo Soini dem Muster, das er schon in ähnlichen Fällen praktizierte: Zuerst der Versuch, solche Geschichten kommentarlos auszusitzen. Und wenn das nicht funktioniert, eine verbale Distanzierung. So hatte es Soini schon gehalten, als ein Abgeordneter hetzte, Somalier seien genetisch dazu veranlagt, von Sozialhilfe zu leben, oder als der Vorschlag gemacht wurde, in Finnland lebende afrikanische Männer sollten zwangssterilisiert werden, wenn sie drei Kinder gezeugt hätten.
Doch weil die „Wahren Finnen“ nicht mehr Rechtsaußenopposition sind, sondern seit zwei Monaten Regierungspartei und Soini nicht nur Parteivorsitzender ist, sondern auch Außenminister und Finnlands Vizeministerpräsident, wird solcher Rassismus jetzt auch zur Frage der Koalition, weil sich ihre Mehrheit auf Abgeordnete wie Olli Immonen stützt.
„Das ist nicht nur ein Problem der „Wahren Finnen“, sondern des ganzen Parlaments und der Regierung“, betont Eva Biaudet, Abgeordnete der oppositionelle Schwedischen Volkspartei und ehemalige Minderheiten-Ombudsfrau. Und für den Staatswissenschaftler Kimmo Grönlund sind Immonens Tiraden verfassungswidrige Aufforderung zu rassistisch motivierter Gewalt, die politische Konsequenzen haben müssten.
15.000 Demonstranten reagieren
Das meinten auch die Initiatoren eines Facebook-Demonstrationsaufrufs, der am Dienstag vergangener Woche in mehreren Städten die Menschen auf die Straßen gehen liess. In Helsinki versammelte die seit Jahren größte antirassistische Manifestation 15.000 TeilnehmerInnen. Redner warnten davor, dass über die „Wahren Finnen“ als Sprungbrett Neonazis Parlament und Regierung infiltrieren würden.
„Wir haben es immer gewusst, dass es solche Ansichten bei den ‚Wahren Finnen‘ gibt“, sagte Börje Matsson, Organisator des Ethnofestivals „Faces“: „Aber jetzt kriechen sie wie stinkende Würmer aus dem Untergrund nach oben: offener Faschismus, offener Rassismus, und wir müssen endlich reagieren.“
Wer auf ein klares Wort von Regierungschef Juha Sipilä oder gar auf ein Ultimatum – Parteiausschluss des Abgeordneten Olli Immonen oder die Koalition steht zur Disposition –, gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Es kam von ihm nur eine knappe Distanzierung über Twitter. Sipilä blieb am Wochenende bei seiner Haltung: „Das ist keine Regierungsfrage.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn