Rechter Terror in Neukölln: 300 Stunden Aufklärung und ein zweifelhaftes Ergebnis
Der Untersuchungsausschuss Neukölln trifft sich vorläufig letztmalig. Das Resümee der Abgeordneten ist durchwachsen, das der Betroffenen vernichtend.

Sowohl der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader als auch André Schulze von Grünen hoben am Freitag dieses eine aus den vielfältigen irritierenden Vorkommnissen im Neukölln-Komplex hervor, um die Grenzen ihrer eigenen Arbeit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu verdeutlichen. „Was stimmt, wissen wir einfach nicht“, sagte Schrader auf einer Pressekonferenz im Abgeordnetenhaus am Freitag. Dennoch hat der Ausschuss nun – nach 49 Sitzungen – seine Beweisaufnahme vorerst abgeschlossen, weshalb die Abgeordneten Resümee ziehen.
Was bei ihrer Arbeit an Material zusammengetragen wurde, ist überwältigend: 102 Zeug:innen seinen befragt wurden, sagte der Ausschussvorsitzende Vasili Franco (Grüne) zu Beginn – Betroffene, Polizist:innen, Staatsanwälte, Politiker:innen, Verfassungsschützer:innen. 303 Stunden habe man zusammengesessen, insgesamt seien Hunderttausende Aktenseiten zusammengetragen worden. Unmöglich, das alles zu lesen – das geben die Abgeordneten freimütig zu.
Jetzt, nach dem vorläufigen Ende der Beweisaufnahme, wollen sie über den Abschlussbericht diskutieren und ihre Handlungsempfehlungen für die Politik ausarbeiten. Vorgestellt werden soll beides im Frühling 2026.
Verfassungsschutz behindert Arbeit
Was hat all die Arbeit gebracht? Ein kurzer Blick zurück: Einberufen wurde der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, weil in Neukölln schon seit 2009 Anschläge gegen antifaschistische Orte und Menschen verübt werden, etwa den Linken-Politiker Ferat Koçak. Alleine seit 2016 zählt die Polizei inzwischen über 70 Straftaten, darunter über 20 Brandstiftungen. Auch die ungeklärten Morde an Burak Bektaş und Luke Holland rechnen Aktivist:innen dem Komplex zu.
Doch jahrelang gibt es keine Ermittlungsergebnisse. Stattdessen wird ein rechtsextremer Hintergrund der Taten von den Behörden lange negiert. Im Februar 2022 wurde deshalb der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen. Ende 2024 wurden zwei Tatverdächtige – der oben erwähnte Sebastian T. und der Nazi Tilo P. (41) – wenigstens wegen zwei der Brandanschläge auf Autos zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Ist nun also alles aufgeklärt? Das verneinen die meisten Ausschussmitglieder. Keineswegs hätten die Behörden mit dem Ausschuss bereitwillig kooperiert, sagte etwa der Vorsitzende Vasili Franco. Besonders kritisierte er die Rolle des Verfassungsschutzes, der „einen Großteil der Akten“ nicht herausgegeben habe. „Die effektive parlamentarische Kontrolle wurde so erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht“, so sein ernüchterndes Resümee.
Hat die Polizei ein Leck?
Bei der Polizei habe sich wenigstens im Laufe der Zeit eine Besserung eingestellt, merkte sein Parteikollege Schulze an. „Am Anfang wurde die Lage bagatellisiert und unterschätzt, später hat die Polizei aber genauer ermittelt“, sagte Schulze. Doch häufig sei dann „schon so viel Zeit verstrichen“ gewesen, so dass „die Ermittlungen später nicht mehr aufgeholt werden konnten“. Viele Verdachtsmomente hätten in der Ausschussarbeit nicht belegt, aber auch nicht widerlegt werden können – wie etwa die im Verlauf des Ausschusses auch von einem Polizisten geäußerte Vermutung, dass die Nazis mit Polizeiinfos gefüttert wurden.
Und so ist man sich in den Reihen der Abgeordneten eben auch in den Schlussfolgerungen weiterhin höchst uneinig. Da ist etwa der CDU-Abgeordnete Stephan Standfuß, der sogleich erklärte, der Ausschuss habe gezeigt, „dass es rechtsradikale Strukturen in der Polizei nicht gibt“. Was es gegeben habe, seien lediglich „Einzelfälle“, die aber natürlich in keinem Vergleich zu der engagierten Arbeit der meisten Beamten stünden – „auch wenn diese Arbeit nicht immer mit dem nötigen Erfolg gekrönt war“.
Völlig anders sah dies der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader. Ab wann man von einer Struktur sprechen könne, sei zwar Auslegungssache, sagte er. Gleichzeitig klagte Schrader die Konsequenzlosigkeit bei Fehlverhalten von Polizist:innen an. Schrader verwies dabei etwa auf den Polizisten Stefan K., der bis 2016 in der Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG Rex) auch zum Neukölln-Komplex ermittelte, später gemeinsam mit zwei polizeibekannten Rechtsextremen einen afghanischen Flüchtling verprügelte, dafür von einem Gericht auch rechtskräftig verurteilt wurde. Dennoch darf K. weiter im Polizeidienst bleiben.
Darüber hinaus betonte Schrader, dass die Arbeit des Ausschusses gezeigt habe, wie die Probleme stets in dem „konkreten Handeln und der konkreten Kompetenz des Handelns“ der Behörden gelegen habe – und nicht etwa in ihrer fehlenden Ausstattung oder ihren fehlenden Befugnissen. Offenbar auch mit Blick auf die derzeit von Schwarz-Rot im Zuge der Asog-2-Novelle angestrebte Ausweitung von Polizeibefugnissen sagte Schrader: „Wer das fordern will, kann sich nicht auf die Ergebnisse dieses Ausschusses stützen.“
Fundamentalkritik von Initiativen und Betroffenen
So durchwachsen das Resümee der Parlamentarier ist, so deutlich üben die Betroffenen und die Initiativen, die den Ausschuss von Beginn an eng begleitet haben, Fundamentalkritik. Der selbst von einem lebensgefährlichen Brandanschlag betroffene Ferat Koçak sagte etwa der taz, er habe „von Beginn an keine großen Erwartungen“ gehabt. Die Aufklärung hätten antifaschistische Initiativen bereits selbst geleistet. „Was der Untersuchungsausschuss für uns gebracht hat, ist vor allem, dass der Charakter als Terrorserie anerkannt wurde“, so Koçak.
Auch ihn stören vor allem die fehlenden Konsequenzen der Aufklärung. „Sowohl die Polizeipräsidentin als auch der Staatsschutz haben in meinem Fall Versäumnisse eingeräumt, aber es folgten keine Konsequenzen. Solange das so ist, wird so etwas immer wieder passieren“, sagte Koçak. Die politische Arbeit in der Sache habe ihn ausgebrannt, immer wieder seien er und die anderen Betroffene retraumatisiert worden. „Der Apparat muss sich verändern. Aber das tut er nicht“, sagt er mit leicht erbitterter Stimme.
Ähnlich formulierte es auch Claudia von Gélieu auf einer Demo vor dem Abgeordnetenhaus am Nachmittag. Auch das Auto der Politikwissenschaftlerin und Publizistin wurde 2017 niedergebrannt. Als einen „Tiefpunkt“ des Ausschusses bezeichnete sie etwa die Beteiligung der AfD – die allerdings während des gesamten Ausschusszeitraumes fast nie zu den Sitzungen erschien. Dennoch habe die AfD alle Unterlagen erhalten, „während kein Name von Beschuldigten voll genannt werden durfte“, kritisierte von Gélieu. „Das hat gezeigt, wie wenig das Parlament uns ernst nimmt.“
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