Rebellen im Kongo: Die Stille nach der Schlacht
Polizei und Armee sind weg, Strom und Wasser gibt es nicht. Nun versuchen die Rebellen, in der Millionenstadt Goma eine neue Ordnung zu schaffen.
GOMA taz | Die blaue Gefängnispforte steht sperrangelweit offen. Die Wände im Vorraum des Innenhofs sind schwarz verrußt. Asche bedeckt den Boden – die Reste verbrannter Akten. Ringsum sieht es aus, als habe eine Bombe eingeschlagen: Plastikflaschen, Kleidung, Kondompackungen, Löffel, Essensreste, eine Bibel, alles liegt in den Pfützen herum, eine geplatzte Wasserleitung spritzt Fontänen in alle Richtungen. Es stinkt nach Urin und Fäkalien.
Tausende Gefangene hausten bis vergangene Woche hier in Gomas Zentralgefängnis Munzenze wie Tiere: Räuber, Vergewaltiger, Verbrecher, politische Gefangene, mit Frauen und Kindern. Sie blieben sich selbst überlassen, kaum ein Wächter hat sich je in die fensterlosen Zellen getraut. Als letzte Woche die M23-Rebellen Goma eroberten, revoltierten die Gefangenen.
„Während rundherum geschossen wurde, flohen die Wächter“, sagt Arlette Shamamba. Das 16-jährige Mädchen sitzt vor der offenen Gefängnistür auf einem kantigen Lavastein und schält Süßkartoffeln. Sie ist die Tochter eines Gefängniswärters. „Die Gefangenen haben Feuer gelegt und einige kletterten aus den Fenstern im ersten Stock, sie haben dann die Pforte geöffnet, und alle sind geflohen.“
Die M23 (Bewegung des 23. März) wurde im Frühjahr 2012 von desertierten Tutsi-Offizieren der kongolesischen Armee gegründet. Sie warfen der Regierung von Präsident Joseph Kabila vor, sich nicht an das Friedensabkommen zu halten, mit dem am 23. März 2009 die letzte große Tutsi-Rebellion im Kongo beendet worden war. Darin ging es um Militärfragen sowie Versöhnung und Wiederaufbau im Osten des Kongo, wo seit 1993 Bürgerkrieg herrscht.
Goma, Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu mit einer Million Einwohnern, fiel am 20. November an die M23-Rebellen. Seitdem hat Kongos Regierung auf internationalen Gipfeltreffen Gespräche zugesagt. Die M23 soll sich im Gegenzug aus Goma zurückziehen.
Das leere Zentralgefängnis liegt mitten im Zentrum von Ostkongos Millionenstadt Goma. Rund um die Gefängnismauern stehen schräge Wellblechhütten und Zelte aus Plastikplanen dicht an dicht, dazwischen fließen Rinnsale stinkender Abwässer durch schwarzgrauen Lavastaub.
Leere in der Markthalle
In diesem Viertel leben Polizisten mit ihren Familien im Dreck wie in einem Flüchtlingslager. Frauen und Mädchen wie Arlette kochen auf Holzkohleöfen Reis mit Bohnen. Von ihren Ehemännern und Vätern – den Sicherheitsbeamten – ist nichts mehr zu sehen. „Mein Vater ist geflüchtet, als die Rebellen die Stadt einnahmen“, seufzt Arlette.
Wenige hundert Meter weiter liegt Gomas große Markthalle. Bis unter die hohe Decke erstrecken sich nackte Holzgerüste. Wo sonst Stoffe, Wolldecken, Hemden, Jeans, T-Shirts und Röcke in bunten Farben hängen, gibt es nur gähnende Leere. Es ist fast so still wie einer Kirche.
Jenseits der Stoffabteilung sortieren rund ein Dutzend Frauen Tomaten, Bohnen, Auberginen und Zwiebeln. Eine Handvoll kräftiger Männer zerhacken mit einem Beil ein totes Rind. Nur wenige Händler haben eine Woche nach den Kämpfen wieder ihre Geschäfte aufgenommen.
Rebecca Kika hat sich für ihren ersten Arbeitstag schick gemacht: Die Halskette um ihren zarten Nacken funkelt, ihr rostbraunes Kleid ist mit Stickereien verziert, dazu trägt sie passenden Lidschatten. Mit geschickten Handgriffen legt sie ihre Auberginen zurecht und türmt je fünf zu einem kleinen Haufen. „Es gibt ja kaum Kundschaft hier, und es gibt auch kaum Geld in der Stadt – es ist wirklich eine Katastrophe“, sagt Kika.
Seit die Rebellen Goma kontrollieren, hat sich das Leben der eifrigen Marktfrau verändert. Als die Soldaten der Regierungsarmee abzogen, kappten sie die Stromleitungen. Schon seit über einer Woche gibt es in der Millionenstadt weder Elektrizität – außer aus Generatoren – noch fließendes Wasser, weil die Pumpen nicht funktionieren. Kika muss morgens um sechs Uhr vier Kilometer bis zum Ufer des Kivu-Sees marschieren, um dort einen 20-Liter-Kanister aufzufüllen.
Statt die Kinder zur Schule zu schicken, macht sie sich Sorgen. Ihre vier Mädchen trauen sich kaum aus der Hütte: „Sie sind traumatisiert, sie haben keinen Appetit und haben Albträume.“
„Ich habe keine Wahl“
Die Mädchen hätten aus Angst geweint, als sie am Morgen das Haus verließ, um zum Markt zu gehen. „Ich habe keine Wahl“, sagt sie, „ich muss doch etwas Geld verdienen.“
Dann kramt sie ihr Telefon aus der Rocktasche. „Ohne Strom können wir die Handys nicht aufladen, und ich kann nicht einmal meine Kinder anrufen“, sagt sie und blickt auf das schwarze Display. Während der Gefechte hätten Verwandte und Freunde stets Alarm geschlagen. Das geht jetzt nicht mehr. „Ich fühle mich ohne Handy nicht sicher in Goma“, sagt Kika und sortiert weiter ihre Auberginen.
Auch ihre Lieferanten kann sie nicht mehr erreichen. Statt wie sonst die Auberginen direkt vom Lastwagen zu kaufen, der aus dem Umland die Produkte der Bauern bringt, läuft sie jetzt jeden Morgen über die Grenze nach Ruanda, in die Nachbarstadt Gisenyi. „Wegen der Kämpfe kommen keine Lastwagen mehr nach Goma“, sagt sie. Doch die Preise in Ruanda seien hoch, noch dazu muss sie den Wechselkurs einkalkulieren. Kika fängt an zu rechnen: Einen Korb Auberginen kaufte sie bislang für 3.000 kongolesische Franc ein (3 Euro). An diesem Morgen musste sie umgerechnet 4.500 Franc hinlegen. Kika schüttelt den Kopf. „Erst überfallen uns die Ruander“, sagt sie, „dann profitieren sie auch noch von unserem Leid.“
Seit dem Einmarsch der Rebellen ist in Goma nichts mehr wie vorher. Die sonst so geschäftige Stadt ist fast wie ausgestorben, auch jetzt noch, eine Woche nachdem die Rebellen sie übernommen haben. Die meisten der unzähligen kleinen Läden bleiben geschlossen. Die Türen sind mit großen Vorhängeschlössern verriegelt. Die vielen Nachtclubs, aus denen zu besseren Zeiten bis zum Morgengrauen Lingala-Takte hallen, sind verrammelt.
Warten auf den Stadtverwalter
Von den Rebellen selbst ist kaum etwas zu sehen. Die Kommandeure haben sich in einem Militärlager aus Zelten auf dem Goma-Berg eingenistet, dem höchsten Punkt in der großen Stadt. Ab und zu braust ein Pick-up mit hoher Geschwindigkeit die Hauptstraße entlang, mit bewaffneten Leibgarden auf der Rückbank. Die Fensterscheiben sind schwarz getönt, damit man die Kommandeure nicht identifizieren kann. Die meisten dieser Fahrzeuge gehörten bislang den Beamten der Provinzregierung – jetzt sind sie beschlagnahmt.
Die Mehrheit der Kämpfer wurden bereits an die Frontlinien außerhalb Gomas verlegt, um das M23-Territorium zu sichern.
In der Abenddämmerung schlurft ein Soldat durch die Gasse, ein paar hundert Franc in der Hand, um Zigaretten zu kaufen. Ein Offizier im Pick-up-Truck hält neben ihm und schreit ihn an: „Wo ist deine Einheit, wo ist dein Vorgesetzter?“ Der Soldat stammelt verunsichert. Ehe er sich erklären kann, umzingeln ihn seine Kameraden und verfrachten ihn auf den Pick-up. „Wir verhaften jeden, der sich nicht an die Regeln hält“, sagt der M23-Oberst und düst davon.
Geschäftigkeit gibt es in Goma nur um die paar großen Hotels in der Innenstadt. M23-Soldaten in blauen Polizeiuniformen bewachen die Eingangstore. Große Geländewagen stehen im Innenhof. Geschäftsleute und ehemalige Staatsangestellte mit Anzug und Krawatten sitzen im Eingangsbereich auf Ledersesseln. Sie alle warten auf den neuen M23-Stadtverwalter von Goma: Sendugu Museveni.
Telefone vibrieren wild
Der Politiker in schwarzem Anzug sitzt auf der Veranda. Seine zwei Telefone klingeln und vibrieren, der Tisch wackelt: Ständig muss er mit den Kommandeuren die Sicherheitslage durchsprechen. „Wir haben Tausende Verbrecher in der Stadt, die aus dem Gefängnis getürmt sind“, erklärt er.
Bis Anfang 2009 führte Museveni die kongolesische Hutu-Miliz Pareco (kongolesische Widerstandspatrioten), die damals gegen die Tutsi im Ostkongo kämpfte. Jetzt arbeitet er mit ihnen zusammen. Wenn man ihm zuhört, klingt es, als werde demnächst in Goma wieder alles normal. Zoll- und Grenzbeamte haben unter M23-Führung die Arbeit wieder aufgenommen. Der Bürgermeister, der mit anderen Staatsangestellten bei der Eroberung Gomas von UN-Helikoptern evakuiert worden war, wurde von seinem Stellvertreter ersetzt. „Wir wollen, dass die Beamten mit uns zusammenarbeiten“, sagt Museveni.
Dann hetzt er los, um einen M23-Oberst zu empfangen, der mit neuen Anweisungen auf der Veranda steht. Demonstrativ wird klar, wer hier das Sagen hat. An den wackligen Tisch setzt sich Ngere Kambasu, der M23-Minister für Versöhnungspolitik. Auch seine Telefone vibrieren wie wild. Er ignoriert es.
Auch er schildert, wie eine neue Verwaltung entsteht: Ministerien wurden eingerichtet. Die M23 übernehme jetzt die Buchführung über die Staatskasse und die Zolleinkünfte. Kambasu verspricht, dass alle Staatsangestellten wie Polizisten jetzt „ordnungsgemäß und pünktlich“ bezahlt werden. Also anders als früher. Er lächelt. „Wir schaffen einen Modellstaat mit null Toleranz für Korruption.“
Und die vielen geflohenen Gefangenen? Die M23 baut jetzt eine Parallelstruktur zum „korrumpierten“ Justizapparat auf, sagt der Minister: Sicherheitskomitees, die bereits in den von der M23 „befreiten“ Gebieten erfolgreich gearbeitet hätten. Sie sollen nun 48 Stunden Zeit haben, die Ausbrecher zu finden. Damit sie wieder eingesperrt werden können – sobald die M23 das Gefängnis aufgeräumt hat. „Unter diesen Bedingungen kann man da ja keinen reinstecken.“
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