Recht auf Vergessenwerden: Google darf wahre Berichte zeigen
Öffentliches Interesse über Persönlichkeitsrecht: Der BGH hat entschieden, wie das Recht auf Vergessenwerden bei Suchmaschinen anzuwenden ist.
Das Recht auf Vergessenwerden geht auf ein Urteil des EuGH von 2014 zurück. Eine Privatperson kann seither von Google verlangen, dass bestimmte Links nicht mehr in den Suchergebnissen zu ihrer Person auftauchen. Dieses Recht auf Vergessenwerden wurde dann in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die seit 2018 EU-weit gilt, näher ausgestaltet.
Danach kann der Anspruch auf Auslistung darauf gestützt werden, dass die Information falsch oder veraltet ist. Es kann aber auch genügen, dass der Betroffene einfach den Zugang zu einer ihm unangenehmen Information erschweren will. Dieser Auslistungsanspruch gilt aber laut DSGVO nicht, wenn dem die Meinungs- oder Informationsfreiheit entgegensteht.
Deshalb müssen, so nun der BGH, in jedem Einzelfall die EU-Grundrechte der Beteiligten gegeneinander abgewogen werden. Auf der einen Seite steht das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, auf der anderen Seite die unternehmerische Freiheit von Google, die Pressefreiheit des verlinkten Mediums sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Information weiter relevant
Im konkreten Musterfall wollte der ehemalige Geschäftsführer des Arbeitersamariterbunds (ASB) Mittelhessen verhindern, dass bei der Google-Suche nach seinem Namen Presseberichte aus den Jahren 2011 bis 2013 in der Trefferliste erscheinen. Daraus ging hervor, dass der Regionalverband in seiner Amtszeit ein Defizit von etwa einer Million Euro aufwies und er in der Krise krankgeschrieben war.
Wie die Vorinstanzen lehnte der BGH die Klage des Ex-Geschäftsführers ab. Der Vorgang sei damals von großem Interesse gewesen. Der Regionalverband Mittelhessen sei mit rund 500 Beschäftigten und 35.000 Mitgliedern der zweitgrößte ASB-Teilverband bundesweit. Seine Angebote von Kinderbetreuung bis Altenpflege erreichten viele Menschen in der Region, argumentierte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Das Interesse bestehe deshalb auch Jahre später noch fort, da die Krise zu Sparprogrammen geführt habe. So sei der Betreuungsschlüssel in den Kitas verschlechtert worden.
Auch die Person des mitverantwortlichen Geschäftsführers sei in diesem Zusammenhang von Interesse. Die Erwähnung der Krankschreibung könne dabei, so Richter Seiters, auch entlastend wirken. Denn so werde deutlich, dass der Sozialmanager nicht entlassen wurde, sondern aus gesundheitlichen Gründen abwesend war. Eine zeitliche Grenze nannte der BGH nicht. Im konkreten Fall konnte nach sieben Jahren noch keine Auslistung verlangt werden. Es komme aber immer auf die Umstände des Einzelfalls an.
Von diesem Musterfall unterschied sich der zweite Fall in einem entscheidenden Punkt: Hier war umstritten, ob die von Google verlinkten Informationen korrekt waren. Kläger war hier ein Finanzdienstleister-Ehepaar, das von einer US-Webseite als unseriös gebrandmarkt wurde. Das Ehepaar warf seinerseits den Amerikanern vor, es berichte falsch, um die Betroffenen zu erpressen. Google lehnte den Auslistungsantrag ab, man könne nicht beurteilen, ob die US-Berichte korrekt seien.
In etwa einem Jahr zurück
Der BGH hat den Fall nun dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, weil der EU-Gerichtshof für die Auslegung der DSGVO zuständig ist. Der BGH hat zugleich aber auch eine eigene Lösung vorgeschlagen. Danach müsse das Ehepaar zunächst im Eilverfahren die US-Webseite verklagen, um den Wahrheitsgehalt der Berichte zu klären. Nur wenn dabei die Unwahrheit der Berichte festgestellt wird, könne das Ehepaar von Google eine Auslistung der Berichte wegen Fehlerhaftigkeit verlangen.
Der EuGH wird in etwa einem Jahr entscheiden, danach kommt der Fall wieder an den BGH zurück.
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