Rechtsextremismus in der Bundeswehr: Hingeschaut und abgeheftet
Es gibt immer wieder Soldaten, die sich wie Franco A. als Rechtsextreme outen. Das Problem: Mal fliegen sie raus, mal passiert nichts.
Der Spruch kostet den Soldaten etwas: Als seine Vorgesetzten von dem Bild erfahren, muss er als Disziplinarstrafe 500 Euro zahlen. Zugang zu Waffen erhält er aber weiterhin, im Dienst bleibt er noch ein Dreivierteljahr.
Angemessen? Oder fahrlässig? Noch so ein Einzelfall? Oder Alltag in der Armee?
Ein „Haltungsproblem“ hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Bundeswehr in dieser Woche vorgeworfen. Die Soldaten jaulten auf: „Ungeheuerlich“ nannte der Bundeswehrverband den Vorwurf. Der Fall des Oberleutnants Franco A., der sich mit seiner Masterarbeit schon vor drei Jahren als rechtsextremer Verschwörungstheoretiker outete und dennoch ungehindert weiterdiente, bis er vergangene Woche per Zufall unter Terrorverdacht geriet, hat eine heftige Debatte ausgelöst. Sie dreht sich um die Frage, ob die Armee hart genug gegen Neonazis durchgreift.
63 Extremismusfälle und keine klare Linie
Zwei Monate vor der Verhaftung des Oberleutnants stellte die Linksfraktion im Bundestag eine Anfrage an das Verteidigungsministerium. „Wir haben in den Vorjahren mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr mitunter zu duldsam mit Rechtsextremisten umgehe“, schrieben die Abgeordneten in ihrer Einleitung. Dann erkundigten sie sich nach Details zu den 63 Extremismusfällen, die im Vorjahr in der Armee gemeldet wurden.
Die Antwort zeigt, dass die Bundeswehr keiner klaren Linie folgt. Oft reagieren Vorgesetzte konsequent: Ein Soldat verschickt im Internet Hakenkreuze und wird entlassen. Ein anderer brüllt während einer Feier „Deutschland den Deutschen!“ und fliegt ebenfalls. Ein Rekrut zeigt in der Kaserne den Hitlergruß, auch er muss gehen.
In anderen Fällen sind die Vorgesetzten gnädiger. Ein anderer Soldat, der während eines Truppenausflugs den Hitlergruß zeigt, zahlt nur eine Strafe. Einer bekennt sich zur „Reichsbürger“-Bewegung und bekommt ein Disziplinarverfahren, das ein Jahr später noch immer ohne Ergebnis ist. Er hat weiter Zugang zu Waffen.
Mal führt ein „Sieg Heil“ zum Rauswurf, mal nicht. Vielleicht hat das mit der Disziplinarordnung der Truppe zu tun: Sie überlässt Entscheidungen in vielen Fällen den Vorgesetzten auf unterer oder mittlerer Ebene. Niemand redet rein, niemand kontrolliert. Findet der Chef ein Vergehen nicht schlimm, bleibt es bei einer Geldstrafe oder gar bei einer mündlichen Ermahnung.
So wie im Fall von Franco A. Der Soldat studiert bis 2014 an der Militärschule Saint-Cyr, einer Kaderschmiede der französischen Armee. Die Bundeswehr schickt in einem Austauschprogramm jedes Jahr ein paar ihrer vielversprechendsten Offiziersanwärter an die Eliteschule. Der Soldat A. ist einer von ihnen.
Dabei eignet sich der Mann für eine Offizierskarriere ganz und gar nicht. Mehr noch: Nie im Leben dürfte er einen Schlüssel für Waffenschränke und Munitionsdepots bekommen. Der Bundeswehr müsste das spätestens auffallen, als Franco A. in seiner Masterarbeit sein Weltbild offenbart. Nur genetisch homogene Gesellschaften sind demnach stark. Die Zuwanderung nach Europa ist dagegen ein „Genozid der Völker“. Diesen plane eine Gruppe von Verschwörern. Ein Anführer sei wohl George Soros, der jüdische Investor, der mit seinem Vermögen weltweit Demokratiebewegungen unterstützt.
Außerdem dabei: Freimaurer, Rotarier und die Eigentümer der Internetseite YouPorn. Mit Hilfe der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Popmusik und der Medien griffen sie „die Völker in ihrer Substanz an“. Dagegen sei Widerstand nötig: „Ohne schnelle Gegenmaßnahmen ist die Vernichtung des Volkes nur eine Frage der Zeit“, schlussfolgert Franco A.
Vorermittlungen gegen Franco A. wurden eingestellt
Es ist nicht so, dass nun niemanden auffällt, dass Franco A. gefährlich sein könnte. Die Hochschule meldet den Fall nach Deutschland, die Sache landet beim Chef des Streitkräfteamts in Bonn. Als zuständiger Vorgesetzter leitet er Vorermittlungen für ein Disziplinarverfahren ein. Ein Gutachter bewertet die Arbeit als „radikalnationalistischen Appell“, ein Wehrdisziplinaranwalt lädt Franco A. zum Gespräch.
Doch dann passiert der Fehler. Nach dem Gespräch empfiehlt der Jurist, die Vorermittlungen einzustellen. Der Amtschef folgt dem Rat. Es gibt kein Verfahren, keinen Rauswurf, nicht mal eine Geldbuße. Niemand prüft die Entscheidung, niemand Weiteres erfährt davon, auch nicht im Ministerium. Bis Franco A. am Wiener Flughafen festgenommen wird, weil er dort eine Pistole deponiert hatte. Die Ermittler glauben, er plante einen Anschlag. Bei einem mutmaßlichen Komplizen fanden sie Munition aus Bundeswehrbeständen.
„Wir werden einen genauen Blick auf die Disziplinarordnung werfen müssen“, sagte Ursula von der Leyen, als sie am Mittwoch den letzten Standort des Soldaten im Elsass inspizierte. Wo gibt es Bruchstellen? Wo gibt es Lücken? Wo werden Fälle nicht nach oben gemeldet?
„Sie hätte schon lange anordnen können, dass bei Rechtsextremen Vorfällen das Sechsaugenprinzip gilt“, sagt der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold. Er schlägt eine Stelle im Ministerium vor, die in solchen Fällen automatisch eingebunden wird. „Nicht bei jedem Pipifax, aber ab einer bestimmten Dimension.“
Das Problem, dass ein Neonazi in der Truppe für manche Vorgesetze kein Problem ist, wäre damit noch nicht gelöst. Die Gefahr, dass ein Neonazi deshalb in der Truppe bleibt, wäre aber zumindest gebannt.
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