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Rechte für GeimpfteQuarantäne als Gratwanderung

Weil das Heim unter Quarantäne steht, darf ein Sohn seine demente Mutter nicht besuchen. Doch die Hamburger Sozialbehörde macht Hoffnung.

Nicht einfach, der Einsamkeit bei Quarantäne im Altenheim zu entgehen Foto: Swen Hoppe/ dpa

Hamburg taz | Die Ausgangssituation ist denkbar einfach: ein Sohn möchte seine an Demenz erkrankte Mutter im Altenheim besuchen. Aber nichts ist einfach zu Coronazeiten, wenn der Wohnbereich, in dem die Mutter lebt, wegen eines Coronafalls unter Quarantäne steht.

Es ist so wenig einfach, dass selbst die Hamburger Sozialbehörde in einer Stellungnahme zu emotionalen Begriffen wie „besondere Herausforderung“ greift und von „größeren Anstrengungen seitens des gesamten Umfelds“ schreibt, die zu leisten seien. Aber wie diese Anstrengungen aussehen könnten, darüber besteht keine Einigkeit.

Für Matthias Schmidt ist nicht nachvollziehbar, warum er seine Mutter, die in einem Altenheim der Malteser in Hamburg lebt, nicht besuchen darf: schließlich sei sie geimpft, ein PCR-Test negativ und jeder Besucher werde ebenfalls getestet. Zumal er gar nicht darauf besteht, das Altenheim zu betreten, sondern seine Mutter lediglich nach draußen abholen will.

Dass das Heim versucht, seiner Mutter die Situation möglichst erträglich zu machen, stellt Schmidt überhaupt nicht in Abrede: eine Pflegerin rief extra an, um ihm davon zu berichten, dass sie mit seiner Mutter ein Fotoalbum angesehen hat. Es gab auch Bemühungen, Kontakt herzustellen: so haben Pflegekräfte die Mutter im Rollstuhl ans Fenster geschoben, damit der Sohn von außen rufen konnte, und sie haben Telefonate ermöglicht.

Die demente Mutter braucht emotionale Zuwendung

Aber: aufgrund der fortgeschrittenen Demenz hätten sie diese Situationen eher überfordert, schließlich kann seine Mutter schon lange nicht mehr sprechen. Was sie brauche, sei ein direkter Kontakt, Berührungen, emotionale Zuwendung. Dass das nicht möglich sei, erscheint ihm „nicht verhältnismäßig“ und das gesamte Vorgehen „intransparent und auf „obrigkeitsstaatliche Weise“ durchgeführt.

Die schlechte Kommunikation – das Gesundheitsamt hat den Quarantänebescheid nicht an Schmidt als Betreuer seiner Mutter sondern an die 94-Jährige geschickt, er erfuhr formell erst vier Tage nach Beginn von der Isolation – ist da nur eine Fußnote.

Was sein Anliegen ist, fasst er extra noch einmal in einer E-Mail zusammen: „Uns geht's darum zu verdeutlichen, wie absurd, widersprüchlich und auf Kosten welcher Personen die gegenwärtige Rechtslage ist – dass hier in einem seelenlosen Verwaltungsakt und trotz nachweislichem Impf- und Teststatus Menschen einfach isoliert und ihnen elementare Rechte verwehrt werden können.“ Und das in einer Situation, in der alle über Erleichterungen für Geimpfte sprechen.

Die Rechtslage scheint eindeutig

Nun sind sich andererseits sowohl die Malteser als Träger des Altenheims als auch die Hamburger Sozialbehörde, der das Gesundheitsamt untergeordnet ist, einig in der Beurteilung der Rechtslage: In der Quarantäne darf, so die Sozialbehörde „kein Besuch empfangen werden“. Auf Seiten der Malteser klingt da sogar Bedauern mit: „Wir würden gern mehr ermöglichen“, sagt Olga Jabs, die Pressesprecherin der Malteser Wohnen & Pflegen GmbH.

„Generell haben unsere Pflegeeinrichtungen keine Spielräume im Umgang mit Quarantäneanordnungen, da das Gesundheitsamt darüber entscheidet“, schreibt sie auf Anfrage der taz. „Die Umsetzung der Quarantäne gestalten Gesundheitsamt und Einrichtung gemeinsam und wägen dabei stets ab, wie sich individuelles Bewohnerwohl und Infektionsschutz am besten vereinen lassen“.

Genau diese Abwägung treibt, so wirkt es zumindest, alle um, die mit dem Thema befasst sind – privat oder beruflich. Denn dass die Isolation sich negativ auf Menschen mit Demenz auswirkt, die die Situation nicht verstehen können, ist „unstrittig“, sagt Bernhard Holle vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP). Es sei eine „sehr schwierige Situation, für die es nicht die eine Lösung gibt“.

Deshalb empfiehlt die DGP in ihrer Leitlinie zur sozialen Teilhabe in der stationären Altenhilfe unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie: „Die Dauer und die Ausprägung der Quarantänemaßnahmen sind deshalb vor dem Hintergrund der Risiken und Nachteile individuell zu bestimmen. Orientierung für die Einschätzung der Risikoprofile von Verdachtsfällen bieten die Kriterien des RKI“.

Das RKI wiederum berücksichtigt in seiner aktuellen Empfehlung bereits Quarantäne-Ausnahmen für Geimpfte – nicht aber für Geimpfte in Altenheimen: „durch diese“ könne „die Weitergabe von Infektionen auf ungeimpfte Bewohner und Bewohnerinnen, ungeimpftes Personal sowie ungeimpfte Besucherinnen und Besucher erfolgen“.

Aber auch das RKI landet wieder bei den Schwierigkeiten einer Abwägung zwischen Schutz der Betreuten und Mit­ar­bei­te­rIn­nen vor einer Infektion und den „möglichen negativen psychosozialen Auswirkungen“: Dies sei „gerade auch unter dem Aspekt einer sich ständig wandelnden Situation, eine schwierige Gratwanderung“.

Widerspruch sinnlos

Matthias Schmidt möchte den Verlauf dieser Gratwanderung korrigieren und hat die Hamburger Rechtsanwältin Babette Tondorf gebeten, die Möglichkeit eines Widerspruchs oder eines Eilverfahrens gegen die Quarantäne-Anordnung zu prüfen. Doch dies ist, selbst wenn in der Sache erfolgreich, wenig hilfreich: „Durch den Zeitablauf hat sich die Quarantäne dann ohnehin erledigt“. Das wäre auch bei Schmidts Mutter der Fall, deren Quarantäne am 3. Mai endet.

Erledigt hat sich das Thema dennoch nicht, denn das Ende von Quarantänemaßnahmen ist bislang nicht in Sicht. Tondorf verweist auf ein – in dem zugrundeliegenden Einzelfall zwar abschlägiges – aber wegweisendes Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichts zu Ausnahmen für Geimpfte von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen. Dort heißt es ausdrücklich, dass der Verordnungsgeber sofort im Sinne der Freiheitsrechte der Be­woh­ne­r:in­nen handeln muss, sobald belastbare wissenschaftliche Aussagen zur Übertragung des Corona-Virus durch Geimpfte vorliegen.

Viel näher liegt da die Perspektive, die die Hamburger Sozialbehörde eröffnet: seit der vergangenen Woche, so schreibt deren Sprecherin Anja Segert, gebe es auf Grundlage des Beschlusses der Gesundheitsministerkonferenz „für vollständig geimpfte Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, Ausnahmeregelungen zu treffen und keine Quarantäne zu anzuordnen“. Jeder Einzelfall werde gesondert durch die Gesundheitsämter betrachtet, das Vorgehen richte sich unter anderem „nach der Durchimpfungsquote in der jeweiligen Einrichtung und danach, ob es sich um ein Ausbruchsgeschehen handelt“.

Und noch ein kleiner Lichtblick: „In diesem Zusammenhang möchten wir auch darauf hinweisen, dass sich die Zahlen der positiv Getesteten in den Pflegeeinrichtungen auf einem sehr niedrigen Niveau befinden: Aktuell sind in insgesamt fünf Einrichtungen lediglich fünf Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Coronavirus infiziert.

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